Auch zehn Tage nach dem Großangriff der Hamas auf Israel ist der Zeitplan für die erwartete israelische Bodenoffensive im Gazastreifen weiter unklar. Die israelische Armee führte in der Nacht zu Dienstag allerdings weitere Luftschläge gegen Hamas-Ziele durch. Dabei soll unter anderem der Leiter des sogenannten Schura-Rates der Hamas im Gazastreifen, Osama Mazini, getötet worden sein.
Er soll für die Gefangenen der Hamas verantwortlich gewesen sein und „terroristische Aktivitäten“ gegen Israel geleitet haben. Neue Luftangriffe führte das israelische Militär auch gegen Infrastruktur der Hisbollah im Libanon durch. Die humanitäre Lage im Gazastreifen bleibt derweil prekär: Derzeit sollen Medienberichten zufolge mehr als 100 Lastwagen mit humanitärer Hilfe auf der ägyptischen Seite des Grenzübergangs Rafah warten. Zwar hatte es zuletzt mehrfach Berichte über eine bevorstehende Öffnung der Grenze gegeben, die sich aber jeweils als falsch herausstellten. Auch am Dienstag setzen unterdessen mehrere Länder ihrer diplomatischen Bemühungen fort, zu einer Lösung des Konflikts beizutragen. Unter anderem reist Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als erster Regierungschef seit Kriegsbeginn nach Israel, im Anschluss geht es für ihn weiter nach Ägypten. Am Mittwoch wird zudem US-Präsident Joe Biden in Israel erwartet.
Historiker Segev zweifelt am Sinn von israelischer Bodenoffensive
Der israelische Historiker Tom Segev zweifelt am Sinn einer Bodenoffensive im Gazastreifen als Reaktion auf den Terrorangriff der radikalislamischen Hamas auf Israel. „Mir ist nicht ganz klar, inwiefern die Bodenoffensive ein Ergebnis von klaren strategischen Überlegungen ist, oder ob sie ein Racheakt wäre, der aus dem Bauch kommt“, sagte er dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Die Situation in Gaza ist schon jetzt fürchterlich. Andererseits war dieser Terror dramatischer als der 11. September in New York, wenn man die Zahl der Opfer hochrechnet. In Deutschland wären das 10.000 Menschen. Wenn Sie Kinder sehen, die mit einem Strick zusammengebunden wurden und verbrannt sind, dann kommt der Holocaust in die Erinnerung. Das sind schon schlimme Tage.“ Segev fügte hinzu: „Der Konflikt dauert schon 100 Jahre an, und er wird immer schlimmer, meistens für die Palästinenser, weil sie schwächer sind.“ Bei Israelis und Palästinensern handel e es sich um „zwei Völker, die ihre Identität definieren durch jeweils das ganze Land. Ein Kompromiss würde bedeuten, dass beide Seiten einen Teil ihrer Identität aufgeben. Offenkundig haben wir noch nicht genug gelitten, um so weit zu kommen.“ Zur Rolle Deutschlands sagte der Historiker, dessen Eltern Deutsche waren: „Ich hoffe, dass Deutschland eine Rolle spielen kann bei der Befreiung der Geiseln. Es gibt ja auch mehrere Deutsche und Doppelstaatler unter ihnen.“ Er fuhr fort: „Vielleicht kann Deutschland gemeinsam mit den USA einen Waffenstillstand mit der Hamas vereinbaren. Das würde ich sehr begrüßen – auch wenn damit das Ziel, die Hamas zu vernichten, nicht erreicht würde.“ +++
