Sechs Komponisten aus fünf europäischen Ländern präsentierte das Diplomatische Streichquartett bei seinem fantastischen Konzert in der Aula der Alten Universität – Komponisten, die viele Jahrzehnte vergessen waren und erst allmählich wiederentdeckt werden. Dieser Aufgabe widmet sich das Streichquartett um den ersten Geiger Matthias Hummel, Julia Kursawe (Cello) und Waltraud Elvers (Viola) – und Dr. Felix Klein (Violine), den Beauftragten der Bundesregierung für Jüdisches Leben in Deutschland.
Der Riss mitten durch das 20. Jahrhundert
„Ein Konzert, in dem die Lebensgeschichten der Komponisten so interessant sind wie die gespielten Werke, ist sehr selten“, dankte Bella Gusman von der Jüdischen Gemeinde den Musikern am Ende des Konzerts. Und wirklich – die Geschichten hatten es in sich. In allen taucht der Riss auf, der mitten durch das 20. Jahrhundert geht. Denn jüdische Komponisten wurden ausgegrenzt, erhielten Arbeitsverbote, wurden verfolgt und in Konzentrationslager deportiert – nur wenigen gelang die Emigration.
Es ist keineswegs so, dass die Werke dieser Komponisten einfach und leicht zugänglich wären, man muss schon viele Stunden in Archiven recherchieren, bis man fündig wird. „Wer in Deutschland Komposition studierte, musste dafür ein Streichquartett schreiben“, erklärte Matthias Hummel. „Deshalb suche ich oft Namen in Kombination mit dem Begriff Streichquartett, und werde dabei fündig.“ Mit anderen Worten: Wer sich der Aufgabe widmet, unbekannte jüdische Komponisten dem Vergessen zu entreißen, weiß um die Mühsal dieser Aufgabe. Aber: Sie ist es wert, und macht einmal mehr klar, welcher kulturelle Schatz durch die NS-Zeit verloren ging.
Im Konzert in Fulda wurden zwei spannende Streichquartette gespielt, eins der gebürtigen Berlinerin Charlotte Schlesinger (1908-1976) und eins der Niederländerin Henriette Bosmans (1895-1952) – starke, spannungsreiche Werke zweier starker Frauen, das eine 1929 geschrieben, das andere 1927. Der Pole Simon Laks (1901-1981) überlebte Auschwitz nur deshalb, weil er Leiter des Lagerorchesters war. Aus seinem dritten Streichquartett von 1945 erklang der 3. Satz, ein Satz, der voller musikalischer Lebensfreude steckt – trotz Laks‘ Schicksal und des Entstehungsjahrs.
Die Musik des Italieners Leone Sinigaglia (1868-1944) ist stark von Brahms beeinflusst, hat also einen stark romantischen Einschlag, das gilt auch für sein „Ora Mistica“. Sinigaglia hatte noch ganz andere Talente, er war leidenschaftlicher Alpinist und fand neue Routen hinauf aufs Matterhorn. 1944 sollte er im hohen Alter noch in die Zwangsarbeit gepresst werden – er erlitt einen Herzinfarkt und starb am Tag seiner Verhaftung durch die NS-Schergen. Egon Lustgarten (1887-1961), Komponist, Dirigent und Assistent Max Reinhardts, emigrierte 1931 in die USA. Er beschäftigt sich in seinem Streichquartett „Die Geheimnisse“ mit der Lehre Rudolf Steiners. Diese Aufführung war dann tatsächlich eine Europa-, Deutschland- und Fuldapremiere, denn das Werk wurde erst vor kurzem in Archiven entdeckt.
Kurt Weill ist vor allem durch seine mit Bert Brecht geschriebene Dreigroschenoper bekannt. Der Dessauer Kantorensohn Weill schrieb aber viele andere weltliche und geistliche Werke. Aus seiner leider nicht sonderlich erfolgreichen Oper „Maria Galante“ erklang das Stück „Youkali“, das sich großer Beliebtheit erfreut. Und das versteht man sofort, denn das Stück ist im Stil eines langsamen Tangos, oder einer Habanera geschrieben und fährt einem sofort in die Beine.
Die Musiker waren auf Einladung der Jüdischen Gemeinde, des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit GCJZ nach Fulda gekommen. +++ pm

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