Wo der Pflegenotstand schon Realität ist

Neue Studie des Kreises wird nach der Sommerpause vorgelegt

: „Der Fachkräftemangel im Pflegebereich geht alle 29 Städte und Gemeinden an“: Irmhild Neidhardt, Leiterin der Abteilung Leben im Alter in der Kreisverwaltung bei der Vorstellung erster Ergebnisse im Main-Kinzig-Forum.

Mit zunehmendem Alter stehen Menschen vor wegweisenden Fragen: Ist die Wohnung barrierefrei nutzbar oder ist ein Umzug notwendig? Können alle Erledigungen des Alltag noch selbst gemeistert werden oder bedarf es externer Unterstützung? Gleich im nächsten Schritt stellt sich die entscheidendere Frage: Wie steht es um die alternativen, unterstützenden und pflegerischen Angebote in der nahen Umgebung? „Wir können auf Grundlage erster Ergebnisse unserer Detailstudie zur Pflegestruktur im Kreis sagen: Es gibt im Kreisgebiet jede Menge zu tun, wenn wir es auch in 20 Jahren noch allen Menschen ermöglichen wollen, so zu leben wie sie es sich im hohen Alter wünschen“, erklärt Erste Kreisbeigeordnete Susanne Simmler. „Als Landkreis haben wir hier zwar auch die Aufgabe der überörtlichen Koordination. Uns geht es aber vor allem auch darum Bewusstsein zu schaffen und in regionale Lösungsansätze zu kommen.“

Die Studie: Das ALP Institut für Wohnen und Stadtentwicklung aus Hamburg hat sich über einige Monate hinweg die Versorgung in allen 29 Städten und Gemeinden genauer angeschaut und hat dazu auch viele hundert Akteure und Betroffene befragt. Daraus entstanden einzelne „Steckbriefe“, die ziemlich genau die Stärken und Schwachstellen der pflegerischen Versorgung in den Kommunen darlegen. Die ausgearbeitete Fassung der Studie soll nach den Sommerferien vorliegen und anschließend dem Kreistag, den Städten und Gemeinden und auch Pflegeunternehmen zur Verfügung gestellt werden.

Schon die Vorabfassung hat Sozialdezernentin Susanne Simmler alarmiert. „Gerade der Pflegenotstand ist in aller Munde. Genauer und drastischer muss man sagen: Der Pflegenden-Notstand ist real und er ist in unterschiedlicher Form und unterschiedlich weit im Main-Kinzig-Kreis schon fortgeschritten. Und noch schlimmer, wir haben über kurz oder lang an vielen Punkten den Gepflegten-Notstand. Menschen, die Hilfe in unterschiedlichster Form brauchen, erhalten sie nicht passgenau. Das können wir als Landkreis zwar nicht alleine lösen, aber wir können entscheidend dazu beitragen und haben durchaus Möglichkeiten, die es zu diskutieren gilt. Dazu dient diese regionale Studie“, sagt die Erste Kreisbeigeordnete.

Nach dem zuständigen Ausschuss des Kreistags Ende Juni hat Susanne Simmler darum bereits im Juli einen Runden Tisch mit Vertreterinnen und Vertretern aus dem Pflegebereich initiiert. „Wir reden jetzt nicht mehr über abstrakte Probleme, sondern wissen sehr gut, wo gezielt in unserer Region und in welchen Segmenten gehandelt werden muss, welche Bedarfe nicht ausreichend gedeckt sind und wo auch ortsübergreifende Maßnahmen sinnvoll sind“, so Simmler. Gerade der Runde Tisch aus Pflegeunternehmen aus der gesamten Region habe einige konkrete Schritte vereinbart.

Für Irmhild Neidhardt, Leiterin der Abteilung Leben im Alter, liegt die größte Herausforderung im Aufbau zusätzlicher stationärer und ambulanter Angebote, „nicht nur, weil das alleine schon eine Herausforderung ist, sondern ganz einfach weil das dafür notwendige Personal mehr als knapp bis gar nicht vorhanden ist“. Der Bedarf sei gleichwohl da und werde sich in den nächsten Jahren noch deutlich erhöhen, und zwar von den Toren Frankfurts ebenso wie im Spessart. „Wir können aus den Ergebnissen der Studie klar ableiten, dass die Unterversorgung kein Thema des ländlichen Raums ist. Der Fachkräftemangel im Pflegebereich geht also alle 29 Städte und Gemeinden an“, so Neidhardt weiter.

Dies bekräftigten kürzlich auch die Vertreterinnen und Vertreter aus den Bereichen Pflege und Arbeitsvermittlung. Im Rahmen eines weiteren Runden Tisches hatten sie sich mit Erster Kreisbeigeordneter Susanne Simmler und der Abteilung Leben im Alter um Irmhild Neidhardt zu den ersten Erkenntnissen der Studie ausgetauscht. Nach den vorläufigen Auswertungen zeichnen sich im Pflegebereich im Main-Kinzig-Kreis diese Problemfelder ab:

  • Es fehlt bis 2040 in einigen Kommunen an stationären Pflegeangeboten.
  • Es fehlt bis 2040 n Personal für die bestehenden Angebote in allen Bereichen der Pflege.
  • Dezentrale Angebote wie Tagespflege oder alternative Wohnformen müssen ausgebaut werden; nicht-körperbezogene Service-Leistungen müssen verstärkt mitgedacht werden, denn oft besteht Unterstützungsbedarf in den Bereichen Haushalt und Nahversorgung.
  • Die Digitalisierung muss in der Pflege auf einen höheren Stand gebracht werden, um Terminabsprachen und den Austausch sowohl innerhalb des Personals als auch mit den zu Pflegenden zu erleichtern.
  • Es braucht mehr Spezialisierung für junge Pflege.
  • Es braucht mehr Spezialisierung für das wachsende Klientel demenziell erkrankter Personen

„Wenn wir über pflegerische Versorgung sprechen, im Übrigen auch über die hausärztliche Versorgung, dann haben wir in der gesamten Region ähnliche Herausforderungen. Im Besonderen sind auch alle Anbieter von pflegerischen Leistungen – ob stationär, ambulant oder teilstationär –ähnlichen Fragestellungen und Herausforderungen ausgesetzt. Und sie greifen auf den gleichen leeren Arbeitsmarkt zu.. Es macht also wenig Sinn, weiterhin nur bis zum eigenen Tellerrand zu schauen“, fasst Simmler zusammen. Man müsse die Kräfte bündeln „und durchaus auch unkonventionelle Wege einschlagen“: „Wir sind dazu mit aller Kraft bereit, ob aus der Landkreisverwaltung heraus oder mit unseren Gesellschaften, wie zum Beispiel der Akademie für Gesundheit und Pflege, etwa bei der Koordination und Organisation der Suche nach geeignetem Personal zu helfen.“

Große Hoffnungen verbinden Praktiker mit der Gründung der Main-Kinzig Akademie. Die Vorarbeiten zur Gründung der Main-Kinzig Akademie für Gesundheit und Pflege gGmbH zum geplanten Termin am 1. Januar 2023 sind erledigt, nach der Sommerpause folgen die Beschlussfassungen der Gremien sowie des Kreistags. Der Kreistag hatte in seiner jüngsten Sitzung das Ausbildungsportfolio noch einmal erweitert um die Gesundheitsbereiche Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie. „Im Prinzip sind wir schon mittendrin in der Abarbeitung einer Reihe von Aufgaben, die sich aus der Studie zur pflegerischen Versorgung ableiten lassen. Und das ist wichtig, denn die ermittelten Zahlen und Fakten geben uns eben nicht Anlass zum Abwarten, sondern zum direkten Handeln“, so Simmler. +++ pm