Wirtschaftsweise schalten sich in Streit um AKW-Laufzeiten ein

Umfrage: 67 Prozent für Weiterbetrieb aller drei AKWs bis 2024

Das wichtigste wirtschaftspolitische Beratergremium der Bundesregierung schaltet sich in die Debatte um mögliche längere Laufzeiten für Atomkraftwerke ein und kritisiert das Vorhaben von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) für einen Reservebetrieb von zwei Reaktoren. Die verbliebenen Atomkraftwerke sollten „zumindest bis zur nachhaltigen Überwindung der Energiekrise“ weiter betrieben werden, schreiben die Mitglieder des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in einem Beitrag für die FAZ.

Es ist das erste Mal überhaupt, dass sich die Wirtschaftsweisen öffentlich positionieren, seitdem das Gremium, das zwischenzeitlich auf drei Ökonomen geschrumpft war, wieder mit fünf Mitgliedern voll besetzt ist. Die Forscher fordern, dass alle Möglichkeiten in Betracht gezogen „und jenseits ideologischer Grabenkämpfe diskutiert“ werden, um die Gasverstromung weiter zu reduzieren, die stark gestiegenen Strompreise zu dämpfen und die Verfügbarkeit von Energie zu erhöhen. Der zuletzt vorgeschlagene Betrieb zweier Atomkraftwerke in der Reserve bis Mitte April sei allerdings „nicht zielführend“. So fielen nur die mit der Bereithaltung verbundenen Kosten an, ohne dass der Nutzen aus dem Betrieb realisiert werde. Der Rat rechnet damit, dass die aktuelle Energiekrise „bis mindestens zum Sommer 2024 anhalten“ wird. Das Gremium, dem Veronika Grimm, Monika Schnitzer, Achim Truger und seit August Ulrike Malmendier und Martin Werding angehören, äußerte sich in der FAZ auch zu weiteren Aspekten der Energiekrise. Bei den Anreizen, den Gasverbrauch zu reduzieren, halten sie gerade mit Blick auf die Privathaushalte weitere Maßnahmen für dringend geboten: Appelle und ordnungsrechtliche Vorgaben könnten „Sparanreize durch Preissignale“ nicht ersetzen. „Die hohen Gaspreise sollten an die Endverbraucher weitergereicht werden, die im Gegenzug pauschal entlastet werden müssten“, schreiben die Autoren. Das von der Regierung geplante dritte Entlastungspaket loben sie für die geplante Reform des Wohngelds und die zusätzliche Heizkostenpauschale. Viele Maßnahmen seien in Wirkung und Umsetzung aber noch unklar oder nicht zielgenau. „Insbesondere zur Entlastung der Gaskunden sollten schnellstmöglich zielgenaue Maßnahmen entwickelt und umgesetzt werde“, schreiben die Wirtschaftsweisen. Zudem mahnt der Rat „Pragmatismus und Kompromissbereitschaft von allen Seiten“ an, um die Energiesicherheit zu steigern und den Energieverbrauch zu senken. „So könnte eine gemeinsame Einigung etwa auf ein Tempolimit und einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke zeigen, dass sich alle Beteiligten im Bestreben, die Energiekrise zu überwinden, entgegenkommen.“

Umfrage: 67 Prozent für Weiterbetrieb aller drei AKWs bis 2024

19 Prozent der Bundesbürger sprechen sich für die Pläne von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) aus, eins der drei noch in Betrieb befindlichen deutschen Kernkraftwerke Ende des Jahres abzuschalten und die beiden anderen noch bis April nächsten Jahres in Reserve zu halten. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Forsa-Umfrage für das RTL/ntv-„Trendbarometer“. Nur eine Abschaltung aller drei Kernkraftwerke zum Jahresende – wie ursprünglich geplant – fände noch weniger Akzeptanz (elf Prozent). Eine Mehrheit von zwei Dritteln der Bundesbürger (67 Prozent) spricht sich dafür aus, alle drei Kernkraftwerke noch bis 2024 zur Stromerzeugung zu nutzen. Auch von den Anhängern der Grünen sprechen sich 41 Prozent für einen Weiterbetrieb aller drei Kernkraftwerke und etwas weniger (38 Prozent) für den Habeck-Vorschlag aus. Die Einführung eines sogenannten staatlichen „Preisdeckels“ für Strom und Gas, bei dem für den größten Teil der Energie, die ein Privathaushalt verbraucht, ein Höchstpreis festgelegt wird, den Energieunternehmen nicht überschreiten dürfen, wäre aus Sicht von 74 Prozent der Bundesbürger eine sinnvolle Maßnahme, um die Bürger bei den Energiepreisen zu entlasten. 21 Prozent halten den Vorschlag nicht für sinnvoll. Für die Erhebung befragte das Markt- und Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag von RTL Deutschland vom 9. bis 12. September 2022 insgesamt 1.002 Personen. +++