Wirtschaftsministerium warnt vor forcierter Umsetzung der Klimaziele

Energieexperte: Kohleausstieg gefährdet Stromversorgung nicht

Berlin. Experten des Bundeswirtschaftsministeriums haben in einem Arbeitspapier für die Jamaika-Sondierungsrunden vor einer forcierten Umsetzung der deutschen Klimaziele bis zum Jahr 2030 zulasten der Industrie gewarnt. Bei „sämtlichen Maßnahmen im Industriesektor ist zu berücksichtigen, dass die Industrie anders als andere Sektoren in besonderem Maße im internationalen Wettbewerb steht und zusätzliche Kosten zur CO2-Minderung unmittelbar zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie gehen“, heißt es in dem Papier, über welches die „Welt“ berichtet.

Es bestehe die Gefahr der Abwanderung wichtiger Industrien in Länder, in denen es weniger Umweltschutz- und Klimaauflagen gebe. „Eine deutliche Steigerung der Reduktion bis 2020 wäre nur möglich bei teilweiser De-Industrialisierung in Deutschland.“ Das ist eine Entwicklung, die vor allem FDP und CDU in den Sondierungsgesprächen über eine Jamaika-Koalition fürchten. Alle Verhandlungspartner sollten sich jetzt bewegen, forderte deshalb der Liberale Michael Theurer. „Die Klimaziele der Großen Koalition sind unrealistisch.“ Die CDU müsse das einsehen. Die Grünen wiederum müssten erkennen, dass nationale Alleingänge dem Klima nicht helfen würden, dafür aber den Wohlstand hierzulande gefährdeten. Und seine eigene Partei müsse zugestehen, dass man ambitionierte Klimaschutzziele brauche. In dem Arbeitspapier wird allerdings nicht nur vor den Folgen für die Industrie gewarnt: Ein schneller Ausstieg aus der Kohleverstromung, wie von den Grünen gefordert, hätte soziale Probleme zur Folge, heißt es. Zunächst müsse überhaupt erst einmal eine wirtschaftliche Perspektive für die betroffenen Tagebauregionen entwickelt werden.

Zumal Kohlekraftwerke auch ein wichtiger Faktor für eine stabile Stromversorgung darstellen. Carsten Linnemann (CDU), der Vorsitzende der Wirtschaftsvereinigung der Union, fordert, die Bundesnetzagentur in die Jamaika-Sondierungen einzubinden. „Sie sind die einzigen, die wirklich rechnen können, welche Folgen einzelne Maßnahmen für Grundlaststrom und Energiepreise haben“, sagte er. „Die Umsetzung der Klimaziele darf nicht dazu führen, dass der Anteil der Industrie an Deutschlands Wirtschaftsvolumen sinkt.“ Gerade der Kohleausstieg war bislang einer der schwierigsten Streitpunkte in den Sondierungen. Die Grünen bestanden auf feste Daten. Jetzt zeigen sie Kompromissbereitschaft. „Zentral für uns ist und bleibt es, den Kohleausstieg und die Verkehrswende einzuleiten“, sagte Oliver Krischer, stellvertretender Fraktionschef der Grünen der Zeitung. „Die Einhaltung der nationalen Klimaziele 2020, 2030 und 2050 ist für uns nicht verhandelbar.“ Bei der Frage, ob das letzte Kohlekraftwerk nun 2030 oder 2032 vom Netz geht, sei man aber gesprächsbereit.

Energieexperte: Kohleausstieg gefährdet Stromversorgung nicht

Die Stromversorgung Deutschlands ist nach Einschätzung der Denkfabrik Agora Energiewende auch bei einem schnellen Einstieg in den Kohleausstieg gesichert. „Wir könnten ohne Probleme für die Versorgungssicherheit rund acht Gigawatt an alten Braunkohlekraftwerken sofort stilllegen“, sagte Agora-Chef Patrick Graichen der „Rheinischen Post“. Das würde zwar nicht reichen, um das Klimaziel 2020 von minus 40 Prozent Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 noch zu erreichen. „Aber immerhin würden man bei etwa 37 Prozent landen“, sagte Graichen. „In den letzten 365 Tagen hat Deutschland unterm Strich gerade mal an vier Tagen Strom importiert“, sagte Graichen. Viele ältere Braunkohle-Kraftwerke seien längst abgeschrieben und am Ende ihrer Lebensdauer angekommen. „Diese Kraftwerke sind einerseits sehr schmutzig und unflexibel, gleichzeitig aber für die Betreiber Gelddruckmaschinen“, sagte Graichen. +++