
Dass sich Andreas Stöcklein beim Ironman auf Lanzarote für die Triathlon-WM in Nizza qualifizierte, ist bekannt. Doch dass es ein verdammt harter, steiniger und entbehrungsreicher Weg auf der kanarischen Insel war, dürfte niemanden überraschen. Die Prüfung mit dem Rad entpuppte sich als Auseinandersetzung mit und gegen sich selbst. Kommen Sie mit und erfahren Sie, wie er sie bewältigte und meisterte. Dies nachzuverfolgen, lohnt sich.
Der Wettkampftag hat es in sich. Um 4.45 Uhr klingelt der Wecker. Dass er in der Nacht nicht viel geschlafen hatte, brachte die Aufregung mit sich, es erscheint verständlich. Auch wenn ihm seine inzwischen sechste Langdistanz bevorsteht. Beinahe hastig schiebt er sich noch was zu essen rein. Ehe er mit seinem Supporter Christian Jung in die Wechselzone geht. Ist mit dem Rad alles in Ordnung? Routine ist das Zauberwort. Eine halbe Stunde bleibt das Duo – bis sich „Stöcki“ seinen Neoprenanzug überzieht. Fürs Schwimmen.
Schwimmen: Circa um 7.12 Uhr geht‘s ins kristallklar funkelnde Wasser des Playa Grande. Per Rolling-Start. Einst galt das Schwimmen als „Angstdisziplin“ aus Stöckleins Sicht – jetzt und dieses Mal ist es dies nicht. Für den Kirchheimer ist es „der entspannendste Teil“ der in zwei Runden zu absolvierenden Strecke. Runde eins verläuft gut aus Stöckleins Sicht, Teil zwei ist etwas länger. Aber er absolviert die Anforderung prima. Nach „einer Stunde sieben oder acht“ kommt er ins Ziel. Fliegend geht’s in die Wechselzone. Neo aus. Und ab auf die Radstrecke.
Rad: Manchmal entwickeln sich die Dinge nicht so, wie man sich das vorstellt. Stöcki muss leiden. 2.500 Höhenmeter auf 180 Kilometer – das ist anspruchsvoll. Verdammt anspruchsvoll. „Nach 20 Kilometern hat‘s mir den Stecker gezogen. Mein Kopf war nicht bereit, mitzukämpfen. Nur die Beine haben das gemacht.“ Der Kirchheimer ist lange genug dabei, die Signale seines Körpers zu spüren. Zu spüren, was in ihm vor sich geht. Dennoch: Im ersten Drittel der Strecke geht‘s noch. Stöcklein wehrt sich gegen den Wind. Pausenlos.
110 Kilometer sind vorüber. Es läuft nicht so, wie er das gern hätte. Stöcki lässt seinen Frust raus. „Christian kennt mich“, weiß er den Wert seines Supporters zu schätzen. „Doch diesen Zwiespalt kenne ich. Den hab‘ ich im Kopf. Für mich ist und war es eine neue Erfahrung. Ich hatte noch nie das Gefühl, dass ich mich so gequält hätte. Es hat sich schier endlos angefühlt.“ Aufgeben – das steht für ihn nicht zur Debatte. „Diese Option gab‘s für mich nicht“, gibt er plausibel und hautnah wieder. In dieser wegweisenden Phase des Rennens, diesem Knick, vergegenwärtigt er etwas mit Symbolkraft. Etwas, das ihn und seinen Weg begleitet. Es ist ein Schild an der Bürotür seines Arbeitsplatzes. Auf dieses Schild muss jeder Auszubildende blicken. Sich die Worte verinnerlichen und sie sich zum Lebensmotto machen, das ist das Ziel. „Hör nicht auf, wenn es wehtut. Hör auf, wenn du fertig bist“, steht da. Stöcklein sagt, er versuche, dies den Auszubildenden vorzuleben.
Der Lohn: Er schöpft Hoffnung. An der Nordspitze der Insel gibt es einen Abschnitt, auf dem es bergab geht – man sich natürlich konzentrieren muss. Tüchtig konzentrieren. Es folgen noch einmal zwei Anstiege gegen den Wind – aber Stöcki darf jetzt nicht nur gefühlt wieder nach vorn blicken. Nach 6 Stunden und 58 Minuten erreicht er das Ziel. „Als ich vom Rad runter war“, sagt er, „kam der Punkt, als ich beruhigt war. Ich war froh, dass diese Quälerei vorbei war. Wie ein Rucksack, der abfällt. Nein, es war kein Rucksack. Es war ein Lkw.“
Laufen: Die ersten sechs Kilometer der Marathon-Distanz geht es gegen den Wind. „Das wusste ich aber, ich bin gut in den Laufrhythmus gekommen“, ergänzt Stöcki, der von jeher als starker Läufer gilt. Und er erwähnt, welch psychologische Brücke er sich baut. „Ich zähle von 42 immer runter und teile mir die 10-Kilometer-Abschnitte auf. Oder die Distanz als Halbmarathon.“ Doch es ist so, als ob er sich beim Spazierengehen im Kopf antippt. „Bei der gefühlten Halbmarathon-Marke war ich noch gut drin. Und ich hatte auch viel getrunken …“
Aber er spürt: „Es bestand die Gefahr, dass ich dehydriere.“ Er geht in eines der Dixi-Klos am Rand, und er sieht: Es stimmt etwas nicht mit dem Urin. Stöcki drosselt das Tempo. Seine Zeiten werden langsamer. Für ihn gilt – jetzt erst recht – nur eines: das Ziel zu erreichen. Nochmals sucht er eine Toilette auf – und ist erleichtert: Seine Werte und sein Befinden fühlen sich wesentlich besser an als noch kurz zuvor. Stöckleins Zeit im Ziel: vier Stunden und zwölf Minuten. „Mein langsamster Marathon“, weiß er. Aber das interessierte nicht. Mir war es wichtig, das solide zu beenden.“ Und er liegt richtig. Er ist bei sich und völlig mit sich im Reinen. „Ich bin niemals im gesundheitsgefährdenden Terrain gewesen. Das war zu 100 Prozent die richtige Entscheidung.“ Es ist ein Sieg über sich selbst. Vielleicht nicht der größte, aber einer der größten in seinem Leben. Siege, die mancher nie macht in seinem Leben.
Der Sieg über sich selbst scheint auch einer über „die bisher härteste Herausforderung Ironman Lanzarote“ zu sein. „Man soll zwar nie nie sagen, aber der Wettkampf auf Lanzarote wird wohl einmalig bleiben“, sagt er zu diesem Zeitpunkt. „Ich hab‘ keine Rechnung mehr offen. Ich bin damit zufrieden, wie es gelaufen ist. Es war eine tolle und lehrreiche Erfahrung.“ Doch ein schöner Moment, einer, der die Seele streichelt, der folgt noch. Die Slot-Vergabe steht an am nächsten Tag. Es ist der Moment der Vergabe der Startplätze für besondere Ereignisse. „Ich bin da hin, weil ich das Procedere erleben wollte“, versichert er. Manche nehmen diese Gelegenheit nicht immer wahr, und Stöckis Freude ist riesig. „Meine Altersklasse wurde aufgerufen. Bei meinem Namen habe ich natürlich gezittert. Und ich habe tatsächlich einen Slot bekommen.“ Das bedeutet: Teilnahme und Startberechtigung an der Ironman-WM am 14. September in Nizza. Andreas Stöcklein kann diesen Augenblick nicht fassen, und sein Supporter Christian Jung sagt: „Sieh es als Belohnung für das kontinuierliche Training der ganzen letzten Jahre.“ Eines ist klar: Es gibt auch Momente, in denen Worte eine Leistung des Lebens besiegeln und wunderbar passen. Im Lebensabschnitt des Andreas Stöcklein.
Oder wie er es selbst auf den Punkt bringt: „Bei einer WM dabei zu sein, das ist für mich ein Traum. Und die gehen manchmal in Erfüllung.“ Und einen anderen Gedanken schob er beiseite. „Wenn ich einen guten oder richtig guten Tag gehabt hätte, hätte ich diesen Slot auch bekommen. Aber es hat ja auch so geklappt.“ Es gibt sie, die Augenblicke, in denen es erlaubt ist, seinen Emotionen freien Lauf zu lassen. „Für mich ist es das Größte, was ich in diesem Sport erreichen kann.“ Auch ein Augenzwinkern ist gestattet: „Dafür hat sich die Quälerei auf dem Rad doch gelohnt.“ Natürlich steht die Zeit nicht still. Und Nizza-Qualifyer Stöcklein sieht dem Ironman in Frankfurt am 29. Juni entgegen. Und mit seinem Kumpel Christian Jung nimmt er am „Swissman“ teil – dieses Mal ist Stöcki der Supporter. Auch dieser Wettkampf ist speziell. Äußerst speziell: ein Extrem-Triathlon mit 5.500 Höhenmetern. „Dagegen sind die Anforderungen auf Lanzarote eher Peanuts“, sagt Andreas Stöcklein. Typisch Stöcki. +++ rl | Lesen Sie hier den ersten Teil
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