Angesichts der tiefgreifenden Folgen durch die verfassungswidrige Umwidmung von Corona-Geldern in Klimaschutz- und Transformationsausgaben wächst in der SPD der Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), sich umfassend zu erklären. "Er muss sagen, das war eine Fehleinschätzung", sagte der Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer der "Süddeutschen Zeitung". So eine Fehleinschätzung könne in der Politik passieren, so Schäfer. "Ich hoffe, dass er eine Rede an die Nation hält, in der er deutlich macht, dass unser Land vor den größten Herausforderungen steht, die je eine Regierung in der Geschichte der Bundesrepublik zu bewältigen hatte", sagte Schäfer.
Die bisher geplanten Haushaltsberatungen kommende Woche im Bundestag seien dazu ein guter Anlass. Die Idee der Umwidmung von 60 Milliarden Euro an nicht verbrauchten Corona-Hilfen in einen Klima- und Transformationsfonds (KTF) geht primär auf den früheren Finanzminister Olaf Scholz in den Koalitionsverhandlungen 2021 zurück. Es gab frühzeitig Warnungen hierzu, das Verfassungsgericht hat das nun vergangene Woche gekippt, in Folge des Urteils stehen auch andere Nebenhaushalte wie der Wirtschaftsstabilisierungsfonds mit der Strom- und Gaspreisbremse zur Disposition. Das Finanzministerium hat zudem die Verpflichtungsermächtigungen aus dem Haushalt 2023 gesperrt. Dabei geht es vor allem um Finanzzusagen für die Folgejahre. Erste SPD-Abgeordnete zeigten sich skeptisch, ob die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP diesen Konflikt überstehen werde - da nun die FDP vor allem bei den Sozialausgaben ansetzen, die Schuldenbremse aber nicht aussetzen will. "Die wittern die Chance, die Axt an den Sozialstaat zu legen", heiße es in SPD-Kreisen, so die "Süddeutsche Zeitung". Die Sozialausgaben haben inzwischen einen Anteil von rund 40 Prozent am Haushalt. Womöglich kann die Regierung für das laufende Jahr nach Experteneinschätzungen die Schuldenbremse nicht einhalten und muss eine Notlage nachträglich erklären. Der Grund: Die Regierung hat im laufenden Jahr Mittel aus dem Klima- und Transformationsfonds und aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds verwendet, die dafür genutzten Kredite aber nicht in ebendiesem Jahr auf die Schuldenbremse angerechnet - sondern alles bereits im Jahr 2022 verbucht, als die Schuldenbremse wegen der Wirtschafts- und Energiekrise ausgesetzt war. Diese Buchungstechnik hat das Verfassungsgericht nun aber verworfen. Wenn die Kredite jetzt aber im Jahr 2023 verbucht werden müssen, läge die Kreditaufnahme weit oberhalb der zulässigen Grenze. Um diesen Verstoß zu heilen, dürfte der Regierung wenig anderes übrig bleiben, als nachträglich eine Notlage für das laufende Jahr zu erklären.
IW-Chef Hüther befürchtet "lähmende Wirkung" von Haushaltssperre
Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, kritisiert die Verhängung einer Haushaltssperre durch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) als falsches Signal. "Die Haushaltssperre führt dazu, dass die Verunsicherung über die budgetpolitisch begründeten Rahmenbedingungen deutlich zunimmt, da es nicht mehr nur um die Ausgaben des Klima- und Transformationsfonds und des Wirtschaftsstabilisierungsfonds geht", sagte Hüther dem Nachrichtenportal ntv. "Die Bundesregierung muss nun schnellstens einen verfassungskonformen Haushalt für 2024 erstellen. Die lähmende Wirkung auf die ohnehin in der Stagnation verharrende deutsche Volkswirtschaft kann man vermutlich nicht überschätzen." In der Diskussion über die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse plädiert Hüther für eine Reform. Die Politik sei nicht nur durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds (KTF), sondern auch durch sein Klima- Urteil von 2021 gebunden. "2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Das ist eine historische Aufgabe und erfordert erhebliche Investitionen", so der IW-Chef. Eine höhere Verschuldung für größere Spielräume in der Sozialpolitik lehnt er dagegen ab: "Um Gottes willen, das darf natürlich keinesfalls passieren." Hüther unterstreicht, dass auch eine große Steuerreform untere den Bedingungen der heutigen Schuldenbremse kaum möglich sei. Die deutschen Unternehmenssteuersätze seien im internationalen Vergleich sehr hoch. "Unabhängig von der Transformationsaufgabe besteht auch an dieser Stelle Handlungsbedarf."
Steuerzahlerbund für Ausweitung von Haushaltssperren
Der Steuerzahlerbund fordert das Bundesfinanzministerium auf, die erlassene Sperrung von Haushaltsposten für die kommenden Jahre auszuweiten. "Auch mit Blick auf das Haushaltsjahr 2024 sollte weiterhin mit Haushaltssperren gearbeitet werden, bis ein klares Einsparkonzept vorliegt", sagte Präsident Reiner Holznagel der "Rheinischen Post" (Mittwochausgaben). Holznagel weiter: "Die Sperrung von Verpflichtungen für die Zukunft ist die richtige Reaktion auf die Karlsruher Entscheidung." Solange über die Konsequenzen der Entscheidung nicht abschließend Klarheit herrscht, "ist Zurückhaltung bei den Ausgaben das Gebot der Stunde". Das Bundesfinanzministerium müsse zudem prüfen, "ob sofortige Ausgabensperren für konkrete Projekte des laufenden Jahres möglich sind. Auch diesen weitergehenden Schritt lässt die Bundeshaushaltsordnung zu". Sparen müsse die Regierung am Ende so oder so, erklärte Holznagel. "Das deutlich zu hohe Ausgabenvolumen des Bundes muss gedämpft werden."
Middelberg hält Sperrung von Haushaltsposten für "unumgänglich"
Nach der vom Bundesfinanzministerium erlassenen Sperrung von Posten im Haushalt für das laufende Jahr fordert die Union Klarheit über das weitere Vorgehen der Ampel. Fraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) sagte der "Rheinischen Post": "Es muss ausgeschlossen sein, dass die Ampel für 2024 schon wieder in einen verfassungswidrigen Haushalt hineinläuft." Middelberg ergänzte: "Die Haushaltssperre ist unumgänglich, weil das rechtliche Fundament nicht nur des zweiten Nachtrags 2021, sondern auch das des Doppel-Wumms sowie das des gesamten laufenden Haushalts 2023 nach dem Verfassungsgerichtsurteil ungeklärt ist." Die Regierung müsse daher jetzt "zügig und vollständig Klarheit schaffen" über die Folgerungen aus dem Karlsruher Urteil. "Gerade deshalb dürfte auch der Haushalt 2024 in der aktuellen Lage nicht beschlussreif sein", ergänzte der Haushaltsexperte. "Sämtliche Sondervermögen müssen nachgerechnet werden. Außerdem muss klar sein, ob und welche Korrekturen der Haushalt 2023 erfahren muss. Denn die Haushalte bauen aufeinander auf", sagte Middelberg.
Wirtschaftsweise Grimm bringt Rentenkürzungen ins Gespräch
Nach der Haushaltssperre hat sich die Wirtschaftsweise Veronika Grimm für Kürzungen auch bei der Rente ausgesprochen. "Prinzipiell sind Einsparungen bei den Renten möglich", sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Zum Beispiel die Rente ab 63 oder die Mütterrente könnte man zur Disposition stellen. Und bei der Anpassung von Bestandsrenten könnte man weniger Aufwüchse vorsehen. Das wird übrigens schon lange gefordert, unabhängig von dieser Haushaltslage." Grimm mahnte aber auch: "Man muss jetzt aufpassen, dass man keine Schnellschüsse macht." Sparpotenzial gebe es auch bei Subventionen für Unternehmen und Haushalte im Rahmen der Heizungsförderung, sagte das Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft. Grimm sprach sich dafür aus, stärker auf die CO2-Bepreisung als Leitinstrument für den Klimaschutz umzustellen und im Gegenzug die Förderprogramme zurückzufahren. "Die Klimatransformation so stark auf Förderprogramme aufzubauen , ist ohnehin nicht durchhaltbar", sagte sie. "Außerdem könnte man bei Subventionen für fossile Energieträger in Rotstift anlegen. Oder auch bei Agrarsubventionen." Zurückhaltend äußerte sich Grimm zu möglichen Steuererhöhungen. "Ich glaube, wir brauchen eine Steuerreform, die die Unternehmenssteuern von den Einkommensteuern entkoppelt und dann auch die Einkommensbesteuerung anpasst. Aber das macht man nicht von heute auf morgen", sagte die Ökonomin an der Universität Erlangen-Nürnberg. "Es ist wichtig, Entscheidungen über zusätzliche Steuern nicht zu überstürzen und damit die Wachstumschancen zu dämpfen. Das wäre höchst kontraproduktiv." Eine Anpassung der Schuldenbremse im Grundgesetz hält Grimm für unrealistisch. Die dafür nötige Zweidrittelmehrheit im Bundestag "sehe ich nicht". +++









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