Vonderau Museum und Hospiz-Förderverein Fulda zeigen „Noch mal leben.“

„Den Tod aus der Tabuzone herausholen“

„Von Anfang an hatte Barbara Gröne empfunden, sie habe kein Recht zu leben. Ihre Mutter hatte sie nicht gewollt. Sie gab das Kind bald nach der Geburt in ein Heim. Das Kind will überleben. Es errichtet Barrikaden um seine Seele. Schutzwälle gegen die Angst. Am verlässlichsten ist die Disziplin. Eine gute Leistung ist auch eine Existenzberechtigung. Barbara Gröne arbeitet hart. Sie ist eine gute Schülerin. Sie wird Krankengymnastin, macht sich selbständig. Ihr Lebensgefährte bewundert ihre Energie. Sie hat Erfolg. Der Laden läuft. Sie könnte sich zurücklehnen, endlich. Da kommt der Krebs, ein Tumor am Eierstock, Metastasen in den Lendenwirbeln und im Becken. Nichts mehr zu machen. Schlagartig kehrt die Angst zurück. Das alte Gefühl, nichts wert zu sein. Die Trauer. Barbara Gröne ist dagegen völlig wehrlos. „Alle Anstrengung war umsonst“, sagt sie. „Es ist, als hätte das Leben selbst mich verstoßen.“ Barbara Gröne, geboren am 15. Dezember 1951, wurde 51 Jahre alt.

Texte, wie dieser sind ab Morgen, den 19. September, im Vonderau Museum Fulda zu finden, die das städtische Museum in Kooperation mit dem Hospiz-Förderverein „LebensWert“ Fulda e.V. unter dem Titel „Noch mal leben.“ zeigt. Für die „Ausstellung über das Sterben“, wie die seit Wochen vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie erste Ausstellung im Vonderau Museum unterschrieben ist, fotografierte der Fotograf Walter Schels 25 Menschen wenige Monate vor und wenige Stunden nach ihrem Tod. Gemeinsam mit der Journalistin Beate Lakotta begleitete Walter Schels Menschen am Ende des Lebens. Aus den Begegnungen entstanden einfühlsame Porträts von Menschen, die sich ihrer Nähe zum Tod bewusst waren. Die großformatigen Schwarz-Weiß-Fotografien zeigen alte wie junge Menschen, kurz vor und ganz unmittelbar nach ihrem Tod.

„Die Doppelporträts strahlen jene Ruhe aus, die es braucht, um sich mit dem Sterben und der eigenen Sterblichkeit befassen zu können“, heißt es im Klappentext des Flyers zur Ausstellung. Darin weiter: „Es sind menschlich nahe Aufnahmen, die nicht nur berühren, sondern auch hoffnungsvoll stimmen, wie man die letzte Phase des eigenen Lebens sehr bewusst leben kann. Noch mal leben. erzählt von Erfahrungen, Ängsten und Hoffnungen der Sterbenden, die sie selbst zu Wort kommen lässt.“ Die meisten der Porträtierten der Fotoausstellung lebten ihre letzte Zeit in einem Hospiz. Einen Tag vor der Ausstellungseröffnung sprachen Walter Schels und Beate Lakotta im Beisein der Museumsleitung Dr. Frank Verse, dem Leiter des Hospiz-Zentrums Fulda, Wilfried Wanjek und dem Vorstand des Hospiz-Fördervereins in den Gemäuern des Vonderau Museums über ihre Arbeit und Auseinandersetzung mit dem Tod.

Hillenbrand: „Wenn uns Bilder von Toten nicht mehr betroffen machen würden oder wir nicht mehr berührt wären, dann hätten wir unsere Arbeit verfehlt“

„Das Porträtieren von Toten ist keinesfalls eine Gepflogenheit der Neuzeit“, stellt die Journalistin Beate Lakotta zu Beginn heraus. „Darstellungen von Toten gab es bereits im Mittelalter – und auch hier, in der Kapelle des Vonderau Museums, sind – wenn wir uns mal so umschauen – Bilder von Gestorbenen fast allgegenwärtig.“ Ist es ein Tabubruch, Bilder von Toten öffentlich zu zeigen? Gehört der Tod doch nun einmal zum Leben dazu! Warum fällt es den Menschen oft schwer, über den Tod zu sprechen? Mit Fragen wie diesen haben sich auch Walter Schels und Beate Lakotta vor und während ihrer Arbeit mit den Menschen, bei denen abzusehen war, dass ihnen nicht mehr allzu lange bleibt, auseinandergesetzt. „Tod und Sterben wurden erst zum Tabubruch, als dies nicht mehr zu Hause stattgefunden hatte“, sagt Walter Schels, der der Überzeugung ist, „dass der Sterbeprozess und letztlich auch der Tod erst einen negativen Anklang bekamen, als dies nicht mehr zu Hause stattgefunden hatte, sondern in Krankenhäusern und Hospizen und Menschen hiermit dunkle Assoziationen verbinden.“

Auf die Frage, warum es ausgerechnet todkranke wie unmittelbar gestorbene Menschen sind, die Gegenstand dieser Ausstellung geworden sind, hat Walter Schels, der als Kind den Krieg miterlebte, eine simple Antwort: „Wir haben nicht viel darüber nachgedacht; Wir haben es einfach gemacht.“ Schels weiter: „Dadurch, dass ich den Krieg miterlebte und vor diesem Hintergrund viel Unschönes und viele Leichen, die regelrecht niedergemetzelt wurden, gesehen habe, kann ich heute sagen, dass diese Erfahrungen meine Fotografie sehr geprägt haben. Wenn Menschen nach einem langen Leiden gerade eingeschlafen sind, sehen sie im Tod meist erlöst aus, fast so als wären sie friedlich eingeschlafen.“ Dabei war es für den Fotografen, der auch schon Geburten und Prominente fotografiert hat, zu Beginn seiner Arbeit gar nicht mal so leicht, Tote zu fotografieren. „Es war so gruselig“, erinnert sich Walter Schels noch gut an sein erstes von insgesamt 35 Bildern, von denen am Ende 25 Menschen für Noch mal leben. ausgewählt wurden.

Schels: „Es war nicht so als das ich mit keiner Kamera nur darauf gewartet habe, bis sie endlich tot waren“

Manchmal trafen Walter Schels und Beate Lakotta in den Hospizen ein, noch bevor die gerade Verstorbenen „hergerichtet“ wurden. „Es war aber auch nicht so als das ich mit meiner Kamera nur darauf gewartet habe, bis sie endlich tot waren“, so Walter Schels. Auch wenn die Fotoausstellung viele Menschen zeigt, die, bevor Walter Schels sie fotografierte, gewaschen und gekämmt wurden, so ist Noch mal leben. in Text und Bild eine Hommage an die Offenbarung des Lebens, die dem Betrachter den Blick freigibt, für das, was er vermag aus den Bildern zu erkennen und die Transzendenz zwischen Leben und Tod. Der Titel bezeichnet dabei die persönliche Einstellung der Sterbenden zum Leben. Standen diese zu Lebzeiten dem Leben pessimistisch gegenüber, so erkannten sie in der Krankheitsphase und kurz vor ihrem Tod plötzlich die Schönheiten des Lebens.

„Mit der Ausstellung wollen wir den Tod aus der Tabuzone herausholen“, so Silvia Hillenbrand (Bürgermeisterin und Mitglied des Hessischen Landtags a.D.) vom Vorstand des Hospiz-Fördervereins. „Oft wecken Bilder von Toten Assoziationen an Menschen, die wir durch Krankheit verloren haben. Wenn uns jedoch Bilder von Toten nicht mehr betroffen machen würden oder wir nicht mehr berührt wären, dann hätten wir unsere Arbeit verfehlt“, so Hillenbrand aus ihrer Sicht als Sterbebegleiterin stellvertretend für ihre Kolleginnen und Kollegen vom Hospiz-Zentrum Fulda.

Die Ausstellung Noch mal leben., die vom 19. September- bis zum 22. November 2020 im Vonderau Museum Fulda zu besuchen ist, ist Teil eines ganzen Rahmenprogramms, das sich mit den Themen Sterben und Tod – aber auch der Hospizarbeit auseinandersetzt. Die nächste Veranstaltung dieser Art ist am kommenden Freitag, 25. September 2020, um 19.00 Uhr, in der Kapelle des Vonderau Museums Fulda. Prof. Dr. Dr. Gronemeyer spricht unter der Überschrift „Wohin geht die Hospizarbeit? – Zwischen Professionalisierung und Ehrenamt“ über die zukünftige Hospizarbeit. Der Eintritt zu dieser Veranstaltung ist frei, um eine kleine Spende wird gebeten. Weitere Veranstaltungen sind dem Flyer zur Ausstellung Noch mal leben. (u.a. erhältlich im Vonderau Museum Fulda) zu entnehmen. Aufgrund der andauernden Corona-Pandemie gelten auch bei diesen Veranstaltungsformaten die verhängten Schutzmaßnahmen zur Eindämmung des Virus. Interessierte Besucherinnen und Besucher werden gebeten, sich vor Veranstaltungsbesuch auf der Internetpräsenz des Vonderau Museums unter www.museum-fulda.de oder des Hospiz-Fördervereins unter www.hospiz-foerderverein-fulda.de über die jeweiligen Informationen, Veranstaltungen und Veranstaltungsorte zu informieren. Aufgrund der begrenzten Besucherzahl sind Voranmeldungen unabdingbar. Voranmeldungen werden vom Malteser Hospiz-Zentrum unter 0661 869 772 50 sowie per E-Mail unter hospizzentrum.fulda@malteser.org entgegengenommen. +++ ja