Anna Tyshayeva, Michel Gershwin und Dmitrij Gornowskij sind drei Musiker, die sich menschlich und fachlich gut verstehen und oft miteinander auftreten. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, beim Fuldaer Musikfestival immer eine Mischung aus musikalischen Entdeckungen und Bekanntem vorzustellen. Damit sind Fuldaer Musikfreunde vertraut, denn im Dom verfolgt Domkapellmeister Huber ein ähnliches Konzept.
Wiederentdeckung eines Komponisten
Das von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit GCJZ in Kooperation mit der Stadt Fulda veranstaltete Konzert stellte den Komponisten, Musikpädagogen und Pianisten Salomon Jadassohn ins Zentrum. Im 19. Jahrhundert war er eine Koryphäe, geriet dann aber in Vergessenheit. Der in Breslau geborene Salomon Jadassohn (1831-1902) lehrte am Leipziger Konservatorium und leitete den Leipziger Synagogenchor. Er muss ein großartiger Musikpädagoge gewesen sein, den seine Schüler sehr verehrten. Komponiert hat er viel und vielfältig – Sinfonien, Serenaden, Klavierkonzerte, Kammermusik und geistliche Werke. Leipzig verlieh ihm die Ehrendoktorwürde und berief ihn zum Professor. Die Bürgerrechte der Stadt allerdings erhielt Jadassohn nie – weil er nicht in Leipzig geboren war. Im NS-Staat wurde er als jüdischer Komponist verboten. Davon erholte Jadassohn sich nie mehr – sein Werk blieb auch nach 1945 im Dunkeln. Umso höher einzuschätzen ist die Entdeckerfreude von Tyshayeva und Gershwin.
Jadassohns viersätzige Sonata (1857) für Violine und Klavier in g-moll arbeitet die Charakteristika beider Instrumente gut heraus, ohne dabei technisch allzu anspruchsvoll zu sein. Es ist ein wunderbares Werk eines so klugen Komponisten wie Pädagogen, weil beide Instrumentalisten damit ihre Fähigkeiten gut ‚präsentieren‘ können. Sehr spannend war der Vergleich mit der danach gespielten Sonatina No. 1 in D-Dur für Violine und Klavier von Franz Schubert. Sie entstand mit zwei weiteren Violinsonaten 1816, es sind Stücke von großer Intimität, Kammermusik im ursprünglichen Sinn und weniger für die große Konzertbühne gedacht. Die Sonatina ist ein wunderbares Beispiel für Schuberts Melodik, insbesondere der Mittelsatz (Andante) bringt einen fast zum Dahinschmelzen.
Musikerfreundschaften
Dann hörten wir Joseph Joachims Romanze op.2 No. 1 in C-Dur (1855). Joachim ist den meisten heute als Geiger von Weltrang bekannt, er war aber auch ein hervorragender Komponist. Natürlich kann man mit dieser Romanze seine geigerische Virtuosität unter Beweis stellen – und das tat Michel Gershwin zur Begeisterung des Publikums dann auch. Es folgten zwei ungarische Tänze von Johannes Brahms, der mit Joachim eng befreundet war – und das war natürlich ein höchst effektvoller Ausstieg zur Pause. Anna Tyshayeva spielte dann eine Etüde von Carl Czerny. Man kennt Czerny heute v.a. für seine Etüden, jedenfalls dann, wenn man Klavierschüler ist. Zu Czernys Zeiten war es normal, dass jeder, der ein Instrument erlernte, Werke anderer spielte, aber eben auch eigene Kompositionen, und v.a. die Kunst der Improvisation beherrschte. Versteht man Czernys Etüden als Anleitung zur Improvisation, wird man ihm gerechter, als wenn man sie nur stur nachspielt. Dann folgte ein kleines Beethoven-Trio, und auch das war wieder beziehungsreich, denn Czerny war Beethoven-Schüler.
Fräulein Klarinette – eine späte, große Liebe
Hinter dem letzten Stück des Konzerts, dem Klarinetten-Trio in a-moll op. 114 von Johannes Brahms steckt eine wunderschöne Geschichte. Brahms hatte 1890 beschlossen, mit dem Komponieren aufzuhören. Was für ein Glück, dass er den Meininger Klarinettisten Richard Mühlfeld mit Mozarts Klarinettenquintett hörte, der Welt wäre sonst etwas entgangen! Brahms verfiel Mühlfelds Klarinette, die er fortan „Fräulein Klarinette“ nannte, und komponierte mehrere Stücke für die Klarinette und für Mühlfeld. An diesem Abend erklang eine Version des Klarinetten-Trios ‚mit ohne Klarinette, dafür aber mit Geige‘ – Michel Gershwin hatte den Klarinettenpart für Geige transkribiert. Funktioniert das? Aber ja – Geige wie Klarinette können ’singen‘ wie kaum ein anderes Instrument. Und damit war man auch nah dran an Brahms, der eine Viola als mögliche alternative Besetzung zur Klarinette vorgesehen hatte. Wunderbare Musik ist das, abgeklärt und verhalten. Die Klarinette ist in diesem Trio weniger Solist als ‚primus inter pares‘, die Instrumente sind gleichberechtigt – fast wirkt das Trio wie ein Gespräch. Tyshayeva, Gershwin und Gornowskij wurden mit standing ovations belohnt und kamen natürlich nicht ohne Zugabe von der Bühne. +++ pm/jh
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