Virologe Schmidt-Chanasit kritisiert wissenschaftliche Verfahren

Viele Daten ohne Qualitätskontrolle

Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit übt scharfe Kritik an den derzeit üblichen Verfahren in der Virenforschung. „Das ganze System ist relativ krank, da wird viel Geld verdient, aber diejenigen, die die wissenschaftliche Arbeit machen, kriegen meistens gar nichts“, sagte der Leiter der Virusdiagnostik des Bernhard Nocht Instituts für Tropenmedizin „ntv“. Normalerweise werde ein Ergebnis zunächst in einem „Peer Review“ von anderen Forschern begutachtet und erscheine erst danach in einem Fachjournal, so Schmidt-Chanasit.

Doch in Corona-Zeiten werden laut dem Forscher viele Ergebnisse schon vorab veröffentlicht. „Für diese Vorab-Publikationen wirbt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sie sagt: Der normale Prozess dauert zu lange, wir können nicht drei Monate warten, bis eine Studie durch ein Peer Review gegangen ist und dann ein Journal das Ergebnis veröffentlicht. Wir brauchen diese Daten schneller, um reagieren zu können.“ Daher werde der wissenschaftliche Diskurs nun auf öffentlichen Plattformen geführt. Das führe dazu, „dass viele Daten ohne Qualitätskontrolle, völlig ungefiltert als Pre-Publikation erscheinen. Da werden falsche Ergebnisse hochgeladen, und die werden dann diskutiert. Jeder kann auf diesen Servern etwas hochladen, ohne Expertise“, kritisierte Schmidt-Chanasit. „Das ist das Twitter der Wissenschaft.“ Viele könnten damit nicht umgehen und „verstehen es falsch“, so der Forscher.

Dadurch komme es zu Problemen wie aktuell mit der Studie des Berliner Charité-Virologen Christian Drosten. Der war von der Bild-Zeitung aggressiv dafür angegangen worden, dass seine Studie zu Viruslast bei Kindern in Fachkreisen auch kritisch bewertet wurde. Ein völlig normales Verfahren laut Schmidt-Chanasit. Der Wissenschaftler empfiehlt, das Bewertungsverfahren wieder aus der Öffentlichkeit herauszunehmen und an anderer Stelle Zeit zu sparen. „Man könnte zu den Verlagen, den Fachmagazinen sagen: Beschleunigt Ihr bitte Eure Prozesse. Bezahlt vor allem diesen wichtigen Peer Review-Prozess, denn das machen alle Wissenschaftler umsonst. Das ist eine unheimliche Belastung.“ Wenn jeder Reviewer 500 Dollar mit seiner Arbeit verdienen würde, könne der Prozess laut Schmidt-Chanasit deutlich verkürzt werden. „Da könnte man zu den Fachjournalen auch sagen: Jetzt, in der Pandemie-Situation müsst Ihr so ein Papier mal in einer Woche durchbringen.“ +++