Über die Holk-Freytag-Debatte und Vergleiche, die „nicht gehen“

Kultur

Fulda. Unter dem Titel „Was darf Kultur kosten?“ konnten wir am Donnerstag in Fuldas einziger führender Tageszeitung wieder mal lesen, „wie es nicht geht“: Unter dem Thema „Baustelle Kulturfinanzierung“ wird die Entlassung von Holk Freytag der Hersfelder Festspiele angesprochen. Zur Sache: Ein bekannter Theatermann, der die Festspiele zu einem renommierten Schauspielort gemacht hatte, wurde vom FDP-Bürgermeister während der laufenden Saison fristlos entlassen. Freytag habe sein Budget wiederholt „massiv“ überschritten und außerdem (nicht widerlegte Aussage der Stadt Bad Hersfeld) ausgemachte Sparvorhaben nicht eingehalten. Der Steuerzahler müsse nun die Zeche zahlen, daher habe der Bürgermeister Recht getan, als er den Geldhahn zugedreht und Freytag gechasst habe – so der Tenor des Artikels. Immerhin stehe am Ende der Steuerzahler in der Pflicht, die Zeche zu zahlen.

Das Praktische: Bei „Deutschland, so geht’s nicht!“ wird auch immer gleich die Lösung des Problems mitgeliefert. Gott sei Dank! Unter „So geht’s besser!“ wird uns gleich gezeigt, wie es „richtig“ funktioniert. Nämlich in Fulda! Aber hier reibt man sich schon die Augen: Paradebeispiel für das Gleichgewicht zwischen Kulturgenuss und Profitabilität ist die „spotlight Musicalproduktion“ – verantwortlich für Musicals wie „Die Päpstin“, „Adolf Kolping“ oder „Friedrich – Mythos und Tragödie“.

Soweit der Sachstand. Damit können wir nun eigentlich zuerst vorab einige staunenswerte Dinge feststellen, die nun wirklich „nicht gehen“: Erstens, dass mit selbst kreierten Themenserien völlig einfach ganze Seiten in einer ohnehin (wenn man von den Wiesnmädeln, Seifenkisten, Schlaufüchsenaktionen und seitenweise Leserfotos absieht) inhaltsmäßig mehr als dünnen Zeitung füllen kann.

Aber zur Sache: Einiges im Artikel ist wahr. Wer es schafft, international renommierte, große Produktionen auf die Beine zu stellen, von dem darf man auch erwarten, dass er seine Finanzen einigermaßen im Griff hat. Auch Theaterleute müssen sich an Spielregeln halten. Und Steuergelder sollten nicht zum Fenster rausgeschmissen werden.

Es ist auch lobenswert, dass eine Zeitung der Stadt, aus der sie kommt, so die Treue hält, dass sie die spotlight-Produktionen auf den Rang der Bad Hersfelder Festspiele hieven möchte. Das Stadtmarketing wird dankbar sein. Dennoch stellt sich bei diesem Vergleich leichtes Unbehagen ein. Zwar wird auch in Bad Hersfeld versucht, allen Geschmäckern gerecht zu werden, und Stücke wie „Kiss me Kate“ oder die „Wanderhure“ sind Ausdruck dieser Anstrengung.

Wie auch immer man aber zu Freytag stand – die Qualität seiner Aufführungen waren auch bei seinen Kritikern unbestritten. Die Stiftsruine in Hersfeld ist eine grandiose Kulisse, in der so mancher Theaterfreund auf seine Kosten kam. Und spätestens, als Bundespräsident Gauck seinen österreichischen Kollegen nach Hersfeld zu Schillers „Maria Stuart“ einlud, um sich damit für eine Einladung zu den Salzburger Festspielen zu revanchieren, wurde klar: Die Stiftsruine spielt in einer anderen Liga. Sorry, Spotlight.

Und dabei haben die Fuldaer Produktionen noch nicht einmal den Segen selbst duldsamer Theologen: Bischof Heinz Josef Algermissen äußerte anlässlich der Uraufführung der „Päpstin“ 2011 deutlich sein Missfallen: Der Bischof des Bistums Fulda erklärte, schon der zugrunde liegende Roman sei ein „saudummer literarischer Stoff“ und eine „frivole Fiktion“. Gleiches gilt leider auch für den Versuch, Spotlights Musicalkreationen mit den Hersfelder Festspielen zu vergleichen.

Und auch Friedrich II, der klassisch gebildete, französisch sprechende Monarch der Aufklärung, hat sich zu seinem 300. Geburtstag 2012 wahrscheinlich bestürzt im Grab umgedreht, als sein alter ego zum ersten Mal im Schlosstheater die lahm rockende Version eines Songs namens „Sterbekittel“ sang oder zu Duetten wie „Spiel mich – und mach‘ mich zu deiner Musik“ mit der Geliebten in die Rokoko-Bettstatt fiel. Nicht zu Klängen der Querflöte, sondern aus der elektronischen Konserve.

Im Zeitungsartikel bemängelt der Autor, es gebe zu viele Theater und Opernhäuser in Deutschland. Alle könnten sich nicht selbst tragen, jeder Steuerzahler würde die Tickets mitfinanzieren. Wieder richtig – Theater, Opernhäuser, Orchester, Tanzcompagnien etc. sind fast immer „Verlustsparten“ – wie viele Sparten des öffentlichen Lebens übrigens, die von Kommunen, Landkreisen oder Bundesländern getragen werden müssen. Keine Frage: Kultur muss man sich leisten können. Man muss sie sich politisch leisten wollen. Und zwar Kulturveranstaltungen jeglicher Couleur. Es gibt selbstverliebte Theaterleute. Es gibt aber auch eitle Bürgermeister. Beide sind äußerst schlecht für die Kulturlandschaft.

Der Autor moniert außerdem, den deutschen Opernhäusern sei der Generationenwechsel bei den Zuschauern bis heute nicht gelungen. Das mag sein. Der Vergleich mit Spotlight scheint hier aber mehr als gewagt, denn, wie böse Zungen behaupten, ähnele die Schlange vor dem Verkaufsschalter des Musicals in der Schlossstraße nicht selten der Heizdeckenausgabe bei einer Kaffeefahrt.

Und: Ja, die Musicals sind ein Standortfaktor – und damit sehr gut für Fulda. Spotlight hat schnell erkannt, dass man die derzeit (und künftig) finanzstärkste demografische Gruppe (Rentner) gut mit Stoffen anspricht, die durch den entferntesten Bezug zur Kirche (fiktive Heiligenbiographien) oder zur Historie (fiktive Herrscherbiographien) buchstäblich „geadelt“ sind, kein Klischee auslassen und sich vor allem dadurch auszeichnen, dass ihnen die positiven wie negativen Merkmale des Theaters (unbequeme Kontroversen, Blut, Sex und Tränen, Stoff zum Nachdenken, eine neue Art, die Welt zu sehen) fehlen.

All das ist völlig in Ordnung. Keine Frage, auch diese Art der Unterhaltung hat ihre Berechtigung. Oder, wie Friedrich II sagte: „Jeder soll nach seiner Façon selig werden.“ Auch für die (sehr) leichte Muse gibt es Ort und Zeit. Nur Programmkino ist ermüdend – manchmal muss es die Seifenoper sein. Trotzdem würde wohl niemand auf die Idee kommen, den „König der Löwen“ (kommerziell ein absoluter Erfolgsfaktor für die Stadt Hamburg) mit Goethes „Faust“ zu vergleichen. Oder gar verlangen, nur noch den König der Löwen zu spielen – immerhin kann der sich selbst finanzieren!! *Ironie aus*.

Und manchmal macht man sich eben schon Sorgen. Bonifatius, Elisabeth von Thüringen, Adolf Kolping: Es scheint, als habe Spotlight vor, die gesamte Heiligenlitanei buchstäblich durchsingen zu lassen. Da haben wir noch einiges vor uns, denn das aktuelle Verzeichnis der Katholischen Kirche umfasst mehr als 6.500 Heilige und Selige. Auweia! Selbst der rüstigste Rentner wird nicht die nächsten 6.500 Musicalsommer überstehen. Dann wird man sich wohl was Neues einfallen lassen müssen in Fulda. Die Hoffnung stirbt zuletzt. +++ fuldainfo – Kommentar | S. Dürr