TTIP: Podiumsdiskussion brachte wenig Licht hinter das Freihandelsabkommen

Fulda. Trotz aller redlicher Bemühungen des CDU Europaabgeordneten Thomas Mann, das zwischen den USA und Europa angestrebten Freihandelsabkommen TTIP, in ein positives Licht zu rücken, überwog bei den meisten der knapp einhundert Besuchern der von der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) Diözesanverband initiierten Veranstaltung im Fuldaer Bonifatiushaus zum Schluss die Skepsis bis hin zur Ablehnung. Zusammen mit neun Kooperationspartnern präsentierte die KAB neben Mann auf dem Podium die Bundestagsabgeordneten Sabine Leidig (Die LINKE) und Nicole Maisch (BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN), den Vizepräsidenten der IHK Fulda und Geschäftsführer von tegut, Thomas Gutberlet sowie den Aachender KAB Diözesanvorsitzenden Volkswirt Ralf Welter. Die Diskussion leitete der Journalist Rudolf Letschert aus Bad Aibling.

„Wir haben schon einiges an Transparenz gewonnen“ wusste Thomas Mann einen Tag nach der Abstimmung im Europäischen Parlament zu berichten. Während es seitens der Verhandlungsführer der EU-Kommission zunächst den Wunsch gab, nur den EU-Handelsausschuss einzubeziehen, haben sich nunmehr eine Reihe von Ausschüssen mit der Problematik auseinandergesetzt. Über 180 Änderungsvorschläge wurden von diesen erarbeitetet und mit der Abstimmung letzter Woche mit einer Mehrheit von 435 Stimmen gegenüber 241 Nein-Stimmen und 32 Enthaltungen, der EU-Kommission als Empfehlung des EU-Parlaments mit auf den Verhandlungsweg gegeben. „Dass dies möglich war ist auch dem starken zivilgesellschaftlichen Engagement zu verdanken“ betonte Mann und forderte dazu auf, auch weiterhin die Entwicklung kritisch mit zu verfolgen. Er selbst steht dem Abkommen grundsätzlich positiv gegenüber und sieht in TTIP ein Instrument für nachhaltiges Wachstum. „Meine Zustimmung erhält dieses jedoch nur unter den Bedingungen, dass bestimmte soziale und ökologische Standards erhalten bleiben“ und führte beispielhaft dazu aus, dass gerade auch europäische Agrarprodukte nicht benachteiligt werden dürften. In einer Negativ-Liste müssten die Ausnahmeregelungen klar definiert werden, dazu gehörte u. a. auch die öffentliche Daseinsvorsorge. Inwieweit seine persönlichen Vorstellungen als auch die vom Parlament beschlossenen Änderungsvorschläge in den Verhandlungen Berücksichtigung finden werden, bleibt abzuwarten.

Sabine Leidig stellte infrage, ob es überhaupt notwendig sei, den globalen Handel noch zu steigern. „Wir leben in einer Konsumgesellschaft, in der wir eher darüber nachdenken müssen, an welcher Stelle wir uns der Konsumlogik mehr entziehen müssten“. Sie befürchtet, dass durch den geplanten Abbau von nicht tarifären Handelshemmnissen und die damit verbundene „Harmonisierung“ eher der Wirtschaft als den Menschen gedient sei. „Wenn Politik sich hier einmischt, müssten mehr Rahmenbedingungen für ein sozial-ökologisches Wirtschaften im Vordergrund stehen“ so Leidig. Die Art und Weise der Verhandlungen, wie bisher auch veröffentlichte Teile des Abkommens, sind für die streitbare Linke ein Generalangriff auf die Demokratie und führten zur Aushöhlung und Delegitimierung europäischer Politik.

Nicole Maisch (BÜNDNIS90/DIE GRÜNBEN) forderte, dass für Handelsbeziehungen klare Standards vorgegeben sein müssen. Nur wenn Standards von den Partnern gegenseitig anerkannt würden, könne es auch zu einem fairen Handel und Wirtschaften auf Augenhöhe zwischen den Wirtschaftsmächten führen. Derzeit sei sie jedoch stark beunruhigt, das offensichtlich nur die jeweils niedrigeren Standards in dem Abkommen Bestand hätten. Wie ihre Bundestagskollegin und auch Ralf Welter von der KAB kritisierte sie die Planung der Einrichtung von privaten Schiedsgerichten. Auch der derzeitige Kompromissvorschlag, staatliche Richter in Schiedsgerichte einzuberufen überzeugt Maisch nicht. Vielmehr sollten die vorhandenen Strukturen der Gerichtsbarkeit genutzt werden.

Thomas Gutberlet appellierte für ein Abkommen, dass von Ausgewogenheit gekennzeichnet sein sollte. Er verwies darauf, dass mit diesem Abkommen die persönliche soziale Wirklichkeit der Menschen verändert würde und merkte deshalb an, dass Handel ohne einen Ordnungsrahmen keine Vorteile bringen würde. Als IHK Vizepräsident plädiere er für die Förderung des Handels auch durch entsprechende bilaterale Abkommen, wenn diese dazu dienen Unsicherheiten in unterschiedlichen Rechtssystem wie auch Handelshemmnisse zu beseitigen. Dabei müssten jedoch die unterschiedlichsten Gegebenheiten, vom kleinen über mittlere bis hin zu Großbetrieben und deren Wohlergehen Berücksichtigung finden. Als Geschäftsführer von tegut sieht er mögliche Aufweichungen bei Lebensmittelstandards durch TTIP nicht ohne Skepsis. Die in seinem Konzern gelebte Nachhaltigkeitsphilosophie hofft er dennoch, weiter praktizieren zu können. Insgesamt sei die Lebensmittelbranche gegenüber TTIP neutral bis positiv gestimmt. Einzig ein großer Konzern in Österreich habe sich aufgrund einer befürchteten Beeinträchtigung des „Regionalitätsprinzips“ klar gegen TTIP ausgesprochen.

Aufgrund der derzeit vorliegenden Erkenntnisse über den Verhandlungsstand sieht der KAB´ler Volkswirt Ralf Welter kaum einen Spielraum, sich für TTIP auszusprechen. Die im Investitionsschutzabkommen geplanten Schiedsgerichte entsprechen keinen demokratischen Grundsätzen. Auch die Art der Verhandlungen lassen nach seiner Ansicht demokratische Regeln außeracht. Er gibt Mann zwar Recht, dass durch das konzertierte Engagement von vielen Nichtregierungsorganisationen dies auch bei den EU-Parlamentariern wahrgenommen wird, aber am Verhandlungstisch der EU-Kommission seien diese, im Gegensatz zu den Konzernvertretern immer noch nicht dabei. „Dies kann nicht sein, handelt es sich doch bei dem Freihandelsabkommen nicht um irgendein Abkommen zwischen zwei Vertragsparteien, sondern um einen Gesellschaftsvertrag, der unsere Lebenswirklichkeit beeinflussen wird“ so Welter. Stark zweifelt er das in Aussicht gestellte „Wohlstandswachstum“ an und verweist darauf, dass seit 1950 der Handel auf das 40-fache gestiegen sei, das Bruttoinlandsprodukt im gleichen Zeitraum jedoch nur auf das 8,5 fache. Im Gegenteil sieht er deutliche Gefahren nicht nur für Verbraucher und Arbeitnehmer aufgrund möglicher Einschränkungen bei ökologischen und sozialen Standards, sondern auch für viele mittelständige Unternehmen in Europa, die gerade von „Nischenprodukten“ leben. „Eine Angleichung technischer Standards birgt die Gefahr, dass ´Billigproduktionen´ noch mehr Gewicht erhalten und diese Produkte werden dann eher in Billiglohnländern produziert“ fürchtet Welter sogar mögliche Einbrüche auf dem europäischen Arbeitsmarkt. Insbesondere sieht er auch eine Gefährdung in den Entwicklungsländern. Produktionsbereiche, die dort derzeit aufgebaut werden und am wachsen sind, werden in vielen Fällen dann nicht mehr Stand halten können. „Wir als KAB verweigern uns nicht, einer vernünftigen Beseitigung von Handelshemmnissen“ so der Aachener KAB Vorsitzende. Dies bedürfe jedoch einer Positivliste, das heißt, einem Abkommen, dass dezidiert aufzählt, wo etwas verändert werden kann und sollte und nicht einer Negativliste, die alle Wirtschafts- und Lebensbereiche betreffe bis auf einige genannte Ausnahmen. „Wenn das Abkommen erst einmal umgesetzt wird, kann es sein, dass erst an dieser Stelle auffällt, welche Ausnahmen man eigentlich noch hätte benennen müssen. Dann wird es aber zu spät sein“ befürchtet Welter.

Eine angeregte Diskussion mit dem Publikum machte deutlich, dass die große Zahl von ungeklärten Fragen, die wohl aufgrund der „Geheimverhandlungsstrategien“ auch nicht geklärt werden dürften bevor das Gesamtpaket zur Abstimmung vorliegt, auf wenig Gegenliebe stößt. So blieb auch Michael Schmitt, KAB Diözesansekretär, der sich für die Veranstalter bei den Podiumsteilnehmern mit einem fair gehandelten Kaffeepräsent bedankte, nur übrig, darum zu bitten die Verhandlungen um TTIP weiter kritisch zu begleiten und lud gleichzeitig zur geplanten Großdemonstration am 10. Oktober in Berlin ein. +++ fuldainfo

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