Es sei ein ganz anderes Klima dort, mediterrane Temperaturen halt, und man fühle sich einfach wohler als hierzulande. Dort, wo andere Urlaub machen auf einer der fünf Kanarischen Inseln vor der afrikanischen Westküste, hielt sich kürzlich auch Andreas Stöcklein auf. Sein Job aber war harte Arbeit. Knochenharte Arbeit. Er stellte sich der Herausforderung „Ironman auf Lanzarote“. Und sie mündete auf grandiose Weise für den Athleten: Er qualifizierte sich für die WM in Nizza am 14. September - soweit die sportliche Seite. Mindestens ebenso großen Wert aber hat die menschliche. Beide Ebenen sind eng verknüpft, doch geht die menschliche oft unter in der Wahrnehmung. Denn Stöcklein machte Erfahrungen. Viele Erfahrungen. Doch lesen Sie selbst.
Stets mehr als 30 Grad, auf der Laufstrecke locker 35, die Sonne habe da nur so reingeknallt, war Stöcklein bei sich, „das war okay“, sagt er. Der 51-Jährige, der seit mehr als zehn Jahren Triathlon betreibt und 2014 beim 1. FC Gershausen seinen ersten Triathlon bestritt, ordnet sein Abenteuer ein. „Ich war stolz auf meine Erlebnisse bisher. Jetzt sollte es halt mal was anderes sein. Ich wollte die Grenzen verschieben.“ Und der Wettkampf wurde zum „härtesten“, den ihm sein sportliches Leben bisher bot. Nicht nur der Reiz war darin enthalten - auch, gegen die Bedingungen der Insel anzukämpfen, sich zu behaupten und durchzusetzen, Widrigkeiten zu trotzen. Sie zu überwinden. Als Sieger daraus hervorzugehen. Und irgendwie ins Ziel zu kommen. Die Distanzen des Ironman Lanzarote: 3,8 Kilometer Schwimmen im kristallklaren Wasser des Playa Grande, 180 Kilometer Radfahren durch Vulkanlandschaften und über Bergstraßen; hier galt es, 2.500 Höhenmeter zu absolvieren - mehr, viel mehr, als es Stöcklein bei seinen bisherigen Langdistanzen in Roth, Frankfurt oder Hamburg gewohnt war. Hinzu kam natürlich der Marathonlauf von 42,195 Kilometern; auch wenn das Panorama malerisch erschien: entlang der Küste Lanzarotes.
Auch der Wind machte so manchem zu schaffen. Kurz zuvor hatte Stöcklein in Vorbereitung auf den Ironman zwar an einem Trainingslager auf Lanzarote teilgenommen und die Möglichkeit, sich mit den Bedingungen anzufreunden oder sie kennenzulernen - doch Wettkampf ist eben Wettkampf, Tagesform ist Tagesform. „Ich wusste, was auf mich zukommt“, „Passatwinde. 40 Kilometer pro Stunde wehen dir da entgegen. Und Böen, die 70 Kilometer in der Stunde erreichen. Und dir ans Rad schlagen“. Doch „Stöcki“ war sich sicher: dieser Herausforderung wollte er sich stellen. Das wollte er erleben. Und durchleben. Zudem hatte er ja einen prominenten und verlässlichen Mitstreiter. Einen Supporter, wie er im Buche steht: Christian Jung, jahrelanger Trainingspartner und Weggefährte beim SC Neukirchen. Der hatte den Ironman auf Lanzarote schon absolviert. „Stöcki“ urteilt und benennt ihr Miteinander so: „Wir ergänzen uns ganz gut. Er ist der Optimist, ich der Realist.“ Bereits bei der 70.3-Weltmeisterschaft im finnischen Lahti traten sie Seite an Seite auf.
Der Triathlet aus Kirchheim-Rotterterode hatte sich bewusst darauf eingelassen, und er wusste, dass dieser Wettkampf etwas mit ihm machen würde als Mensch. Heute blickt er voller Stolz zurück. Stolz, dass er das schaffte, was er sich vorgenommen hatte. Und er blickte im gleichen Atemzug auf seine jüngere Vergangenheit zurück. Er hatte aufgehört, zu rauchen. Seit Jahren schon trinkt er keinen Schluck Alkohol mehr. Nachdem er aufgehört hatte mit dem Fußball, kaufte er sich ein Rennrad. Er hatte zugelegt an Gewicht, das Rad sollte ihm helfen, runterzukommen. Und ein Schlüssel-Erlebnis folgte auf dem Fuß. Als er mal nach Hause kam, lief der Ironman Frankfurt im TV. Stöcklein war begeistert. Infiziert. Das ließ ihn nicht mehr los.
Auch Rückschläge brachten ihn von seinem Weg und Zielen nicht ab. 2016 war er lange krank. Später legte sich der Corona-Schleier übers Land. 2021, also vor drei Jahren, folgte der erste Fixpunkt in Stöckis Triathlon-Leben: Er absolvierte seine erste Langdistanz. Und roch am rauen Sportlerleben, das intensiv war und Disziplin abverlangte - aber irgendwie sein Herz berührte. „Das Training macht mir unheimlich viel Spaß“, sagt er heute, „es gibt keinen Tag, an dem ich keinen Bock hab‘, mich zu bewegen“. Und er sinniert darüber, was alle in sich tragen, die sich in diesen Sport verbeißen. „Irgendwann und irgendwo war mal der Traum von Hawaii im Hinterkopf.“ Nun hat er ihn verwirklichen können mit der Teilnahme in Nizza; der französische Glamour-Ort am Mittelmeer und Hawaii wechseln sich ja noch ab mit der Gastgeber-Rolle der WM.
Was Stöckleins Leistung im Lebens-Abschnitt Triathlon so wertvoll macht: Er hat seine innere Mitte gefunden. Ehrgeiz ja - und wer ihn kennt, der weiß, wie es sich mitunter anfühlt und wie es schmeckt. Bestmögliche Platzierungen sollen herausspringen - aber nicht um jeden Preis. Er muss mit sich zufrieden sein - das ist seine oberste Prämisse. Er ruht förmlich in sich. „Ich bin dankbar, dass mein Körper das alles mitmacht. Es ist ein Geschenk. Ich empfinde es als Privileg.“ Er spürt Dankbarkeit und Demut - das können nicht viele. Stöcki ist - obwohl er in seinem Job als Ausbilder bei der Bundespolizei voll ausgelastet ist - sich der Belastung bewusst. Er bewegt sich im leistungssportlichen Ausdauerbereich. Bemerkenswert, dass er, wie so viele in unseren Breitengraden, nicht mit einem Trainer zusammenarbeitet. Und dann ist ja immer noch das Wichtigste: die Familie. Das alles zu koordinieren, unter einen Hut zu bringen und zu priorisieren: Vielleicht liegt darin so etwas wie ein Geheimnis. Genau darin.
Lesen Sie in Teil zwei, was die drei Distanzen mit Stöcklein machten. Wie er sich in ihnen bewegte. Wie ihm die Quälerei auf dem Rad zu schaffen machte. Wie er damit kämpfte. Sie bestand. Und dennoch ins Ziel kam. Schließlich ist Lanzarote ein Ziel fürs Leben. +++ rl











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