Titanic in der Stiftsruine erleben zu dürfen, ist ein Geschenk

Hubers Titanic-Inszenierung bereichert Festspiele

Bad Hersfeld. Das Hersfelder Publikum scheint ein gutes Gespür für hochwertig inszenierte Bühnenstücke zu haben: Zumindest ließen die Zwischenapplause und die Begeisterung des Publikums sowie der minutenlange Applaus am Ende des Musicals „Titanic“, das gestern bei den 67. Bad Hersfelder Festspielen Premiere feierte, darauf schließen.

Exposition: Das Orchester beginnt zu spielen und noch während der Ouvertüre wird deutlich, es erwartet den Zuschauer eine andere Adaption, wie man sie bislang von Titanic kannte. Förmlich anders, wie bei anderen literarischen Adaptionen, gewährt Stefan Hubers Musicaladaption dem Rezipienten Einblick in die Erfüllungen angestrebter Ziele und Sehnsüchte unterschiedlicher Charaktere, Träume und Hoffnungen eines besseren Lebens, einer Welt die für sie die Erfüllung ihres Lebens ist. Wie irrelevant im Angesicht des Todes Klassenunterschiede sind, zeigt sich nicht nur im Charakter des Schiffskonstrukteurs Thomas Andrews (gespielt von Alen Hodzovic), der im Stück nicht nur eine wesentliche Schlüsselfunktion einnimmt, sondern auch als Gegenspieler (Antagonist) zu dem Direktor der White Star Line J. Bruce Ismay (gespielt von Frank Winkels), die eigentliche Handlungsfigur (Protagonist) des Stückes, fungiert. Deutlich werden diese Rollen kurz nach der Kollision im Funkraum, als es bei den gegenseitigen Schuldzuweisungen zur Auseinandersetzung zwischen den beiden Handlungsträgern kommt. Captain E. J. Smith (gespielt von Michael Flöth), der ebenfalls anwesend ist, nimmt im Stück nur eine Nebenrolle ein; Zwar ist er, als Kapitän, Befehlsgeber, jedoch wird er in diesen von Ismay wesentlich beeinflusst und so zu den Handlungen überhaupt erst angetrieben. Ist Ismay vor der Kollision mit dem Eisberg noch vom Größenwahn besessen und auf Sensationsschlagzeilen aus, so beginnt nach der Kollision seine Fassade langsam zu bröckeln. Am Ende der Handlung, ist Ismay nicht mehr dieselbe Person, wie einst zu Beginn der Handlung; Er, in seinen wesentlichen, vom Größenwahn besessenen Charakterzügen, im Angesicht seines eigenen Todes und dem von so vieler unschuldiger Menschen, gebrochen.

„Titanic – das Musical“ von Stefan Huber, fungiert schon deshalb als Meisterwerk, weil es dem Regisseur gelingt, genau jenen Charakter in seiner Rolle zu negativieren, – nämlich die des Protagonisten – für dessen Rolle – in Bezug auf die Drama-Musicals von Dr. Michael Kunze – es ungewöhnlich ist, im Stück zu negativieren, um so die Handlung voranzutreiben. Bei Huber – ob absicht- oder unwillkürlich – führt genau diese letztendlich zur Katastrophe. Umgekehrt nimmt bei Hubers Inszenierung der Antagonist (Andrews) – normalerweise negativ angelegt – eine Schlüsselfunktion ein, der dem Protagonisten (Ismay) zwar gegenspielt, ihn jedoch nicht von seinem Willen, die Fahrtgeschwindigkeit der Titanic auf 23 Knoten zu erhöhen, abbringen kann – die Katastrophe bahnt sich an…

„Titanic – das Musical“ ist in vielerlei Hinsicht eine erstklassige Bühneninszenierung und deshalb für die diesjährigen Bad Hersfelder Festspiele als großer Gewinn zu werten. Nicht nur inhaltlich, sondern auch dramaturgisch und choreographisch, ist das Stück toll umgesetzt. Hinzu kommen die Musik und Liedtexte, die unter die Haut gehen und zum Nachdenken anregen. Ebenso erlebens- wie hörenswert, ein Augen- und Ohrenschmaus, sind die Darbietungen des Ensembles und des Orchesters unter der Leitung von Christoph Wohlleben. Ein Klassiker, wie „Titanic“, in der Stiftsruine erleben zu dürfen, ist ein Geschenk; Ein Geschenk, von diesem das Publikum den Darstellern gestern Abend voller Begeisterung sehr viel zurückgab. +++ jessica auth