Tiefensee: Aufbau Ost braucht langen Atem

IWH-Studie mit nur "geringem Neuigkeitswert"

Wolfgang Tiefensee

Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee sieht in der bekannt gewordenen Studie des IWH Halle zur unterschiedlichen Produktivität in Ost- und Westdeutschland einen nur „geringen Neuigkeitswert“. „Der Befund ist nicht neu, und die vorgeschlagenen Rezepte sind überwiegend längst bekannt und teilweise wenig hilfreich“, sagte Tiefensee. „Wer wirtschaftliche Entwicklung nur am Durchschnitt Ost gegen Durchschnitt West misst, wer nur auf Bruttoinlandsprodukt und Produktivität schaut, blendet wichtige andere Parameter aus.“ Zudem würden wieder einmal willkürliche Trennlinien gezogen. „Wenn man Nord- und Süddeutschland miteinander vergleichen würde, erhielte man sicher einen ganz ähnlichen Befund. Trotzdem käme niemand auf die Idee, den Norden als wirtschaftlich abgehängt einzustufen.“ Gerade Thüringen habe bei vielen Indikatoren – Industriearbeitsplatzbesatz, Beschäftigungsquote, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit – inzwischen eine Reihe von westdeutschen Ländern hinter sich gelassen.

Das IWH Halle hat für die Wirtschaft im Osten Deutschlands eine rund 20 Prozent niedrigere Produktivität als in westdeutschen Bundesländern ermittelt. Als Lösung schlagen die Wirtschaftsforscher insbesondere vor, finanzielle Förderung von den ländlichen Räumen noch stärker auf die Städte und Zentren umzulenken. „Das sind Vorschläge vom wirtschaftstheoretischen Reißbrett, die in der Praxis kaum helfen“, kritisierte der Thüringer Wirtschaftsminister. Ganze Landstriche links liegen zu lassen, sei für ihn keine Option, machte Tiefensee deutlich. „Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht, die Investitions- und Forschungsförderung dort zu konzentrieren, wo die Unternehmen und Forschungseinrichtungen beheimatet sind, nämlich in Clustern im ländlichen Raum genauso wie in den Städten.“ Jena, Hermsdorf, das Erfurter Kreuz oder die Industrieregion Südthüringen erfüllen längst die Lokomotivfunktion. „Wir befolgen den Ratschlag des IWH nicht, weil wir die jetzt noch strukturschwächeren Regionen nicht von der Entwicklung abkoppeln wollen.“ Andere Vorschläge der Hallenser Wirtschaftsforscher seien dagegen längst praktizierte Realität, so der Minister weiter: „Thüringen hat in seiner Wirtschaftsförderung längst vom Ziel der Schaffung neuer Arbeitsplätze auf das Ziel höherer Produktivität der Unternehmen umgestellt.“

Die eigentlichen Gründe für die nach wie vor geringere Produktivität im Osten Deutschlands sieht der Wirtschaftsminister vor allem in kleineren Betriebsgrößen, dem Fehlen von Kornzernzentralen und Forschungseinheiten sowie in der demografischen Entwicklung im Land. „Das alles sind Themen, an denen wir längst intensiv arbeiten – bei denen sich aber Erfolge nur langfristig einstellen werden“, so Tiefensee. „Die Überwindung von 40 Jahren deutscher Teilung braucht nun einmal einen langen Atem.“

Immerhin: Mit Ansiedlungen wie der des chinesischen Batteriezellenherstellers CATL in Thüringen oder der Verlegung des europäischen Hauptsitzes des japanischen Turbolader-Spezialisten IHI Charging Systems International in den Freistaat sei das Land in den letzten Monaten große Schritte in diese Richtung gegangen. Künftig seien weiterhin auch Ansiedlungen von Forschungseinrichtungen des Bundes – wie etwa der geplanten Batterieforschungseinrichtung – im Osten Deutschlands notwendig. „Hier gibt es immer noch großen Nachholbedarf“, so Tiefensee. Mit Blick auf die demografische Entwicklung und den daraus resultierenden Fachkräftemangel plant Thüringen für die Zukunft eine gezieltere Anwerbung ausländischer Fachkräfte. „Und natürlich brauchen wir auch bei den Löhnen und Gehältern weiter eine deutliche Aufwärtsbewegung. Wer Fachkräfte halten und neue gewinnen will, der muss sie vernünftig bezahlen.“ Das alles wirke nicht über Nacht, und das sei auch nie seine Erwartung gewesen, so Tiefensee: „Aber ich bin überzeugt: Wir sind auf einem guten Weg. Langfristig werden sich die Erfolge einstellen.“ +++