Steinbrück empfiehlt SPD Neustart mit „Person wie Bernie Sanders“

Peer Steinbrück (SPD)

Der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) macht die globale Finanzkrise der Jahre 2008, 2009 mitverantwortlich für den gravierenden Vertrauensverlust der Volksparteien. „Ich glaube, dass die Finanzkrise am Anfang einer Entwicklung steht, in der Vertrauen in die politische Handlungsfähigkeit und einen regelgebundenen Kapitalismus gegangen ist. Das ist maßgeblich zu Lasten der großen Parteien gegangen“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“ vom Mittwoch. „Bis heute haben weite Teile der Bevölkerung das Gefühl, dass nicht diejenigen, die sich verzockt haben, haften mussten, sondern sie als Steuerzahler“.

Die große Koalition aus Union und SPD musste damals einheimische Banken retten, die mit den Einlagen der Bürger gewettet und verloren hatten. Es habe sich gezeigt, dass Regierungen erpressbar seien, sagte Steinbrück. „Sie mussten diejenigen über Wasser halten, die erkennbar ursächlich gewesen sind für diese Krise.“ Die deutschen Steuerzahler verloren bei der Bankenrettung bislang 60 Milliarden Euro. Steinbrück zufolge ist die Finanzkrise nicht vorbei. „Nein“, sagt er. „Sie wird nur besser bewacht.“ Zwar gebe es mehr Liquiditätspuffer, Eigenkapital und eine bessere Aufsicht. „Aber das Ausmaß an faulen Krediten auf Bankbilanzen ist hoch, die Schulden lasten, der spekulative Anteil bei Derivaten und die Risiken bei Schattenbanken sind nicht zu ignorieren“. Der SPD-Politiker räumte eine politische Mitschuld an der Finanzkrise ein. Damals sei „laut die Arie der Deregulierungen“ gesungen worden, sagte er. Insbesondere die FDP und Teile der Union hatten gefordert, die Vorschriften für Banken zu lockern und im großen Geschäft nach angelsächsischem Vorbild mitzumischen. Die SPD habe sich dem Druck zumindest teilweise gebeugt. Die regierende große Koalition hat es Steinbrück zufolge kaum mehr selbst in der Hand, über ihre Amtszeit zu entscheiden. Das gelte auch für den Verbleib der SPD in der Regierung. „Es sind inzwischen Kräfte am Wirken, die nicht mehr einer strategischen Steuerung durch die jeweilige Parteispitze unterliegen“, sagt er.

Die Wahlen in Bayern und Hessen könnten „eine mehr oder weniger lange Zündschnur entfacht haben, die dazu führt, dass diese Koalition das Ende der Legislatur nicht erreicht.“ Für den Vertrauensverlust bei der SPD macht Steinbrück globale und gesellschaftliche Veränderungen verantwortlich. Man habe es „nicht mehr allein mit einem klassischen materiell-ökonomischen Verteilungskonflikt zu tun, sondern auch mit einem kulturellen Konflikt“. Der konfrontiere „diejenigen, die kosmopolitisch und universalistisch eingestellt und aufgeschlossen sind für Globalisierung, Digitalisierung und Einwanderung mit denjenigen, die sich zurückziehen wollen. Sie fürchten um die Vertrautheit ihrer nachbarschaftlichen Verhältnisse und ihre Selbstgeltung im Wandel, haben Angst vor Überfremdung und den Verlust ihrer Qualifikationen.“ Die SPD werde gewissermaßen Opfer des eigenen Erfolges beim Aufbau eines starken deutschen Wohlfahrtstaates und des Aufstiegs durch Bildung. Nachdem das geschafft sei, werde die SPD „nur noch als Reparaturbetrieb oder als eine Art Krankenwagen der Gesellschaft erlebt, der hier mal einen Rohrbruch abdichtet, mal eine Schraube anzieht und dafür sorgt, dass der Mindestlohn um einen Euro steigt“.

Der große Impetus eines gesellschaftlichen Fortschritts sei verloren gegangen. Der SPD-Kanzlerkandidat von 2013 empfiehlt seiner Partei, „auf die Kernfrage der gesellschaftlichen Konflikte“ zurückzukommen. Man müsse mutig sein, provozieren und zuspitzen. Dazu sei ein Wechsel an der Parteispitze nötig. „Das läuft darauf hinaus, dass die SPD eher eine Person wie Bernie Sanders braucht, nur 30 Jahre jünger“. Um die Gesellschaft fairer und gerechter zu machen, sollte die SPD „eine höhere Erbschaftssteuer fordern, die bei jährlich rund 300 Milliarden Euro Vererbungsmasse nicht nur sechs Milliarden Euro einbringt, sondern mit Freibeträgen auf zwölf Milliarden Euro verdoppelt wird – und dieses Mehraufkommen in Bildung investieren.“ Steinbrück rief die etablierten demokratischen Parteien auf, die Demokratie zu verteidigen. „Die Bürger erwarten von Parteien, dass sie für etwas stehen, das erklären und sich nicht in einer Selbstbezogenheit erschöpfen. Haltung ist ein Schlüsselwort“. +++