Städtetag warnt Bund und Länder vor umfassenden Lockerungen

Kassenärzte fordern Öffnungsstrategien

Städtetagspräsident Burkhard Jung hat Bund und Länder vor der nächsten Corona-Schaltkonferenz am Mittwoch zur Vorsicht bei weiteren Öffnungsschritten aufgerufen. „Umfassende Lockerungen kann es jetzt noch nicht geben“, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Nur ein stabil niedriges Niveau bei den Neuinfektionen bringt uns die Aussicht, einen erneuten exponentiellen Anstieg zu verhindern.“ Jung, der auch Leipziger Oberbürgermeister ist, sagte, man brauche Öffnungsschritte, die durch gute Schutzmaßnahmen und eine passende Teststrategie abgesichert werden. „Wer aber zu viel und zu früh öffnet, den bestraft das Coronavirus.“ Es gebe eine Sehnsucht nach nächsten Öffnungsschritten, aber die Lage sei weiter fragil, mahnte der Präsident Deutschen Städtetages. „Jetzt muss die Gratwanderung gelingen, Perspektiven aufzuzeigen, ohne eine dritte Infektionswelle zu riskieren.“

Kassenärzte fordern Öffnungsstrategien

Vor den neuen Beratungen von Bund und Ländern über die Corona-Lage haben die Kassenärzte ungeachtet der Verbreitung von Mutationen Öffnungsstrategien gefordert. „Das Auftreten von Mutationen ändert nichts daran, dass ein Dauerlockdown keine Option ist“, sagte der Vize-Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Stephan Hofmeister, dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Und weiter: „Wir brauchen jetzt dringend neue Konzepte, die nicht an immer neue, immer niedriger gesetzte Inzidenzwerte geknüpft werden dürfen“, verlangte er mit Blick auf die bisherige Festlegung von Bund und Ländern, wonach es Lockerungen erst bei einer Sieben-Tages-Inzidenz von höchstens 35 geben soll. „Die Zahl 35 ist genauso gegriffen und unwissenschaftlichen wie die Zahl 50“, kritisierte der Mediziner. Hofmeister warnte vor den Folgen eines anhaltenden Lockdowns. „Die Kollateralschäden für die gesamte Gesellschaft, aber insbesondere für Kinder und Jugendliche und die Wirtschaft, sind inzwischen immens“, sagte er. „Bei einer Therapie muss immer wieder diskutiert werden, ob Haupt- und Nebenwirkungen in einem gesunden Verhältnis zueinander stehen. Ist das nicht der Fall, dann muss die Therapie korrigiert werden“, so der Mediziner. Nach wie vor gelte, dass es bei der Bewältigung der Pandemie keinen Königsweg gebe, so der Vize-KBV-Chef. „In den Regionen, wo die strengsten Regeln gelten, erleben wir nicht selten die höchsten Infektionszahlen“, sagte er. Scharfe Kritik übte Hofmeister an der von einigen Wissenschaftlern propagierten „No-Covid-Strategie“. Sie sei naiv, so Hofmeister: „Wir werden mit dem Virus leben müssen, es geht nicht mehr weg.“

Baden-Württembergs Ministerpräsident stellt Datenschutz infrage

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat sich für mehr Pragmatismus im Kampf gegen die Pandemie ausgesprochen. „Es kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein, dass wir uns in einer Pandemie so einmauern beim Thema Datenschutz, dass wir lieber massiv in andere Grundrechte und die Lebensverhältnisse der Bürger eingreifen, und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung völlig unangetastet lassen“, sagte der Spitzenkandidat der Grünen in der kommenden Landtagswahl der „Welt am Sonntag“. Aufgrund des Datenschutzes sei etwa die Corona-Warn-App „nur eine Krücke“, so Kretschmann. In einer solch schweren Krise müsse es doch möglich sein, ein „schnelles, schlagkräftiges, umfassendes Steuerungsinstrument“ zu entwickeln und „dafür auch mal an den Datenschutz zu gehen“. Der Grünen-Politiker fordert, die Debatte über die zeitweilige Einschränkung des Datenschutzes noch in der Pandemie zu führen: „Wenn man zu lange wartet, wird nichts daraus. Wir müssen dieses Problem bald angehen.“ Kretschmann plädierte auch, den Zugang zum Impfstoff für alle Bevölkerungsgruppen zu öffnen, sollte einige Impfstoffe auf Vorbehalte stoßen. „Die Priorisierung ist unbedingt wichtig – zumindest solange der Impfstoff noch Mangelware ist. Zugleich können wir es uns nicht leisten, dass Impfstoff herumsteht und nicht verimpft wird, weil Teile der Berechtigten ihn ablehnen.“ Dann müsse man dieses „strenge Regiment“ auflockern und Menschen impfen, die nach der Priorisierung noch nicht an der Reihe wären. Kretschmann sagte, er habe großen Respekt vor der Prioritätenfestlegung der Ständigen Impfkommission. „Aber es gibt immer auch ein Empfänger-Horizont.“ +++