In der Debatte um die sogenannte „Kindergrundsicherung“ hat der SPD-Fraktionsvize Sönke Rix Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) vorgeworfen, bei seiner Darstellung von Kinderarmut wesentliche Faktoren außer Acht gelassen zu haben. „Wenn der Finanzminister plötzlich wieder den kompletten Ansatz in Frage stellt, ist das schon verwunderlich. Ganz deutlich: Das ist eine Debatte, die längst entschieden ist“, sagte Rix der „Rheinischen Post“. „Wir haben uns in der Koalition gemeinsam auf die Kindergrundsicherung verständigt. Sie wird kommen und sie ist auch das richtige Instrument.“
Kinderarmut gebe es in vielen Formen. „Die Gründe reichen weit über den Bezug von Sozialleistungen wie dem Bürgergeld hinaus: Arbeitslosigkeit der Eltern, niedrige Löhne, unsichere Jobs, Alleinerziehende, familiäre Krisen oder Bildungsungleichheit. Das sind Fakten, die auch dem Finanzminister bekannt sind“, sagte Rix. Die Kindergrundsicherung habe ein klares Ziel: verdeckte Kinderarmut zu bekämpfen. „Denn eben nicht alle Familien in finanzieller Not greifen auf Transferleistungen wie das Bürgergeld zurück. Diese unsichtbare Armut hinterlässt dennoch deutliche Spuren bei den Kindern“, so Rix. Der alarmierende Anstieg der Kinderarmutsgefährdung könne nicht einfach ignoriert werden. „Wenn der Finanzminister und seine Partei nur eine bestimmte Gruppe adressieren wollen, erzeugt das Unrecht und Diskriminierung. Eine Gesellschaft, die einseitige Prioritäten setzt und andere außen vor lässt, riskiert, den gesellschaftlichen Kitt zu zerreißen“, warnte der SPD-Fraktionsvize. Die Kindergrundsicherung müsse sich an drei zentralen Zielen ausrichten: „Um vor Kinderarmut zu schützen und Kindern bessere Teilhabechancen zu ermöglichen, muss mehr Geld direkt bei den Kindern ankommen. Verdeckte Armut muss aufgedeckt und behoben werden. Und für Familien muss es leichter werden, die ihnen zustehenden Leistungen auch in Anspruch zu nehmen“, forderte Rix.
IW sieht Arbeitslosigkeit als Hauptursache für Kinderarmut
In der Debatte um die Kindergrundsicherung hat das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) die Bundesregierung aufgefordert, die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit als Hauptursache von Kinderarmut stärker in den Blick zu nehmen. „Armut in Deutschland hat in ganz starkem Maße mit der Arbeitslosigkeit zu tun: Mehr als 60 Prozent der Arbeitslosen sind armutsgefährdet und verfügen über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens“, sagte IW-Arbeitsmarktexperte Holger Schäfer der „Rheinischen Post“ (Mittwochausgabe). „Bei den Erwerbstätigen sind dagegen weniger als zehn Prozent armutsgefährdet. Das effektivste Mittel gegen Kinderarmut ist daher, dass die Eltern vernünftige Jobs haben“, sagte Schäfer. Bei der Kindergrundsicherung sei es wichtig darauf zu achten, dass durch höhere Transferleistungen nicht der „Anreiz zur Arbeitsaufnahme verringert“ werde. „Es wäre absurd, wenn durch die Kindergrundsicherung das wichtigste Mittel zur Arm utsbekämpfung, nämlich das Erzielen eines eigenen Erwerbseinkommens, konterkariert werden würde“, so Schäfer. Laut einer noch unveröffentlichten IW-Studie verfügen 61 Prozent der insgesamt 900.000 Langzeitarbeitslosen über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Ein Drittel sind Ausländer und zehn Prozent sind Alleinerziehende, so die Studie, die sich auf aktuelle Daten der Bundesagentur für Arbeit beruft. Studienautor Schäfer forderte die Ampel auf, die Ursachen der Kinderarmut konsequenter anzugehen, statt mit der Kindergrundsicherung nur Symptome zu lindern. „Ausländer im Bürgergeld sind im Schnitt sehr viel jünger als die Deutschen im Bürgergeld“, sagte er. Sie hätten oft noch minderjährige Kinder. Programme, die darauf abzielten, Menschen ohne deutschen Pass in dauerhafte und besser bezahlte Jobs zu bringen, seien daher der wichtigste Ansatzpunkt gegen Kinderarmut. „Die meisten Maßnahmen für Zugewanderte – etwa Sprachtrainings und Weiterbildungen – bringen in der Regel sehr gute Fortschritte. Es kommen dadurch nachweislich mehr Ausländer in eine dauerhafte Arbeit“, sagte Schäfer. Ähnlich hatte sich Lindner geäußert. Auch Alleinerziehende seien überdurchschnittlich oft langzeitarbeitslos, so Schäfer. Das liege vor allem an fehlenden Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder. „Wenn die Politik genau bei diesen Punkten ansetzen würde, müsste sie über die Kindergrundsicherung gar nicht nachdenken. Von Kürzungen bei Sprachtrainings und Weiterbildungsangeboten für Bürgergeld-Empfänger sollte die Politik unbedingt absehen“, warnte er mit Blick auf darauf bezogene Kürzungspläne des Arbeitsministeriums im Bundeshaushalt 2024. +++