SPD-Chef Schulz tritt zurück

Kurt Beck beklagt Posten-Chaos in der SPD

Martin Schulz (SPD)
Martin Schulz (SPD)

Berlin. Martin Schulz ist als Parteivorsitzender der SPD zurückgetreten. Der Rücktritt werde „mit dem heutigen Tage“ wirksam, sagte Schulz am Dienstagabend nach der SPD-Präsidiumssitzung im Willy-Brandt-Haus in Berlin, während der Vorstand noch tagte. Am 22. April solle es in Wiesbaden einen SPD-Sonderparteitag geben, auf dem ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin gewählt werde. Das Präsidium habe als Kandidatin einstimmig Andrea Nahles nominiert, sagte Schulz. Er gehe davon aus, dass der Parteivorstand dem folge.

Laut Medienberichten übernimmt Nahles aber nicht wie ursprünglich angekündigt kommissarisch den SPD-Vorsitz. Dies soll laut verschiedener Medienberichte Parteivize Olaf Scholz übernehmen – weil er der dienstälteste Parteivize sei. „Ich scheide ohne Bitterkeit und ohne Groll aus diesem Amt“, sagte Schulz zum Abschied von den Journalisten am Dienstagabend. Er hoffe, dass durch seinen Rückzug die Personaldebatte in der SPD nun zu einem Ende komme. Schulz hatte nach dem Ende der Koalitionsverhandlungen vor einer Woche angekündigt, den Parteivorsitz nach dem SPD-Mitgliederentscheid an Nahles abgeben zu wollen, er selbst wollte aber als Außenminister in das neue Kabinett eintreten. Nachdem er immer stärker unter Druck geriet, verzichtete Schulz darauf, in die Bundesregierung einzutreten. Zuletzt war in der SPD der Widerstand gegen die sofortige Übergabe des Parteivorsitzes von Schulz an Nahles gewachsen. Kritiker warfen der Parteispitze vor, gegen die Satzung zu verstoßen. Sie forderten, dass statt Nahles einer der stellvertretenden Vorsitzenden die SPD-Führung kommissarisch übernimmt und später ein Bundesparteitag die Frage des Parteivorsitzes klärt. Flensburgs Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD) hatte zudem aus Protest ihre Kandidatur um den Parteivorsitz angekündigt.

Scholz kommissarischer SPD-Chef – Nahles nominiert

Nach dem Rücktritt von Martin Schulz als SPD-Chef hat Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz dieses Amt kommissarisch übernommen. Er sei als dienstältester Parteivize darum gebeten worden, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil am Dienstagabend in Berlin. Sowohl im Parteivorstand als auch im Präsidium sei Andrea Nahles einstimmig als Kandidatin für den Parteivorsitz nominiert worden, so Klingbeil. Enthaltungen habe es nicht gegeben. Sie werde nun für die Große Koalition werben, sagte Nahles mit heiserer Stimme am Dienstagabend. Der Koalitionsvertrag könne sich sehen lassen und trage eine sozialdemokratische Handschrift, so die SPD-Bundestagsfraktionschefin. Gleichzeitig verspreche sie, dass sie für eine Erneuerung der SPD sorgen werde, so Nahles. „Mein Schicksal verknüpfe ich mit gar nichts“, antwortet Nahles auf die Frage, ob sie im Falle eines Scheiterns des Mitgliedervotums doch nicht antrete.

SPD-Politikerin Lange: Habe persönlich nichts gegen Nahles

Mit der Erklärung ihrer Kandidatur um den SPD-Vorsitz will die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange nach eigenen Angaben einen Beitrag zur innerparteilichen Demokratie leisten. „Ich habe persönlich nichts gegen Andrea Nahles“, sagte Lange am Dienstag „Zeit-Online“. Doch das Prozedere störe sie: „Die da oben entscheiden einfach – das gab es zuletzt zu oft, und das geht mir gegen den Strich. Parteivorsitzende werden gewählt, nicht eingesetzt; die Basis sollte mitreden. Mit meiner Kandidatur stelle ich klar, dass es auch Alternativen zu Andrea Nahles gibt. Darüber will ich diskutieren.“ An der Personalie Nahles störe sie zudem, dass diese bereits Fraktionsvorsitzende im Bundestag sei. „Ich bin dafür, Amt und Mandat zu trennen“, sagte Lange: „Andrea Nahles wird als Fraktionsvorsitzende sehr ins Regierungsgeschehen eingebunden sein. Eine Parteivorsitzende sollte da flexibler sein.“ Außerdem habe Nahles vor einigen Monaten noch für den Oppositionskurs der SPD geworben und „an dieser Stelle ein Glaubwürdigkeitsproblem“. Lange wünscht sich einen Mitgliederentscheid über die kommende Parteivorsitzende. Allerdings steht das Parteiengesetz dem entgegen. Lange kündigte daher an, sich notfalls auch auf einem regulären Parteitag dem Votum der rund 600 von der SPD entsandten Delegierten zu stellen: „Wenn die Menschen mich nicht wollen, dann ist das auch okay. Ich will nur aufzeigen, dass andere Wege möglich sind. Wettbewerb ist gut für unsere Partei; so könnten Parteitage wieder spannend werden“, sagte Lange. Das Prinzip Mitgliederentscheid könne sie sich auch bei anderen Fragen vorstellen, die die Partei umtreiben. „Es geht mir erst einmal darum, Debatten zuzulassen, auch zu schmerzhaften Themen. Und nicht immer von vorneherein zu sagen: Nein, das geht nicht“, sagte Lange: „Warum nicht mal nachfragen, was die SPD-Mitglieder heute über die einzelnen Agenda-Maßnahmen denken?“

Kurt Beck beklagt Posten-Chaos in der SPD

Der frühere SPD-Vorsitzende Kurt Beck hat das Posten-Chaos in der Partei beklagt. „Der Wert der Solidarität zählt in der SPD offensichtlich nicht mehr so viel, wenn es um Posten und Personal geht“, sagte Beck dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Wir brauchen in schwieriger Zeiten wieder Teamplay.“ Im Fall von Martin Schulz habe „mangelnde Solidarität“ ebenso eine Rolle gespielt wie bei seinem eigenen Rücktritt vom SPD-Vorsitz vor fast zehn Jahren. Beck sprach sich klar für Andrea Nahles als künftige Parteivorsitzende aus und forderte ein Ende des Postenstreits. „Man kann all diese Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht auf eine Schulter laden und sagen: Nun, mach mal. Und je schöner die Pirouetten, umso mehr klatschen wir Beifall. Aber wehe, Du stolperst. Dann sind wir die ersten, die Dir in die Beine treten“, so der frühere Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. „Das nicht mehr zuzulassen, ist jetzt das Gebot der Stunde. Das muss der neue Rütli-Schwur in der Partei werden.“ Es sei höchste Zeit, dass die SPD und alle, die in ihr Verantwortung tragen würden, sich jetzt besinnen, so der Chef der Friedrich-Ebert-Stiftung. Beck bescheinigte Fraktionschefin Nahles herausragende Führungsqualitäten. „Sie ist eine starke und kämpferische Frau“, sagte er. „In den letzten Jahren hat Andrea Nahles inhaltlich hervorragend gearbeitet. Das ist ein bemerkenswerter Reifeprozess gewesen.“

Ex-SPD-Chef Vogel unterstützt Nahles

Der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel hat Unterstützung für Andrea Nahles als Parteivorsitzende geäußert. „Ich traue Andrea Nahles zu, eine gute Parteivorsitzende zu werden. Insbesondere ihre Entwicklung als Ministerin hat mich überzeugt“, sagte Vogel der „Rheinischen Post“. Eine Urwahl des oder der Parteivorsitzenden hält Vogel für unnötig. „Ich bräuchte überzeugende Gründe, um vom bisherigen Verfahren abzuweichen. Die sehe ich derzeit nicht“, sagte Vogel. +++