Gesundheitsminister will Testpflicht im Reiseverkehr ausweiten

Veranstaltungsbranche fordert Impfpflicht für Besucher

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU)

Die Bundesregierung bereitet eine erhebliche Verschärfung der Corona-Reiseauflagen vor. Das Gesundheitsministerium will nach eigenen Angaben „eine schnellstmögliche Ausweitung der Test-Pflichten bei Einreise“, berichtet die Funke-Mediengruppe. Bisher müssen Flugpassagiere und Einreisende aus Hochrisikogebieten einen negativen Corona-Test vorlegen – es sei denn, sie sind vollständig geimpft oder genesen. Künftig will Minister Jens Spahn (CDU) einen Test offenbar unabhängig davon verlangen, aus welchen Gebieten und mit welchen Verkehrsmitteln die Reisenden nach Deutschland kommen. „Die Abstimmung in der Regierung dazu läuft“, erklärte eine Sprecherin des Ministeriums. Wie die Funke-Zeitungen weiter berichten, sträubt sich bisher im Kabinett vor allem Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) gegen die Pläne, weil die umfassende Testpflicht unverhältnismäßig sei.

Schwesig: Reiserückkehrer aus Risikogebieten doppelt testen
Angesichts rasant steigender Corona-Zahlen dringt Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) auf eine bessere Kontrolle von Reiserückkehrern. „Wir brauchen wieder schärfere Regeln bei der Einreise aus ausländischen Risikogebieten“, sagte die Schwesig den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Ein Test reicht da nicht aus. Auch hier sollte die Regel gelten, dass der erste Test bei der Einreise erfolgt und dass man sich dann nach fünf Tagen Quarantäne freitesten kann.“ Dabei machte Schwesig deutlich, dass sich auch einen Alleingang vorstellen kann. „Eine solche Regel hatten wir letzten Sommer bei uns in Mecklenburg-Vorpommern. Diese Möglichkeit haben die Länder in diesem Sommer leider nicht“, kritisierte sie. „Wenn der Bund keine schärferen Regeln treffen will, sollten zumindest die Länder die Möglichkeit dazu haben.“ Die Regierungschefin warnte: „Wir sollten nicht den Fehler vom vergangenen Jahr wiederholen, dass Reiserückkehrer nicht ausreichend getestet werden.“ Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) beschränkt sich dagegen auf einen Impf-Appell. „Geimpfte Menschen schützen nicht nur sich, sondern wegen der geringeren Übertragungswahrscheinlichkeit auch andere Menschen“, sagte er. „Wer nicht geimpft ist, wird sich mit regelmäßigen Corona-Tests abfinden müssen. Ich bin gegen Vorhaltungen und Sanktionen, aber sehr dafür, die Wichtigkeit des Impfens deutlich zu machen.“

Veranstaltungsbranche fordert Impfpflicht für Besucher
Großveranstaltungen nur noch für Geimpfte und Genesene – das ist laut Verband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft der einzige Weg zurück in die wirtschaftliche Normalität. „Im Bereich der Großveranstaltungen und Konzerte gibt es spätestens ab Ende September, wenn jeder ein Impfangebot bekommen hat, nur diesen Weg“, sagte Jens Michow, geschäftsführender Präsident des Bundesverbands der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft (BDKV) der „Welt“. „Wer sich weigert, geimpft zu werden, kann nicht erwarten, dass der Rest der Bevölkerung darunter leidet. Wenn das Infektionsrisiko bei Getesteten zu groß ist, müssen jedenfalls Veranstaltungen nur für Geimpfte und Genesene erlaubt werden“, sagte Mirow. „Wenn Veranstaltungen unter diesen Bedingungen ohne Abstandsregeln durchgeführt werden dürfen, erlaubt es unser Hausrecht, nur diesen Personen Zugang zu gewähren.“ Auch das Personal und die Künstler müssen für solche Veranstaltungen dann natürlich geimpft sei  n, so Michow. „Wir fordern von der Politik bereits viel zu lange erfolglos die Benennung klarer Rahmenbedingungen. Unsere Branche steht kurz vor dem endgültigen Aus, und das Problem lässt sich mit staatlichen Fördermitteln alleine nicht lösen.“ Die Alternative – Veranstaltungen weiterhin nur mit Abstandsgeboten, Maskenpflicht und begrenzter Besucherzahl – ist laut Michow wirtschaftlich nicht durchführbar. „Wenn es uns nicht kurzfristig gelingt, dass Veranstaltungen nur mit Geimpften und Genesenen genehmigt werden, werden bald auch viele Veranstaltungsunternehmen ihre Unternehmen abwickeln. Nicht nur Großveranstaltungen, sondern die Vielfalt unseres Kulturbetriebs werden damit Vergangenheit sein.“

Mediziner rechnen mit weniger Intensiv-Patienten in vierter Welle
Mediziner rechnen bei einer vierten Corona-Welle mit weniger Patienten auf den Intensivstationen als in der jüngsten Hochphase – sehen aber insbesondere für Kinder aufgrund der langen Isolation zusätzlich die Gefahr mangelnder Abwehr anderer Krankheiten. Übereinstimmend plädieren sie für eine neue Bewertung der Gefahr für die Corona-Ausbreitung über die bloße Sieben-Tage-Inzidenzen hinaus – nötig sei eine flexible Berechnung mehrerer Indikatoren ohne „abstrakte Formel“, sagte Stefan Kluge, Vorstandsmitglied der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Ich bin mir sicher, dass die Zahlen der Patienten auf den Intensivstationen und in den Krankenhäusern bei einer vierten Welle nicht so hoch sein werden wie bei der dritten Welle. Aber es ist noch nicht vorbei.“ Das Virus sei in seiner Delta-Variante viel ansteckender als noch vor einem Jahr. „Deshalb sollt  en jetzt auch nicht alle Regeln, wie etwa das Maskentragen in Supermärkten, aufgehoben werden.“ Die Leiterin der Klinischen Epidemiologie am Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Berit Lange, wies auf eine andere Gefahr hin: „Eine zusätzliche Befürchtung ist, dass es zu einem Nachholeffekt anderer Krankheiten kommt. Aus Großbritannien und den Niederlanden gibt es dazu Berichte, dass sich besonders mehr kleine Kinder als in anderen Jahren mit dem RSV, dem respiratorischen Syncytial-Virus, infizieren.“ Kämen dazu noch steigende Corona- und Influenza-Infektionen, könne es hier wieder zu Überlastungen des Gesundheitssystems kommen. Kinder und Jugendliche hätten nur sehr geringe Risiken für schwere Covid-19-Verläufe, aber für Ungeimpfte bleibe das Risiko eines schweren Verlaufs gleich und auch bei Geimpften bleibe ein Restrisiko bestehen. In Bezug auf die bisherigen Corona-Inzidenzwerte sagte Lange: „Ich verstehe, dass man sich ein möglichst einfaches Werkzeug wünscht.“ Aus epidemiologischer Sicht sei es aber wenig sinnvoll, Grenzwerte für Inzidenzen festzuschreiben, weil diese immer wieder neu angepasst werden müssten. „Wichtiger ist es, Entscheidungen aufgrund der aktuellen Lageeinschätzungen unter Berücksichtigung verschiedener Indikatoren zu treffen.“ Neben der Inzidenz brauche es den R-Wert, die Intensivbettenbelegung sowie den Anteil der Geimpften unter den Neuinfektionen. +++