Berlin. Dass die FDP in Sachsen aus dem Landtag geflogen ist, ist nicht dramatisch. Dass sie zwei Wochen später auch in Brandenburg und Thüringen fast atomisiert wurde, ist ebenfalls kein Beinbruch. Die Strategen, die für das Überleben dieser vormals so einflussreichen Partei kämpfen, haben die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und NRW als wesentlich für ihr Kalkül definiert. Doch die Liberalen zeigen trotz ihres smarten Bundesvorsitzenden Christian Lindner dramatische Auflösungserscheinungen. Die FDP zerlegt sich von innen.
Hobbypolitiker, die sich als Sozialliberale definieren, wollen eine neue liberale Partei in der linken Mitte des politischen Spektrums der Bundesrepublik etablieren. Die Erfolgsaussichten für dieses Unterfangen sind relativ überschaubar. Wer sich für Bürgerrechte einsetzen möchte, der findet bei den Grünen einen stabilen Resonanzboden. Wer den dehnbaren Begriff der Gerechtigkeit interpretieren und in die Wirtschaftspolitik einfließen lassen möchte, findet wiederum bei den Grünen, der SPD und auch bei der CDU bessere Betätigungsfelder. Für FDP-Chef Lindner ist der Versuch einer Neugründung ein schwerer Schlag, den er nicht wegdiskutieren kann. Steht Lindner doch für eine FDP, die sich auch in Richtung SPD orientieren könnte.
Lindners Truppe kann es drehen und wenden, wie sie es will: Die Auseinandersetzung mit Abtrünnigen vom linken Flügel erinnert an destruktive Debatten von Splitterparteien. Der Eindruck kommt auf, dass es gar nicht um die politische Richtung geht, sondern um die Befriedigung persönlicher Eitelkeiten. So ist etwa Sylvia Canel, eine Ex-Bundestagsabgeordnete, dabei, die in Berlin nie Akzente setzte, nun aber eine Führungsrolle beansprucht. Würden sie und ihre Mitstreiter tatsächlich über politische Substanz verfügen, so suchten sie die Auseinandersetzung innerhalb der Partei. Eine bessere Gelegenheit, die FDP aus sich heraus neu aufzustellen, gibt es nicht. Aber Inhalte waren diesen Protagonisten letztlich über Jahre egal, so die Schwäbische Zeitung. +++ fuldainfo

Hut AB Herr Wolf!
Lasst sie ziehen – sie müssen gehen!
Dass sich die FDP nunmehr von Innen zerlegt, wie es im vorstehenden Artikel pointiert am Ende des Vorspanns heißt und es nachfolgend versucht wird, diese These exegetisch zu beweisen, ist in summa eine Fehlinterpretation der innerparteilichen Vorgänge. Was passiert denn wirklich? Es gibt in der FDP Mitglieder, die über die Entwicklung der Partei unzufrieden sind. Die Gründe für diese Unzufriedenheit sind vielfältig. Ich nenne zwei, die offensichtlich manche – und insbesondere wohl auch die in dem Beitrag beschriebenen Personen – am meisten zu schmerzen scheinen: Verlust von Einfluss und öffentlicher Wahrnehmung (der Partei oder deren Akteure) sowie Verlust von Mandaten und Ämtern. Es geht also um Verluste und die damit verbundenen Entzugserscheinungen.
Richtig ist, dass die FDP derzeit die beispielloseste Abwärtsentwicklung erlebt seit ihrer Parteigründung. Darunter ist zum einen die politische Bedeutung, aber auch die Unterstützung innerhalb wie außerhalb der Partei zu verstehen. Zum größten Teil resultiert die negative Entwicklung aus schweren handwerklichen Fehlern, die nicht nur den Funktionären zuzurechnen sind, sondern auch der so genannten Parteibasis und auch den „Sympathisanten“ der Partei, für die die FDP Vehikel zur Verwirklichung der eigenen Interesse diente, aber die sich für liberale Grundüberzeugungen wenig interessierten, es sei denn, es ging um die eigenen.
Sicherlich haben manche Vorstandsmitglieder (oder diese Organe kollektiv) falsche Weichenstellungen vorgenommen oder die richtigen Abzweige verpasst, um an den Themen dranzubleiben (oder überhaupt erst hinzukommen), die die Menschen wirklich bewegen. Auch manche Mandats- und Amtsträger wirkten mit ihrer Arbeit und ihrem Auftreten wenig einladend, selbst treuste Wähler und Mitglieder noch zu motivieren, die FDP zu unterstützen, weil der Impuls zum Fremdschämen größer wurde.
Das Ergebnis ist gerade für eine Partei, die sich nur halbherzig massentauglich darbietet, daher immer in der Nähe der Katastrophe zu erwarten – also unterhalb der politischen und damit gesellschaftlichen Mitmach- und Wahrnehmungsuntergrenze. In Deutschland ist das die so genannte Fünf-Prozent-Hürde, wie sie für die Wahlen zum Deutschen Bundestag und den Landtagen gilt und die die FDP seit dem 22. September 2013 allenorten gekonnt zu reißen pflegt. Folge: Mandate und Ämter und damit jeglicher wirklicher Einfluss auf überhaupt irgendetwas oder irgendjemanden sind futsch. Das Parteikürzel FDP, einst gerne geschmäht als Abkürzung „Für Dicke Posten“ – immerhin kann die deutsche liberale Partei auf eine jahrzehntelange Regierungsbeteiligung auf Bundes- und Länderebene zurückblicken – ist für viele Karrierebewusste nicht mehr als selbsterfüllende Prophezeiung fröhlich winkend am (wie auch immer begrenzten) Horizont erkennbar. Dafür aber winkt in gleicher gar nicht so großer Ferne entrückt liberalen Überzeugungstätern die Weihe des Martyriums in Form von Hohn und Spott, bestenfalls noch Mitleid, was aber die gelb-blauen Aussichten auch nicht wirklich aufhellen kann.
Dass genau diese Einfluss- und Machtlosigkeit der FDP jetzt dazu führt, dass sich genau die Frauen und Männer von ihr abwenden, für die die FDP auch mit Blick auf deren persönliche Interessen nutzlos geworden ist, ist ein ganz normaler Prozess – wenn auch ein sehr schmerzlicher. Letztlich aber ist er notwendig und absolut unverzichtbar.
Normal ist er deswegen, weil Enttäuschung und Frustration immer dazu führt, dass sich selbst zuvor glühendste Anhänger und Befürworter abwenden, wenn Versprechen nicht erfüllt oder Ratschläge nicht beherzigt wurden. Dass die FDP nicht geliefert hat und deswegen dem Untergang geweiht ist, wie CSU-Chef Horst Seehofer so fröhlich vor laufenden Kameras und offenen Mikrofonen doziert, ist ja nur die halbe Wahrheit. Immerhin war es nicht zuletzt seine CSU, von ihm angeführt, die sich bei allen FDP-Themen quer legte und Mutti auf Kurs brachte, wenn die FDP sich räusperte. Dass der CSU-Machiavelli so erfolgreich sein konnte, ist aber auch der Unfähigkeit der FDP-spitze geschuldet, die es nicht verstanden hatte, 2009 einen für FDP-Positionen belastbaren Koalitionsvertrag auszuhandeln.
Notwendig und unverzichtbar ist der Mitgliederexodus aber auch deswegen, weil sich die Spreu vom Weizen trennen muss. Denn die sich jetzt in neuen Bewegungen und Zirkeln so vernehmlich in Szene setzen, haben in der Vergangenheit nicht gerade Bäume ausgerissen. So gesehen haben sie – größtenteils durch Tatenlosigkeit – mit dazu beigetragen, dass es abwärts ging. Das trifft auch auf die Parteibasis zu. Auf Parteitagen wurden Jubelarien gesungen und Beifallsstürme inszeniert – egal, wie bedenklich manche Vorgabe der Parteitagsregie auch war. Demonstration von Geschlossenheit war schlicht wichtiger als inhaltliche Auseinandersetzungen. Besonders lächerlich waren dann Distanzierungsversuche von Bundesvorstandsmitgliedern von Entscheidungen, an denen sie selbst mitgewirkt haben, die aber dann sich als Rohrkrepierer erwiesen. Besser wär’s gewesen, wenn man seine Fehler eingestanden, Besserung nicht nur gelobt, sondern auch erkennbar in Angriff genommen oder zumindest anderen Platz gemacht hätte, die das wirklich glaubwürdig umsetzen konnten.
Stattdessen Rumgeheule und Neuerfindungen – die bei Lichte betrachtet nur offenbaren, wer und was für den Niedergang der FDP verantwortlich ist. Immerhin ein Verdienst – aber nicht wirklich hilfreich, wenn daraus nicht die sich gerade sich aufdrängenden Konsequenzen gezogen werden.
Deswegen meine Empfehlung mit Blick auf die selbst ernannten Renegaten vom Stamme der Selbstgerechten: Lasst sie ziehen! Mehr noch: Sie müssen gehen! Denn ihre aktive oder passive Politik hat der FDP nicht nur nicht wirklich geholfen – sie hat auch zu deren Niedergang beigetragen. Ihre Rezepte sind die der Selbstdienlichkeit. Das aber genau ist das, was die FDP nicht braucht, um wieder wahr und vor allem ernst genommen zu werden.
Die FDP muss eine Partei sein, die potenziell für alle wählbar sein kann. Das heißt nicht, dass sie von allen gewählt werden muss oder soll. Aber im Grundsatz muss die FDP programmatisch so aufgestellt sein, dass sie für alle Bevölkerungsschichten zustimmungsfähig ist, nicht nur für ausgesuchte Zielgruppen. Denn die Zeit der Klientelpolitik ist endgültig vorbei. Politik darf nicht führen zu Aufspaltung, sondern es geht um Zusammenführen. Das hat nicht mit Gleichmacherei zu tun, aber mit echter Chancengleichheit. Egoismus ist nicht nur sündhaft – er ist auch schlicht unnötig. Nur für sich Rechte reklamieren, die damit verbundenen Pflichten zu delegieren, damit schafft man weder sozialen Frieden, noch eine Ära der Gerechtigkeit. Es reicht nicht, den Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ und den Namen Ludwig Erhard im Mund zu führen. Man muss Soziale Marktwirtschaft auch inhaltlich leben und nicht damit eine unregulierten Kapitalismus camouflieren. Artikel 14 Absatz 2 des Grundgesetztes sollte da so manchem Raubtierkapitalisten und dessen (politischen) Hilfstruppen ein Hinweis sein. Nirgendwo steht im Grundgesetzt geschrieben: Werde reich und unabhängig auf Kosten anderer.
Wer nicht in der Lage oder nicht willens ist, das zu begreifen und in die Tat umzusetzen, verdient es auch nicht, wahrgenommen zu werden oder gar Einfluss auch nur auf das Geringste zu nehmen. Und solche Leute haben vom Grundsatz her in einer liberalen Partei auch keine Platz – nimmt man den Liberalismus in seiner ganzen Bedeutung und Vielfalt ernst und verkürzt ihn nicht nur auf Wirtschaftsliberalismus. Denn Freiheit ist kein Exklusivrecht, sondern ein allgemeines Menschenrecht – für jeden!