
Sind Sie Sportler? Und suchen etwas fürs Herz? Herzen, in denen ein Lächeln steckt? Dann kommen Sie mit in die Sporthalle der Geschwister-Scholl-Schule. Auch viele Kinder und Jugendliche tun das. Sie kommen aus 40 Nationen - und besuchen das Training der Ringer-Abteilung von Frischauf Fulda. Sportliches Engagement und Sozialarbeit ergänzen sich hier vortrefflich. Das dürfte - nicht nur für Fulda - einmalig sein. Doch die Frage ist: Wer kann und will das einschätzen und beurteilen? Zudem bleibt die Sehnsucht nach einer größeren Halle.
Wertschätzen können es am ehesten die Trainer von Frischaufs Ringern. Etwa das Fuldaer Ringer-Urgestein Karsten Linn und Viktoria Ficht. Sie nehmen sich der Anfänger-Gruppe an, die an dieser Stelle im Fokus steht. Eines vorweg: das Herzblut ist ständiger Begleiter. Und ein Lächeln ist immer dabei.
Mit fünf oder sechs Jahren - oder jünger - ist die Anfänger-Gruppe etikettiert. Der Jüngste ist Kian aus Ungarn mit Vier. Etwas älter, zwölf Jahre jung, sind Kirill und Artium aus der Ukraine. Nur ein gebürtiger Deutscher gehört der Gruppe an. Es ist Liam Krieger, der vor Kurzem Hessenpokal-Sieger wurde. In Klein-Ostheim war das.
Dass so viele ausländische Kids oder solche mit Migrationshintergrund hier sind, das stört Karsten Linn überhaupt nicht. Es ist Programm. Schließlich setze man sich dafür ein, sagt der zu seiner aktiven Zeit mehrfache Hessenmeister und seit 20 Jahren Jugendtrainer. Lohn dieses ständigen Bemühens: „Im letzten Jahr sind wir vom Landessportbund aufgenommen worden, als Integrationsverein und als Stützpunkt.“ Stolz begleitet seine knappen Worte. Immer ist er wach. Seine Augen sind groß. Auf das Geschehen der Kids auf der Matte sind sie gerichtet. Irgendwie wird man den Eindruck nicht los, die Halle sei sein Wohnzimmer.
Unterstützung durch den lsb gut - und durch die Stadt Fulda? Hat sich Linn jetzt kurz gekniffen oder nicht? Früher sei es schwierig gewesen, „mittlerweile aber hat sich einiges verbessert“. Die Hallen-Belegungszeiten liegen ihm im Magen. Frischaufs Erste Mannschaft trainiert zweimal pro Woche eineinhalb Stunden, „dann müssen sie raus“. Linn klingt nicht zufrieden, „andere Vereine trainieren jeden Tag.“ Aber er schüttelt sich. Karsten Linn schüttelt sich immer. Seit Jahr und Tag ist Herzblut sein Begleiter. Und beides endet nie. Weder Herz noch Blut.
Kommen wir zu der Person, die die Übungseinheiten mitgestaltet. Oder besser gesagt: mit Leben füllt. Ihr Name: Viktoria Ficht. 37 ist sie, aus Kasachstan kommt sie, sechs Jahre hat sie dort gerungen, Freistil und griechisch-römisch. Viktoria lebt seit zehn Jahren in Deutschland, hier in Fulda. Köchin ist sie von Beruf, und ihre Augen köcheln auch. Stets ist sie on fire. Dann, wenn es gilt. Das passt, ihre Zusammenarbeit mit den Kids. Seit zwei Jahren trainiert sie die Gruppe, ihre Tochter Milana ist schon seit drei Jahren dabei. „Das Training macht mir Spaß. Ich liebe Kinder“, sagt sie, die seit letztem Jahr Inhaberin der C-Lizenz ist. Man glaubt ihr auf Anhieb. Und man sieht es.
Wenn es mal hapert mit der Verständigung, dann ist sie da: Zaira Veliev. Drei Kinder schickt sie hierher, sie sind seit 13 Jahren im Verein - sie heißen Artur, Ruslan und Valid.
Viktoria drückt mit schmalen Worten, aber treffend, das aus, was zumindest jeden der fünf Übungsleiter hier bewegt: „Wir brauchen eine etwas größere Halle.“ Auf einer größeren Matte tummeln sich die Kids und Jugendlichen. Zwei Matten wären schon gut. Eine Hallen-Frage? Eine Kosten-Frage? So eine Matte zu finanzieren, das ist nicht so leicht für den Verein: die Matte kostet 16.000 Euro. Wenn man bedenkt, dass sich Kids aus 40 Nationen hier tummeln. Mehr Sozialarbeit geht eigentlich nicht. Noch dazu, wenn sie mit solchen Erfolgen garniert ist wie bei Frischauf. Noch einmal zum Thema Halle. „Wir haben uns selbst nach einer Halle umgeguckt“, sagt Karsten Linn. Die Eltern seien bereit gewesen, das Doppelte an Beitrag zu zahlen. Dennoch reichte es nicht. Das Projekt war für Frischauf nicht finanzierbar.
Zunächst aber zum Treiben in der Halle. Was hier geleistet wird, das muss man erklären. Erfolg hin oder her. Warum nur ist der Zuspruch hier so gut? „Die Trainer machen das wirklich klasse“, sagt Faisa, die mit ihrem sechsjährigen Sohn Ismael hier ist. „Sie gehen auch auf die Kinder ein. Sie begegnen sich auf Augenhöhe, die Trainer und die Kinder. „Ich bin total begeistert.“ Faisa muss es wissen, schließlich arbeitet sie im Kindergarten in Niesig. „Was die hier den Kindern so alles beibringen … Ganzkörpersport.“ Faisa versteckt ihr Lächeln. Das ist keine Absicht. Bis sie sich etwas wundert. Rückwärts-Salto war angesagt. Ismael bekam es nicht so ganz hin. „Wir haben das geübt. Auf dem Bett daheim kann er das.“ Ismael guckt nur etwas verlegen. Seine Mutter hat recht. Mütter haben fast immer recht.
Frischauf Fulda stellt zwei Mannschaften im Wettkampf. Die Kinder-Mannschaft ringt in der Jugend-Liga, in der es 16 Vereine in vier Gruppen gibt. Die Erwachsenen-Mannschaft ringt in der Landesliga, ihr prominenter Trainer ist Omed Sawafi, der im vergangenen Jahr die Weltmeisterschaft der Veteranen gewonnen hat. In Nikita Morhun stellt Frischauf einen Parade-Ringer: Europameister ist er - und er qualifizierte sich für die Weltmeisterschaft.
Auch zum Vorzeigen: der achtjährige Leon Shebelyan. „Zu 90 Prozent hat er all seine Kämpfe gewonnen im letzten Jahr“, bemerkt Linn stolz. Von „vielleicht 50“ habe er nur drei verloren. Überhaupt ist die Nachwuchsarbeit des rührigen Vereins einzigartig: Frischauf ist eine vorzügliche Adresse, unter den Top Drei in Hessen, und im vergangenen Jahr Zweite des Finalturniers des Landes in Hösbach bei Aschaffenburg.
Es gibt auch Kinderturnen bei Frischauf: donnerstags, von 17 bis 18 Uhr in der Halle der Geschwister-Scholl-Schule. Soeben hat ein neuer Kurs begonnen.
Eines noch liegt Karsten Linn besonders am Herzen. „Wir planen einen besonderen Kurs“, brennt es ihm schon unter den Nägeln. Mit „wir“ meint er Viktoria Ficht als Unterstützerin. Der Kurs ist gedacht für übergewichtige Kinder, für solche, die ADHS mit sich rumschleppen, für die mit motorischen Schwierigkeiten. Jeder in Deutschland weiß, wie wichtig das ist. „Es kann ja keiner mehr einen Purzelbaum“, sagt der 55-Jährige entsetzt. Und ausdrücklich schiebt er nach: „Dieser Kurs soll nichts mit Ringen zu tun haben.“
Nicht nur hier stellt sich die Frage, was Deutschland überhaupt will? Ob Vereine, die im Kleinen große Arbeit leisten, nicht nur Anerkennung - abgesehen von Stadt und Sportkreis - finden? Ob darüber hinaus Transparenz geschaffen wird - oder ob sich die Arbeit des Herzens verliert. Einfach verliert? Oder um es mit Herbert Grönemeyer zu sagen: Hier, wo das Herz noch zählt. Nicht das große Geld. Doch manchmal ist gerade das an der Basis nötig. +++ rl
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