Rente mit 63 – Am Ende alles doppelt so teuer

Andrea Nahles (SPD)

Berlin. Kaufleute, die ein tolles Sonderangebot ins Schaufenster stellen, kennen das: Kunden könnten den Laden stürmen. Bei Politikern ist das anders – zumindest bei Sozialpolitikern wie Andrea Nahles (SPD) und Karl-Josef Laumann (CDU). Sie haben die Rente mit 63 in den Koalitionsvertrag gerückt mit der Devise „wird schon nicht so teuer“. Der vorgezogene und abschlagsfreie Ruhestand ist ein echtes Schnäppchen für die Begünstigten.

In den ersten zwölf Monaten der Neuregelung betrifft das die Jahrgänge 1949 bis 1952. 163 000 haben von Juli bis Oktober schon die volle Rente nach 45 Beitragsjahren beantragt. Die vorauskalkulierte Größe von 240 000 Anträgen in zwölf Monaten dürfte schneller erreicht sein, als das erste Jahr rum ist. Kurzum: Das Angebot ist super – nur nicht für die, die zahlen müssen. Gestern schreckte eine Berechnung der „Rheinischen Post“ sowohl das Sozialministerium als auch die Rentenversicherung auf. Beide Stellen konnten zwar im Laufe des Tages klarstellen, dass die Kosten nicht explodieren, mussten aber einräumen, dass sie stärker steigen als geplant. Wie das? Auch dafür hatte das Haus von Andrea Nahles eine Erklärung parat. Bislang waren nur die Kosten für die Rentenzahlungen, nicht aber die für die damit einhergehenden Beitragsausfälle beziffert worden. So gesellen sich zu den für 2015 im Gesetz genannten 0,9 Milliarden noch 250 Millionen für die Ausfälle, weitere 250 Millionen für die politische Hereinnahme von Zeiten freiwilliger Sozialversicherung plus 100 Millionen wegen erhöhter Nachfrage: So werden aus 0,9 Milliarden ganz schnell satte 1,5 Milliarden Euro. Fast alles sei eingepreist, versichert Nahles‘ Behördensprecher.

Aber niemand fasst die noch brisantere Hochrechnung der „Rheinischen Post“ an, wonach am Ende alles doppelt so teuer werden könnte. Tatsächlich ist das Sonderangebot noch zu frisch auf dem Markt, als dass wirklich exakt abzuschätzen wäre, wie sich die Nachfrage langfristig bis 2030 entwickelt. Aber eines ist schon heute klar: bei den Koalitionsverhandlungen und beim schnellen Beschluss über das zum 1. Juli 2014 in Kraft getretene Gesetz wurden die warnenden Stimmen, die es gab, geflissentlich überhört. Nicht nur die Mittelständler um Carsten Linnemann (CDU) aus Paderborn, auch viele andere Experten wiesen auf das dünne Eis hin, auf das sich die Große Koalition da wagte. Und jetzt? Das Angebot ist auf dem Markt. Wollte man es wieder aus dem Schaufenster nehmen, würde das Publikum nicht nur die Scheibe davor einwerfen. Es gibt kein Zurück, sondern die Verpflichtung, jetzt die Rente mit 63 auf finanziell solide Füße zu stellen. Das heißt, der Finanzminister muss Steuergelder zu den Sozialbeiträgen in die Rentenkasse legen. Für Ministerin Nahles ist das kein Problem. Genau so funktioniert nach ihrer Lesart Sozialpolitik, so das Westfalen-Blatt. +++ fuldainfo