Führende europäische Energieexperten halten Erdgas-Rationierungen im kommenden Winter für unumgänglich, sollte Russland seine Lieferungen in den Westen stoppen. "Ein kompletter Ausfall Russlands kann nur gedeckt werden, indem die Europäer ihren Verbrauch verringern", sagte Ben McWilliams, Forscher des Brüsseler Thinktanks Bruegel, dem "Spiegel". Andreas Schröder, Leiter der Energiemarktanalyse beim Londoner Analysehaus ICIS sagte demselben Magazin: "Wenn gar kein russisches Gas mehr kommt, muss die Nachfrage rationiert werden." Laut einer Modellrechnung von Bruegel müssten die EU-Staaten im Falle einer totalen russischen Lieferblockade ihre Nachfrage um durchschnittlich 15 Prozent gegenüber den vergangenen Jahren senken - um zu verhindern, dass die Speicher leer laufen. Deutschland müsste sogar 29 Prozent einsparen; sollten die beiden LNG-Terminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel rechtzeitig starten, wären es laut McWilliams immer noch mehr als 20 Prozent. Allerdings sehen die Experten noch erhebliches Einsparpotenzial: etwa bei Gaskraftwerken, in der Industrie und auch bei privaten Haushalten. Schon eine um zwei Grad niedrigere durchschnittliche Raumtemperatur könnte den gesamten Gasverbrauch der EU um fünf Prozent senken.
Deutsche Umwelthilfe will Bau von LNG-Terminals nicht verzögern
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) teilt nach eigenen Angaben die Sorge der Bundesregierung um die Energieversorgung des Landes. "Wenn Nord Stream 1 nicht mehr ans Netz gehen sollte, muss man sich ernsthafte Gedanken machen, wie wir durch den Winter kommen", sagte Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Umweltschutzorganisation, der "Süddeutschen Zeitung" (Dienstagsausgabe). Auch aus diesem Grund werde die Umwelthilfe den Bau der zwei derzeit geplanten schwimmenden LNG-Terminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel nicht mutwillig verzögern. "Ich kann jedem die Sorge nehmen, dass wir über Widerspruchsverfahren oder andere rechtliche Wege Notfallmaßnahmen für diesen Winter stoppen werden", sagte Müller-Kraenner. Die DUH hatte im Mai Widerspruch eingelegt gegen die Planungen des Terminals in Wilhelmshaven und dabei einen sofortigen Baustopp gefordert. Als Grund nannte die Organisation die drohende Zerstörung eines Unterwasser-Biotops und die Gefahr für Schweinswale durch den Baulärm. Jetzt sagte Müller-Kraenner, seine Organisation habe vor allem deshalb Widerspruch eingelegt, um Akteneinsicht zu erhalten. Die DUH wolle verstehen, ob es bei den schwimmenden Terminals für eine Übergangszeit bleiben solle. "Oder werden da etwa hinter den Kulissen sehr viel weiter reichende Investitionen vorbereitet, die man am Ende gar nicht braucht?" Die Umwelthilfe wolle sehr genau hinschauen, ob Interessen der Gasindustrie unter dem Eindruck der Krisenangst jetzt durchgepeitscht werden sollen. Die Umwelthilfe hat in der Vergangenheit auch gegen großen Druck in Teilen der Politik und Wirtschaft Prozesse zum Schutz von Umwelt und Klima durchgezogen. Etwa bei der Durchsetzung von Dieselfahrverboten wegen erhöhter Stickstoffwerte oder beim Klimaschutz-Urteil vor dem Bundesverfassungsgericht. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte die DUH im Mai gewarnt, nicht gegen das LNG-Terminal in Wilhelmshaven zu klagen, weil Verzögerung en durch gerichtliche Entscheidungen die Abhängigkeit von russischem Gas erhöhe. Müller-Kraenner sagte, die DUH nehme die aktuellen Sorgen der Bürger und der Unternehmen ernst. "Aber wir sind auch in Sorge um die Klimaziele." Er befürchtet, dass im Hintergrund bei den neuen LNG-Terminals immense Überkapazitäten geplant würden, die weit über das hinausgingen, was man für den Notfall brauche. Aus den schwimmenden Terminals sollen in ein paar Jahren eventuell stationäre Terminals werden, die erheblich höhere Gas-Transportfähigkeiten hätten. "Wir müssen jetzt die Weichen so stellen, dass es nicht unmöglich wird, die Klimaziele zu erreichen", sagte Müller-Kraenner. Bei allen Investitionen müsse man schauen, dass nicht in ein paar Jahren Lock-in-Effekte eintreten und man aus der fossilen Falle nicht mehr rauskomme. "Notfallmaßnahmen müssen Notfallmaßnahmen bleiben."
Deutschland will Gas und Wasserstoff aus Ägypten kaufen
Deutschland will Gas und perspektivisch auch Wasserstoff aus Ägypten kaufen. Das passe sich "sehr gut ein in die sehr langen industriellen Beziehungen, die Deutschland und Ägypten miteinander haben", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag beim Besuch von Ägyptens Staatspräsident Abd al-Fattah as-Sisi in Berlin. In der aktuellen Krise sei es wichtig, zu diversifizieren, und "dass man sich nicht auf einen einzigen Partner verlassen darf, sondern viele gute Partner haben muss", so der Bundeskanzler. Ägyptens Präsident sagte, man sei an dem Handel interessiert, obwohl die Energie- und Gaskrise auch eine Belastung für die Wirtschaft in Ägypten darstelle. Die Subventionen in seinem Land müssten viel höher sein. "Da können wir es nicht so machen wie es in Europa ist, dass die steigenden Preise bei den Menschen auch reflektiert werden." Das führe zu einer Inflation, die die Ägypter nicht ertragen könnten. "Das beeinträchtigt auch die Stabilität", so as-Sisi. Ägypten sei aber an einer Zusammenarbeit mit Deutschland "auf vielen Ebenen" interessiert. Seit 2018 ist Ägypten quasi Selbstversorger und kann über seine LNG-Terminals Gas exportieren anstatt zu importieren. +++









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