Der Publizist Michel Friedman fühlt sich als Jude in Deutschland bedroht. „Bedrohter als sowieso schon immer“, sagte er der „Rheinischen Post“. Der Antisemitismus aus der rechten Szene werde ergänzt von der radikalisierten Gewalt extremer Muslime und von Linksextremisten, die sich mit anti-imperialistischen Theorien an den aktuellen Konflikt in Nahost dranhingen. „Die alltägliche Begegnung wird riskanter“, sagte Friedman.
Wenn man Bürgern Deutschlands den Rat gebe, sich nicht als Juden erkennbar zu zeigen, sei das der Offenbarungseid der deutschen Gesellschaft. „Wenn man sich als Jude nicht mehr in allen Teilen Deutschlands frei bewegen und etwa eine Kippa tragen kann, dann sind wir nah am Ghetto-Leben“, so Friedman. Es gehe derzeit nicht nur um Solidarität mit den Juden, sondern um das Einstehen für Demokratie und Freiheit. „Wenn die Prinzipien funktionieren, kann ich als Jude entspannt in jeder Straße spazieren gehen. Wenn ich das nicht mehr kann, kann die Mehrheitsbevölkerung es bald auch nicht mehr“, sagte Friedman und forderte mehr Menschen auf, sich in der Aufklärungsarbeit gegen Vorurteile und Stereotypisierungen zu engagieren.
Antisemitismus-Experte fürchtet weitere Radikalisierung
Benjamin Steinitz, Geschäftsführer des Bundesverbands der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS), fürchtet vor dem Hintergrund des andauernden Krieges in Nahost eine Radikalisierung pro-palästinensischer Proteste in Deutschland. „In Berlin, in Nordrhein-Westfalen, aber auch in anderen Teilen Deutschlands wurde in den vergangenen Tagen ganz offen bei Demonstrationen der Terror der Hamas als legitimer Widerstand verherrlicht“, sagte Steinitz den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Meine große Sorge ist, dass diese Versammlungen anwachsen werden, je länger der Krieg dauert. Und je größer sie werden, umso mehr werden diese Positionen normalisiert, und die Teilnehmer können sich radikalisieren.“ Die Hamas rufe gezielt zu Angriffen gegen die israelische Zivilbevölkerung und zu globaler Solidarität mit ihren Taten auf, sagte Steinitz. „Und vor diesem Hintergrund haben wir gesehen, wie in den vergangenen Tagen an Wohnhäusern von Jüdinnen und Juden Davidsterne auftauchen, es handelt sich um öffentliche Markierungen potenzieller Angriffsziele.“ Das sei eine neue Qualität, und es verunsichere die Leute sehr. „Und mit der Stimmung auf den Straßen wächst die Gefahr von Angriffen“, so der RIAS-Geschäftsführer. Die Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus dokumentieren in elf Bundesländern und auf Bundesebene antisemitische Vorfälle. Allein der ersten Woche nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat RIAS nach eigenen Angaben 202 Vorfälle verifiziert. Dies stellt nach Angaben des Vereins eine Steigerung von 240 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum dar.
Israels Ex-Botschafter: Zweistaatenlösung muss auf Tagesordnung
Israels früherer Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, hat sein Land und internationale Partner aufgerufen, die Zweistaatenlösung mit den Palästinensern wieder auf die politische Tagesordnung zu setzen. „Sie ist momentan in weiter Ferne, aber sie muss im Auge behalten werden“, sagte Stein dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Die gegenwärtige israelische Regierung hat das von ihrer Tagesordnung gestrichen. Das war ein Fehler.“ Stein mahnte: „Eine militärische Operation ohne eine politische Perspektive wäre eine verpasste Chance.“ Er hoffe, dass die israelische Bodenoffensive „mit der Neutralisierung der militärischen Gefahr durch Hamas“ erfolgreich sein werde. „Und dann stellen wir die Frage: Was passiert am Tag danach? Und hoffentlich werden uns die USA, Deutschland, die Europäische Union dabei helfen.“ Es werde eine sehr schwierige Aufgabe sein. Die Frage sei, ob der Westen dazu in der Lage sein werde, wenn gleichzeitig Russla nd Krieg gegen die Ukraine führt, und ob es genügend Ressourcen geben werde, die Gaza und die Palästinensergebiete zu stabilisieren. Stein sagte ferner, er hoffe, dass die deutsche Solidarität durch die israelische Bodenoffensive nicht bröckeln werde. „Das Gedächtnis hält nicht immer sehr lange. Schon jetzt verlagern sich die Bilder von dem schrecklichen Massaker der Hamas-Terroristen auf israelische Zivilisten am 7. Oktober hin zum Leiden der Palästinenser im Gazastreifen. Und sie leiden wirklich. Indem wir das Leid miteinander vergleichen, sind wir schon in einem anderen Film.“ Die Traumata und Posttraumata, die die israelische Gesellschaft durch den Hamas-Terror am 7. Oktober erlitten habe, seien noch nicht absehbar. „Es wird die Menschen bis zu ihrem Tod begleiten.“ Es müsse alles dafür getan werden, um die Geiseln zu befreien. „Israel wird einen Preis dafür bezahlen müssen. Wir haben 6.000 Hamas-Häftlinge. Ich weiß nicht, ob wir über sie sprechen müssen.“ Stein geht von einem „relativ langen Krieg“ aus. „Ein Krieg inmitten einer Stadt ist schwierig. Ich habe das als Soldat 1967 selbst erlebt, als ich in Gaza war. Es war verdammt blutig.“ Die israelische Gesellschaft zeige aber gegenwärtig, dass sie nirgendwo anders leben könne und wolle als in Israel. „Weder Hamas noch Hisbollah werden uns auslöschen.“ +++







