Organisierte Kriminalität am Bau kostet Steuerzahler Milliarden

Aufträge können von einem Subunternehmer an den nächsten weitergereicht werden

Hochbau

Berlin. Die deutsche Baubranche ist zunehmend von Schwarzarbeit betroffen, hinter der organisierte Kriminalität steht. Über Scheinfirmen, vorgetäuschte Arbeitsverhältnisse und fingierte Rechnungen werden bei Bauvorhaben bundesweit hohe Summen am Staat vorbei erwirtschaftet. Pro Jahr entstehe durch Schwarzarbeit am Bau ein Schaden von 127 Milliarden Euro, schreibt die „Welt am Sonntag“.

Der Bericht stützt sich auf eine Schätzung des renommierten Schwarzarbeitsforschers Friedrich Schneider von der Universität Linz. Demnach entfielen davon rund 28 Milliarden auf die organisierte Kriminalität. Der derzeitige Bauboom verschärfe das Problem noch, sagte Schneider: „Wenn Sie als Bauherr schnell ein Projekt realisieren müssen, finden Sie zu Zeiten des Baubooms nur schwer einen anerkannten Betrieb, alle werden die Auftragsbücher schon voll haben.“ Armin Rolfink, Direktionspräsident beim Zoll und oberster Leiter der dortigen Finanzkontrolle Schwarzarbeit, bestätigt, dass sich die Kriminalität am Bau stark professionalisiert hat: „Hinter der Schwarzarbeit stehen heute häufig Firmennetzwerke, die teilweise mit hoher krimineller Energie organisiert und professionell agieren.“ Immer wieder schleusten die Drahtzieher des Betrugs dabei billige Arbeiter aus südosteuropäischen Ländern auf Baustellen nach Deutschland. Teilweise, das bestätigt ein aktueller Bericht des Bundeskriminalamts, werde dabei die Grenze zum Menschenhandel überschritten.

Der Zoll kommt mit den Ermittlungen der Fälle kaum hinterher – obwohl er seit dem Jahr 2016 den Fokus auf die Verfolgung der Urheber organisierter Schwarzarbeit legt und allein im vergangenen Jahr 4.872 Verfahren am Bau einleitete. Die Gewerkschaft IG Bau fordert die Bundesregierung auf, die kriminellen Strukturen „endlich zu zerschlagen“. „Um eine Kontrolldichte zu ermöglichen, die kriminelle Betriebe von ihrem Treiben abschreckt, muss das Personal der Finanzkontrolle Schwarzarbeit so schnell wie möglich auf mindestens 10.000 Stellen aufgestockt werden“, sagte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft, Robert Feiger. Derzeit beschäftigt die Zolleinheit dem der „Welt am Sonntag“-Bericht zufolge auf dem Papier 7.211 Mitarbeiter, tatsächlich seien aber nur 6.452 Stellen besetzt. Auch der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, spricht von einem „massiven Problem bei den Kontrollen“ und fordert 10.000 Ermittler. In der aktuellen Situation „machen sich SPD und Union mitschuldig an Schwarzarbeit und massenhaft Mindestlohnverstößen am Bau“. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Johannes Vogel, kritisiert: „Es ist vollkommen unverständlich, dass die neue Bundesregierung 209 neue Planstellen in Ministerien schafft und dafür ausgerechnet beim Zoll spart. Das ist ein Musterbeispiel falscher Prioritätensetzung. Statt mehr Stellen im Innenministerium zu schaffen, sollte die Bundesregierung lieber dafür sorgen, dass geltendes Recht in Deutschland dank ausreichendem Personal durchgesetzt wird – aktuell tut sie leider das Gegenteil.“

Der milliardenschwere Betrug ist auch möglich, weil derzeit auf Baustellen in Deutschland unbegrenzt Aufträge von einem Subunternehmer an den nächsten weitergereicht werden können, und Auftragsketten von bis zu sieben oder acht Gliedern für Unübersichtlichkeit sorgen. Die Politik müsse die Vergabe sauber regeln, fordert Gewerkschaftschef Feiger – zumindest für Baustellen der öffentlichen Hand, wo Schwarzarbeit offenbar ebenso verbreitet ist wie bei privaten Bauvorhaben: „Hier könnte die Politik leicht einen Riegel vorschieben, indem Angebote mit mehr als drei Ebenen von Subunternehmen gar nicht erst zum Zuge kommen.“ Der Bundestagsabgeordnete Matthias Barke (SPD), Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales, sieht es ähnlich: „Subunternehmerketten begünstigen Lohn- und Sozialdumping. Wenn in diesen Ketten jeder Unternehmer seine Marge abschöpft, bleibt für die Arbeitenden am Ende der Kette oft nur ein unwürdiger Rest. Das müssen wir besser unterbinden.“ Und: „Hier könnte die öffentliche Hand in der Vergabepraxis vorausgehen.“ Das Bundesfinanzministerium verteidigt seine derzeitige Strategie bei der Bekämpfung organisierter Schwarzarbeit. Im vergangenen Jahr sei die Zahl der Ermittlungsverfahren um acht Prozent gestiegen, es seien Betrugsfälle in Höhe von 460 Millionen Euro aufgedeckt worden, heißt es dort. Zudem sei erst vor Kurzem eine Überarbeitung des Strafgesetzbuchs erfolgt, mit der künftig eine wirksamere Bestrafung der Drahtzieher von Scheinfirmenkonstrukten möglich sein soll. Für eine Bewertung, ob diese Gesetzesänderung Wirkung zeige, sei es zu früh. +++