Ordentlicher Parteitag der SPD im Unterbezirk Fulda

Aufarbeitung von Wahlniederlagen und eine Rückbesinnung zu alten Themen

Die SPD im Unterbezirk Fulda war am vergangenen Freitagabend zu ihrem turnusmäßigen Ordentlichen Unterbezirksparteitag für dieses Jahr im Bürgerhaus Fulda-Johannesberg zusammengekommen. Neben der kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Partei und Aufarbeitung von Wahlergebnissen, besann man sich auf dem gestrigen Parteitag unter der klaren Setzung von Themen zu alter, neuer Stärke zurückkehren.

Begrüßt wurden die rund 60 anwesenden Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten von ihrem Unterbezirksvorsitzenden Andreas Maraun, der die Parteimitglieder auch für seine gestern Abend abwesende Vorstandskollegin, Tamara Becker, herzlich willkommen hieß. Besonders willkommen geheißen wurden neben seinen Kolleginnen und Kollegen im Unterbezirksvorstand seine Vor-vorgängerin, die frühere Unterbezirksvorsitzende Sabine Waschke MdL a.D., die ehemalige Landtagsabgeordnete und Bürgermeisterin der Gemeinde Großenlüder a.D., Silvia Hillenbrand, der Vorsitzende der SPD-Kreistagsfraktion, Michael Busold.

In Anlehnung an den Jahrestag 80 Jahre nach der Befreiung am 8. Mai, an dem vielerorts zurückerinnert und gemahnt wurde, warnte Unterbezirksvorsitzender Andreas Maraun vor dem Vergessen und Gleichgültigkeit gegenüber anderen politischen Parteien. In diesem Kontext erinnerte er auch an die Massenermordungen in Konzentrationslagern. Ein solches dunkles Kapitel in der deutschen Geschichte dürfe sie nie mehr wiederholen. „Politischen Parteien, die andere Menschen aufgrund ihrer Religion oder Hautfarbe diffamieren und ausgrenzen wollen, den erteilen wir eine klare Absage – wohlwissend, dass wir nicht allen Menschen hier bei uns Schutz und Zuflucht gewähren können“, so Maraun in seiner Rede. „Wir wissen aber auch, dass unsere Gesellschaft die Vielfalt braucht. Während es anderen politischen Parteien einzig und allein nur darauf ankommt, dass wir die Außengrenzen unseres Landes schützen müssen, so entgegnen wir darauf: Wir wollen ein offenes, geeintes Europa; ein Europa, das friedvoll und in freundschaftlicher Verbundenheit zusammenlebt und ein Europa, das Fragen der Migration zusammenlöst. Denn nur gesamteuropäisch können wir die Frage der weltweiten Migration in den kommenden Jahrzehnten lösen.“

Innerparteiliche Demokratie

Maraun weiter: „Wir sind gespannt, wie die neuen Außen- und Innenminister diese Frage angehen wollen, ob ihnen womöglich noch eine andere Lösung als eine Grenzschließung einfällt. Menschen auszuschließen ist jedenfalls keine Lösung.“ Zum neuen Koalitionsvertrag auf Bundesebene sagte Maraun: „Wir haben nach einer intensiven Diskussion in den letzten 14 Tagen einen Koalitionsvertrag für die kommenden vier Jahre geschlossen. Davor haben wir im Unterbezirk Fulda intensiv in zwei mitgliederoffenen Unterbezirkssitzungen sowohl über das Sondierungspapier als auch über den Koalitionsvertrag diskutiert. Die Diskussionen waren kritisch und offene, die uns gezeigt haben, dass die SPD im Landkreis Fulda lebt und dass sie kritisch ist.“ In diesen Tagen sei der Unterbezirksvorsitzende vielerorts – darunter parteiübergreifend von politischen Mandatsträgern - auf die Koalitionsverhandlungen angesprochen worden, die ihm nahelegten, gegen den Koalitionsvertrag zu stimmen. Diese Erfahrung habe ihm gezeigt, dass „unsere innerparteiliche Demokratie lebt“ auch wenn dies „Kommentatoren im Nachgang wieder relativiert“ hätten.

Andreas Maraun: „Selbstverständlich wird unsere Partei durch die Bundestagsfraktion und unsere Minister vertreten, die die Regierungsarbeit aktiv und zukunftsgewandt vorantreibt. Wir als SPD-Unterbezirk Fulda werden hierzu aber auch klar Position beziehen, indem wir unsere Genossinnen und Genossen in der Regierung nach Kräften und mit Respekt unterstützen. Uns ist bewusst, dass diese Koalition mit einer politischen Partei eingegangen wurde, die viele Punkte komplett anders sieht als wir. Auch das respektieren wir. Wir nehmen uns aber auch das Recht heraus, unsere Sichtweise und Vorhaben konsequent und klar nach außen zu positionieren. Und das auch, wenn die Vorhaben der SPD auch manchmal nicht unbedingt deckungsgleich mit den Möglichkeiten einer Koalitionsregierung in Berlin sein wollen. Dies werden wir auf respektvolle Weise tun, uns aber nicht den Mund verbieten lassen.“

„Lasst uns nie vergessen, dass die SPD Politik für die Menschen in unserem Staat und unserem Landkreis macht. Dass bedeutet aber nicht, dass wir auf die lauten Aussagen aus der Gesellschaft hören“, schwor Maraun seine Parteikolleginnen und -kollegen auf die zukünftige Politik des Unterbezirks ein. Maraun weiter: „Politik für die Menschen bedeutet im Besonderen, dass wir unsere Ziele selbstbewusst nach außen tragen und sie den Menschen im kommunikativen Austausch versuchen näherzubringen.

Unterbezirk würdigt Verdienste des verstorbenen Altbürgermeisters Winfried Kreß

Die SPD im Unterbezirk Fulda würdigte auf ihrem Unterbezirksparteitag 10 Genossinnen und Genossen, die im vergangenen Jahr verstarben. Darunter auch Winfried Kreß, der am 6. Dezember 2024 im Alter von 78 Jahren in seiner Heimatgemeinde verstorben war. Winfried Kreß gehörte der SPD 51 Jahre an. Über 45 Jahre stand er dem SPD-Ortsverein Flieden-Rückers als Vorsitzender vor, 23 Jahre wirkte er ehrenamtlich in seiner Heimatgemeinde Flieden als Gemeindevertreter, davon 19 Jahre als Vorsitzender der SPD-Fraktion im Fliedener Gemeindeparlament, 12 Jahre war er hauptamtlicher Bürgermeister. Maraun würdigte Winfried Kreß als einen verdienten Genossen und aufrichtigen Demokraten. Ihm und den anderen verstorbenen Sozialdemokraten werde der SPD-Unterbezirk Fulda ein ehrendes Andenken bewahren.

Bezuggenommen auf die vergangene Bundestagswahl ging Maraun auf das schlechte Wahlergebnis der SPD ein, das „katastrophal“ gewesen sei. In über 140 Jahren Geschichte habe die SPD niemals bei 16 % gelegen. In beiden Sitzungen des Unterbezirkes Fulda sowohl zur Verabschiedung des Sondierungspapieres als auch kurz nach dem Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und der SPD wurden Stimmen nach Aufarbeitung des schlechten Wahlergebnisses und woran es gelegen habe, dass der SPD so viele Wählerstimmen abhandengekommen sind, laut. Fest stehe, dass die SPD mit ihren Themen scheinbar nicht mehr zu den Menschen durchdringt. „Was muss sich bei uns ändern?“, stieß Maraun die Diskussion an, die die nächsten 60 Minuten des Unterbezirksparteitages dominieren sollte. „Wir wissen alle, woran es gelegen hat bei der letzten Landtagswahl – und auch bei der Europawahl wissen wir, woran es gescheitert ist. Es lag an den Kandidaten, an der Aufstellung und an der Positionierung. Und darüber ist kein Wort verloren worden“, so ein Parteimitglied.

„Welche Themen sind relevant, wenn wir Wahlen wieder gewinnen wollen?“ „Ich glaube, dass wir wieder besser bei Wahlen abschneiden, wenn wir glaubhaft soziale Themen besetzen. Das sind für mich die Themen Gesundheit, Miete, Rente und Umwelt. Es muss ein Konzept erarbeitet werden, das dann den Bezirksverbänden und der Basis erklärt wird. Tun wir das nicht, dann werden wir in vier Jahren noch sehr viel schlechtere Ergebnisse bei Wahlen einfahren als in der Vergangenheit“, so ein Parteitagsdelegierter. „Die SPD ist heute eine politische Partei, die akademische Interessen vertritt. Das war zu Gründungszeiten anders; damals vertrat die SPD noch die Interessen der Arbeitnehmerschaft. Wenn ich mir vergegenwärtige, dass die SPD nur noch von 13 % der Arbeitnehmerschaft gewählt wird, läuft irgendetwas schief“, warf ein weiteres Parteimitglied ein. „Wenn ich mir unsere Themen zu Gemüte führe – Arbeitsplatzsicherung, Ausbau der Tarifautonomie. Die Kernthemen der SPD diskutieren wir schon lange nicht mehr. Wir beschäftigen uns mit Themen, die an unseren Wählern vorbei gehen. Wir diskutieren Themen, die wir nicht massiv fordern, wie zum Beispiel beim Wohnungsbau. Welcher Arbeitnehmer kann sich denn heute noch eine Wohnung leisten?“

Verlorene Wahlen

„Wir haben jetzt drei Wahlen in Folge in den Sand gesetzt – Europawahl, Landtagswahl und die Bundestagswahl. Und mich ärgert es massiv, dass diejenigen, die das zu verantworten haben, sich den Mund abwischen und einfach so weiter machen wie vorher. Das kann nicht angehen. Diejenigen müssen zur Verantwortung gezogen werden. Auch sollten wir einmal darüber nachdenken, dass wir Personen in Wahlkämpfe schicken, die wissen, wofür sie kandidieren und vor allem – und das ist viel wichtiger – worüber sie reden. Wir brauchen Personen aus der Arbeitnehmerschaft, die wissen, was sich zum Besseren verändern muss, wir verlieren doch unsere Glaubwürdigkeit“, so ein weiterer Parteitagsdelegierter aus Fulda.

„Ich warne eindringlich davor, sich das Wahlprogramm der AfD anzueignen, um zu glauben, dass man damit den politischen Gegner bekämpft; genau dies hat aber Nancy Faeser gemacht. Die von ihr gefahrene Asylpolitik hat nichts mit Solidarität zu tun. Auch vertrete ich den Standpunkt, dass wir nicht immer mit den Schwarzen in die Kiste steigen sollten, nur um Posten abzusichern oder wir bestimmte Ämter haben wollen. Wir dürfen nicht in eine Bundesregierung gehen, wenn wir unsere Grundwerte und Kernthemen verraten, in dem wir die Soziale Gerechtigkeit und Solidarität aufgeben. Denn tun wir es, so sind wir als politische Partei verzicht- und austauschbar“, warf ein Parteimitglied mit akademischem Hintergrund ein.

„Zweifellos müssen wir uns für die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einsetzen. Auch denke ich, dass es kein Fehler ist, wenn man Kontakt zu Gewerkschaften hat. Hier könnte man von den Jusos lernen, die das sehr gut machen und auf Bezirksebene sehr gut vernetzt sind. Ich glaube, dass wir nicht den Fehler machen dürfen, und dort stehen bleiben. Das Problem mit der AfD geht hier sehr weit hinaus. Hier geht es nicht darum, welche Partei die Interessen der Arbeitnehmerschaft vertritt. Das tut die AfD ja nun wirklich nicht. Dagegen ist die SPD ein Musterbeispiel. Die AfD gewinnt Wahlen, weil sie das Narrativ gewinnt. Und inzwischen geht es bei Themen wie der Migration um nichts anderes mehr. Und wenn Nancy Faeser dann noch versucht, AfD-Wähler davon abzuhalten, AfD zu wählen oder CDU-Wähler davon abzubringen, CDU zu wählen, um dafür SPD zu wählen mit einer, ihr gefahrenen Migrationspolitik, dann funktioniert das nicht, was man ehrlicherweise bei dem letzten Wahlergebnis für die SPD gesehen hat. Wir müssen unsere Themen beibehalten, diese transportieren und wir dürfen uns auch nicht kleiner machen als wir sind. Wir sind eine Partei, die für vielerlei Interessen und Menschengruppen einsteht“, so ein Juso-Mitglied.

„Wir haben viele gute Ideen, wir haben tolle Formate. Das alles bringt uns jedoch nichts, wenn wir unsere Stärken nicht nach außen hin vermarkten. Wir haben ein grottenschlechtes Marketing. Wir sollten viel öfter darüber sprechen, was wir alles machen oder in der Vergangenheit toll umgesetzt haben. Auch sollte viel öfter in der Partei über Frauen gesprochen werden. Ein kleines Beispiel aus dem Ortsverein Tann (Rhön). Vor etwa einem Jahr wurde dort ein Frauenstammtisch gegründet. Gemeinsam mit der Arbeitnehmerwohlfahrt haben wir dafür in der Zeitung geworben. Daraufhin hat sich die CDU darüber beschwert, dass hier SPD steht. Alle Menschen wissen, dass es die Frauen im SPD-Ortsverein gewesen sind, die den Stammtisch mit gegründet haben. Dieser Stammtisch ist ein tolles Format, bei dem viele sinnstiftende Themen angesprochen werden, zum Beispiel wie es gelingt, dass Frauen später eine vernünftige Rente haben. Im neuen Koalitionsvertrag steht leider sehr wenig zur Frauenpolitik, was sehr schade ist. Das Thema Fachkräftemangel ist in aller Munde.

Top-qualifizierte Frauen in unterschiedlichen Berufen sitzen zu Hause, können nicht arbeiten, landen in einer Teilzeitschleife und erhalten nicht die Rente, die sie für später aber eigentlich benötigen. Wir müssen von unten nach oben arbeiten und Initiativen schaffen, die an der Basis ankommen. Vielleicht wäre die Ausarbeitung eines sogenannten Maßnahmenkataloges eine fruchtbare Maßnahme, der in Zusammenarbeit unterschiedlicher Ortsvereine zu unterschiedlichen Themen entstehen könnte“, schlug eine Parteitagsdelegierte vor.

Putsch?

„Ich bin vor über 45 Jahren in die SPD eingetreten. Und ich gehöre dieser Partei noch heute an, und das ist ein Teil des Problems.“ Und weiter: „Die letzte Bundesregierung unter der Führung von Olaf Scholz (SPD) hatte es nicht einfach. Putin hat die Ukraine überfallen und hat damit eine Zeitenwende in Europa eingeläutet, auf diese reagiert werden musste. Und das hat Unmengen Geld gekostet und viel Kraft. Und dann hatte man noch einen Regierungspartner, der einen Koalitionsvertrag unterzeichnet hat, sich nachher aber nicht mehr erinnern konnte, und daraufhin dann beschlossen hat, Oppositionspolitik zu machen, was dieser Bundesregierung dann endgültig das Genick gebrochen hat. Diese letzte Bundesregierung verfügte mit Boris Pistorius und Hubertus Heil über zwei - aus meiner Sicht auch sehr erfolgreiche Minister, die auch parteiübergreifend sehr anerkannt waren. Zum einen Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, der kurzweilig ja sogar mal als Kanzlerkandidat gehandelt wurde. Zum anderen Arbeitsminister Hubertus Heil.

Hubertus Heil hat mit seiner Arbeitsmarktpolitik dafür gesorgt, dass trotz des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiterhin ihr Geld verdienen konnten. Doch dieser Mann konnte in dieser Bundesregierung nichts werden, weil er und Pistorius beide aus Niedersachsen kommen. Und es gibt noch einen Minister, ebenfalls als Niedersachsen, der nun das Finanzministerium leitet, weshalb Hubertus Heil nicht mehr im Amt bleiben konnte. Der amtierende Finanzminister ist zugleich auch noch Parteivorsitzender, seine ehemalige Co-Vorsitzende ist als Wahlverliererin abgestempelt worden. Diese Übernahme hat nach meinem Befinden Charakterzüge eines Putsches. Das ist etwas, dass sich nach meiner Auffassung nach außen hin schlecht verkaufen kann, dass eine Personalie an maßgebender Stelle plötzlich als der Sieger dasteht. Genau das ist aber etwas, womit wir uns bei den Menschen unglaublich unglaubwürdig machen. Dennoch finde ich es gut, dass wir in diese Bundesregierung gegangen sind, ich habe dem Koalitionspapier auch zugestimmt, weil es ohne die SPD keine stabile Bundesregierung gegeben hätte.“

Eines wurde auf dem gestrigen Parteitag deutlich: Die SPD im Unterbezirk Fulda ist fest entschlossen, ihr verloren gegangene Wählerstimmen zurückzuerobern. Gelingen soll ihr das vor allem mit einem klaren Profil und den ihr, seit jeher zugeschriebenen Themen wie Wohnpolitik, Arbeits-, Lohn- und Rentenpolitik und Generationengerechtigkeit. Zusammengefasst und aufbereitet in einem leicht verständlichen Wahlprogramm für die Gesellschaftsschicht, die sie einst wählte und für die die älteste demokratische Partei vor allem eines wahr: Arbeiterpartei. Dass sich Berufsausbildung und Akademisierung nicht ausschließen, davon zeugt heute eine Vielzahl von Berufen. Wie der Unterbezirksvorstand am Freitag mitteilte, soll die Parteibasis in Berlin von dem Aufarbeitungsergebnis in Kürze unterrichtet werden. An einer engeren Verzahnung der Parteibasis mit den Ortsverbänden und Kreisverbänden wolle der Unterbezirksvorstand auch zukünftig festhalten. +++ jessica auth


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