Öffentlicher Nahverkehr in Fulda nur uneingeschränkt nutzbar

„Barrierefreiheit ist für alle da“

„Vorsicht Fahrbahn!“

Seit 1. Januar muss der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) vollkommen barrierefrei sein. Fulda ist insgesamt auf einem guten Weg, doch gerade am wichtigen Knotenpunkt ZOB gibt es immer noch Probleme. Der Spalt zwischen Bordstein und Bus ist maximal fünf Zentimeter breit und weist keinen größeren Höhenunterschied auf. Der Fahrplan hängt nicht nur deutlich sichtbar aus oder wird sogar digital auf einer großen Anzeigetafel präsentiert, sondern eine dynamische Fahrgastinformation gibt auf Knopfdruck die Abfahrtzeiten akustisch preis. Dank taktiler Leitelemente am Boden – beispielsweise in Form von Rillen – können sich Sehbehinderte und Blinde eigenständig bestens orientieren. Dies ist das Idealbild einer barrierefreien Bushaltestelle und gesetzlich vorgeschrieben.

Barrierefreiheit im Fuldaer ÖPNV: allenfalls befriedigend
„Akustische Infos: Diesen Knopf gilt es zu finden.“ Fotos: jens brehl

Neun Jahre hatten Kommunen nun Zeit, den öffentlichen Nahverkehr für „in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen“ vollkommen barrierefrei zu gestalten. Das schreibt die Novelle des Personenbeförderungsgesetzes vor, welche 2013 in Kraft getreten ist. Barrierefreiheit bedeutet, dass Menschen mit Einschränkungen eigenständig und damit ohne fremde Hilfe das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs nutzen können.

Die Stadt Fulda ist derzeit für 370 Haltepunkte verantwortlich. Davon sind nach deren Angaben 200 für Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer barrierefrei. Neben dem Busbahnhof am Stadtschloss und dem Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) sind bei 77 weiteren Haltestellen Fahrgastinformationen akustisch abrufbar. Ab 2023 soll dies bei weiteren rund 100 nachgerüstet werden, wie die Stadt auf Anfrage mitteilt. Entsteht eine neue Haltestelle oder wird eine bestehende saniert, erhalten sie auch taktile Leitsysteme am Boden. Finden umfangreiche Straßenbaumaßnahmen statt, werden Bushaltestellen in dem Bereich im gleichem Atemzug saniert. Bereits vor der Novelle hatte die Stadt Fulda mit dem Umgestalten der Haltestellen begonnen, in der ersten Umbauphase allerdings noch ohne taktile Bodenelemente.

„Es ist ziemlich einfach, im Sinne der Barrierefreiheit die unterschiedlichen Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen“, sagt die Sprecherin des Beirats der Menschen mit Behinderung Lea Widmer. Man könne sich stets an dem Zwei-Sinne-Prinzip orientieren: beispielsweise Fahrgastinformation in Schriftform, aber auch akustisch verfügbar machen. Letzteres ist auch für Menschen hilfreich, die nicht lesen können. Kommen Rollstuhlfahrer gut voran, dann auch Eltern mit Kinderwagen. „Barrierefreiheit ist für alle da.“

In beratender Funktion ist das Gremium im ständigen Austausch mit Verantwortlichen der Stadt. „Planer kontaktieren uns regelmäßig, um beispielsweise Detailfragen auf dem ‚schnellen Dienstweg‘ zu klären“, freut sich Widmer über Expertise, die geschätzt wird. Dennoch würde sie dem öffentlichen Personennahverkehr in Sachen Barrierefreiheit allenfalls die Schulnote 3 geben, also befriedigend.

Blindflug am ZOB

Ein logischer Anfang für den Umbau sind hoch frequentierte Halte- und Umsteigepunkte im Kerngebiet. Der Beirat hatte vor Jahren diese Priorisierung ebenfalls empfohlen. Spricht Widmer allerdings über den ZOB – einer der wichtigsten Knotenpunkte auch für die Weiterfahrt von Bahnreisenden und Startpunkt für Überlandfahrten – schwingt eine Portion Frust mit. Denn für Sehbehinderte ist er ohne fremde Hilfe immer noch nicht nutzbar.

Zwar gibt es seit Herbst 2017 insgesamt vier Knöpfe für akustische Fahrgastinformationen, doch die entsprechenden Pfeiler, an denen sie angebracht sind, gilt es zunächst zu finden. Als blinde Person ist dies nahezu unmöglich, da es keine taktilen Bodenelemente gibt, die dorthin führen. Ist diese Hürde dennoch genommen, nutzt die Information, dass der Bus an Steig K abfährt, recht wenig, wenn man weder weiß, an welcher Stelle des ZOBs man sich gerade und wo sich die entsprechende Abfahrtstelle befindet. Mangels der taktilen Bodenelemente ist es ohne fremde Hilfe nur schwer möglich, sich zu orientieren. Es zeigt sich, dass beim Nachrüsten der dynamischen Fahrgastinformation die Barrierefreiheit nicht zu Ende gedacht wurde.

Auch der Zebrastreifen, der auf die Insel mit den Bussteigen führt, birgt für blinde oder sehbehinderte Menschen eine potenzielle Gefahr. Bordstein und Fahrbahn sind auf der gleichen Höhe, was besonders hilfreich für Rollstuhlfahrer oder Menschen, die auf einen Rollator angewiesen sind, ist. Allerdings fehlen auf dem Gehweg an dieser Stelle wieder taktile Bodensysteme und so überqueren blinde Personen ohne Vorwarnung die Fahrbahn. Über all das ärgert sich Widmer. Sie selbst meidet den ZOB und läuft beispielsweise lieber bis zur Bushaltestelle am Universitätsplatz.

Nun hofft sie, dass der ZOB spätestens für die 2023 stattfindende Landesgartenschau entsprechend nachgerüstet wird. Langfristig überlegt die Stadt den Standort auf die andere Straßenseite und damit deutlich näher an die Gleise zu verlegen. Einen konkreten Zeitplan gibt es dafür allerdings noch nicht. Für Großereignisse wie die Landesgartenschau muss der Verkehrsknotenpunkt vollumfänglich verfügbar sein. Eine Baustelle zu dieser Zeit ist undenkbar. Gleiches gilt für den Hessentag 2026, auf den sich die Stadt als Austragungsort bewirbt. Erst danach könnte das Verlegen beginnen.

Für Sehbehinderte muss sich allerdings schon vorher etwas tun. Streng genommen erfüllt der ZOB nicht die gesetzlichen Vorgaben. Angesichts dessen stehe die Verkehrsplanungsabteilung mit dem Beirat der Menschen mit Behinderung in Kontakt, wie es aus der Pressestelle der Stadt Fulda heißt. Auf Anfrage teilte diese schriftlich mit: „Angesichts der Perspektive, dass der ZOB in einigen Jahren ohnehin verlegt und dann komplett barrierefrei gestaltet werden soll, sind am jetzigen Standort punktuell vor allem solche Nachbesserungen denkbar, die sich mit einem vertretbaren Aufwand realisieren lassen.“ Man befände sich noch in der Prüfung. +++ jens brehl