Notizen von der Abschaffung des Parlamentarismus

Gastbeitrag von Gerhard Merz, MdL

Gerhard Merz

Wiesbaden/ Fulda. Viel wird geklagt über den Funktionsverlust der Parlamente, über die Übermacht der Exekutive, der Regierungen und der Apparate. Das Parlament habe seine Funktion als Ort der lebendigen, offenen Kontroversen, in denen sich gesellschaftliche Entwicklungen, Trends und Debatten widerspiegeln. Die Klagen sind nicht unberechtigt. Umso beklagenswerter ist es daher, wenn Parlamente an ihrer eigenen Demontage auch noch tatkräftig mitwirken.

So geschehen zuletzt am heutigen Donnerstag im Hessischen Landtag. Es beantragten – und beschlossen in namentlicher Abstimmung – die Fraktionen von CDU und Bündnis 90/Die Grünen folgendes: „Der Landtag anerkennt die von Ministerpräsident Georg-August Zinn verfügte Regelung, dass die Auszeichnung mit der Wilhelm-Leuschner-Medaille in der alleinigen Kompetenz des hessischen Ministerpräsidenten liegt und verzichtet daher auf eine Kommentierung dieser Entscheidung durch den Hessischen Landtag.“

Was war geschehen? Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier hatte es für angemessen gehalten, die höchste Auszeichnung, die das Land jährlich in Erinnerung an den bedeutenden Gewerkschafter, Politiker, hessischen Innenminister, führenden Gegner und Opfer des NS-Terrorregimes Wilhelm Leuschner an Persönlichkeiten verleiht, die sich „im Geiste Wilhelm Leuschners….in außergewöhnlicher Weise für Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit“ eingesetzt und verdient gemacht haben, seinem Amtsvorgänger Roland Koch zu verleihen.

Dass Roland Koch sich Verdienste um das Land Hessen erworben hat, soll nicht bestritten werden. Ob unter diesen auch Verdienste um „soziale Gerechtigkeit“ sind, schon eher. Ob diese Verdienste „im Geiste Wilhelm Leuschners“ sind, erst recht. Was aber nicht bestritten werden kann ist, dass es legitim ist, wenn sich Kritik an der Ehrung eines Mannes erhebt, dessen Landtagswahlkampf 1999 mit einer schwarzgeldfinanzierten, ausländerfeindlichen Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft eine Kampfansage an alle war, die für ein friedliches Miteinander aller Hessen eintraten und eintreten; eines Mannes, der sich nicht entblödete, die Mär von den „jüdischen Vermächtnissen“, aus denen das Schwarzgeld der CDU angeblich stammte, aufrechtzuerhalten; eines Mannes, dessen „Operation Sichere Zukunft“ im genauen Gegenteil zum propagandistischen Titel die Axt an die Wurzeln der sozialen Infrastruktur und an Arbeitnehmerrechte legte – ganz gewiss nicht im Geiste des Gewerkschafters Leuschner.

Von Interesse ist hier, dass die Fraktionen von CDU und Bündnis 90/Die Grünen der Auffassung sind, dass eine solche offenkundig kritisierbare und deshalb offenkundig zu Recht umstrittene Entscheidung vom höchsten Verfassungsorgan des Landes nicht kommentiert werden darf. Wenn der Ministerpräsident gesprochen hat, hat das Parlament zu schweigen. Entscheidungen der Regierung zu kritisieren kommt dem Landtag nach Meinung seiner Mehrheitsfraktionen nicht zu, der Fraktionen, die diesen selben Landtag Sitzungswoche für Sitzungswoche mit lobhudelnden Anträgen überschwemmen und damit einen Beitrag zur Funktionsunfähigkeit des Landtags leisten, indem sie ihm schlicht die Zeit für wichtigere Dinge stehlen. Für alles andere gilt das altehrwürdige Motto aus Heinrich Heines Gedicht „Erinnerung aus Krähwinkels Schreckenstagen“:

Vertrauet Eurem Magistrat,
Der fromm und liebend schützt den Staat
Durch huldreich hochwohlweises Walten;
Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.

Wer aber über Roland Koch nicht reden will, der soll in Zukunft auch über Wilhelm Leuschner und über den Geist der Freiheit, Demokratie und sozialen Gerechtigkeit schweigen. Und über die wichtige Rolle des Parlaments als Ort der politischen Auseinandersetzung erst recht! +++