Nahles‘ Pläne von einem Anti-Stress-Gesetz

Berlin. Und jedes Jahr grüßt das Sommerloch: Längst legendär ist die Anregung des einstigen Oberpfälzer CSU-Abgeordneten Dionys Jobst, Mallorca zum 17. Bundesland zu machen. Ein medialer Knaller war vor einiger Zeit auch die Forderung der DGB-Funktionärin Annelie Buntenbach, eine Siesta im Büro einzuführen. In der vergangenen Woche nun reihte sich Arbeitsministerin Andrea Nahles mit ihrem Vorschlag für ein Anti-Stress-Gesetz nahtlos in die Reihe der unterhaltsamen, aber wirklichkeitsfernen Debattenbeiträge ein.

Falls es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Berufspolitikerin Nahles die Realität in den Unternehmen nur vom Hörensagen kennt, liefert sie ihn jetzt selbst. Vielleicht hat die Ministerin – geprägt durch ihre 20 Semester dauernde Studienzeit – ja eine eigene Wahrnehmung für die Zumutbarkeiten der Arbeitswelt entwickelt. Während die SPD-Politikerin der dauernden Erreichbarkeit den Kampf ansagt, wird der Alltag in den Unternehmen längst von Smartphones, Tablets und Notebooks geprägt. Gleichzeitig verschwimmen mit den mobilen Geräten die Grenzen zwischen Beruf und Freizeit. Ob geschäftliche E-Mails nach Feierabend oder die SMS vom Chef am Frühstückstisch – was manche nerven mag, ist für andere selbstverständlicher Bestandteil des Jobs. Ganz zu schweigen von den zahllosen Berufen, die ohne Rufbereitschaft oder Notfallhotline nicht denkbar wären. Außerdem setzen sich viele am Abend ganz freiwillig vor den Computer. Laut einer Studie, die fast zeitgleich zur Forderung von Nahles veröffentlicht wurde, gehören Internet und PC zu den beliebtesten Freizeitaktivitäten der Deutschen.

Natürlich hat die SPD-Politikerin mit ihrem Hinweis Recht, dass die Zahl der psychischen Erkrankungen der Beschäftigten seit Jahren steigt. Das belegen regelmäßig Studien der Krankenkassen. Doch das Lesen von E-Mails nach Dienstschluss allein löst keinen Burnout und keine Depressionen aus. Dafür muss einiges zusammenkommen. Unsichere Arbeitsverhältnisse, miserable Vorgesetzte, Versagensängste, fehlende Anerkennung, monotone Tätigkeiten, Schichtarbeit, mangelnde Aufstiegsperspektiven, Familienfeindlichkeit – das sind die Schreckgespenster der Arbeitswelt, die viele Beschäftigte bis in den Schlaf als Alpträume verfolgen. So kann (ungesunder) Stress entstehen, der irgendwann zur permanenten Qual wird. Dazu kommen dann oft Bewegungsmangel und ungesunde Ernährung – auch in Betriebskantinen. Wenn viele dieser Faktoren zusammentreffen, werden die Beschäftigten fast zwangsläufig krank. Doch ein gesetzliches Stressverbot macht sie nicht wieder gesund.

Wir brauchen eine bessere Gesundheitsvorsorge in den Unternehmen, anstatt neue bürokratische Vorschriften, die später sowieso niemand überwacht. Die Politik sollte daher besser über Anreize für Betriebe diskutieren, mehr in Prävention zu investieren. Dazu gehört auch eine neue Arbeitskultur, die sich um die Probleme der alternden Belegschaften genauso kümmert wie um die Erwartungen des beruflichen Nachwuchses. Und natürlich sind auch die Beschäftigten selbst gefragt, ihr höchstes Gut – die Gesundheit – zu erhalten. Mit einem Anti-Stress-Gesetz wird die Politik diese Ziele nicht erreichen. Es wird voraussichtlich in der Versenkung verschwinden – genauso wie so viele andere unterhaltsame Sommerloch-Ideen. Ein Indiz dafür ist, dass sich viele Gesundheitsexperten in den zuständigen Ministerien derzeit noch im Urlaub vom Stress regenerieren. Und Nahles kann sie ja nun kaum via E-Mail vom Pool zur Arbeit scheuchen… Entweder war das Timing von Nahles schlecht – oder sie wollte von Anfang an nur einen medialen Kracher in der Saure-Gurken-Zeit. +++ fuldainfo | Stefan Stark [popup url=“http://www.fuldainfo.de/html/quelle.htm“ height=“900″ width=“1600″ scrollbars=“yes“ alt=“popup“]mz[/popup]