Merz hört mit – Im Mehltau zu Berge wir zieh‘n, fallera

Gerhard Merz

Gießen/ Fulda. Politik und Natur, das zeigt schon ein flüchtiger Blick, leben in symbiotischer Beziehung. Politik bietet Lebensraum für die Tier- und Pflanzenwelt, ist manchmal gar das, was man in Flora und Fauna als „Wirtstier“ bzw. „Wirtspflanze“ bezeichnet. Der Wolf im Schafspelz ist hier ebenso zuhause wie der bellende getroffene Hund, der Angstbeißer, das Trüffelschwein, das aus dem Hut gezauberte oder (wahlweise) bewegungslos vor der Schlange sitzende Kaninchen, der blühende Weizen, der Wildwuchs, der vor lauter Bäumen unsichtbare Wald, der Dschungel der Bürokratie und anderes mehr, von den vielen mythischen Tier-und Pflanzenarten wie der Hydra, dem Leviathan oder dem Baum der Erkenntnis ganz zu schweigen. Vergegenwärtigt man sich diese polit-ökologische, vom harten Kampf um das „survival of the fittest“ geprägte Ausgangslage, dann erscheint die Karriere des Mehltaus auf den Feldern und Ebenen der Politik umso erstaunlicher, zumal es sich ja um eher kleine, unscheinbare Organismen aus der weitverzweigten Familie der Pilze handelt.

„Mehltau“ ist eine Sammelbezeichnung für verschiedene durch Pilze verursachte Pflanzenkrankheiten, die in der Regel durch einen weißen Belag (Pilzrasen) auf Blattoberflächen in Erscheinung treten. Dabei wird zwischen Echten und Falschen Mehltauarten unterschieden. Gerade diese letztere Unterscheidung dürfte aber da, wo der Mehltau in Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft seine lähmende resp. zerstörerische, nun ja: Tätigkeit ausübt, schwierig sein.

Ob es sich beispielsweise bei dem „Mehltau“ genannten „Überzug, den die Reformmüdigkeit des sesshaften Kanzlers übers Land legte“ (Christoph Schwennicke, Merkels Mehltau, CICERO, 4.Juni 2014) um den „echten“ oder „falschen“ Mehltau handelt, dürfte schwer zu entscheiden, am Ende aber vielleicht auch gleichgültig sein, denn: „Heute sehnt man sich nach dem Mehltau eines Helmut Kohl geradezu zurück. Denn die gelehrigste Schülerin des sesshaften Kanzlers hat das Land in einen Dämmerzustand ohne Beispiel versetzt. Gegen Merkels Mehltau war Kohls Mehltau politischer Humus, fruchtbarer Mutterboden.“ (ebd.) Man ersieht schon daraus die ungeheure Vielgestaltigkeit resp. Wandlungsfähigkeit des Mehltaus, der sich als Zustand über etwas legen kann, dessen Untergrund, ja Nährboden er gleichzeitig ist. Andererseits kann er auch den körperlosen Charakter einer allumhüllenden Stimmung annehmen, so dass man „im Mehltau zur Urne“ schreiten kann, weil er, der weiland Humus, nun als „unpolitische Stimmung über dem Land“ liegt (Degler denkt, in: sueddeutsche.de, 17. Mai 2010), insofern wiederum dem Merkel’schen Dämmerzustand ähnlich.

In welcher Beziehung nun dieser Kohl’sche resp. Merkel’sche Mehltau zu dem Phänomen der „politischen Korrektheit“ steht, ist ungeklärt, klar ist, dass diese letztere, nämlich die politische Korrektheit, selbst die Funktion des ersteren, des Mehltaus, übernehmen kann. Da müssen rechte Männer auf den Plan treten, um dem Einhalt zu gebieten: „Die politische Korrektheit liegt wie Mehltau über unserem Land. Und ich bin angetreten, um diese politische Korrektheit wegzuräumen.“ (Björn Höcke, Spitzenkandidat AFD Thüringen, zitiert nach: Lenz Jacobsen, Zeit-online, 30. Juli 2014)

Die Furcht vor dem Mehltau ist freilich schon von alters her („Ein Gespenst geht um in Europa: Der Mehltau“, Charles Darwin) auch auf der Linken verbreitet, ein Beleg für Ubiquität und Wandlungsfähigkeit des Pilzes: „Von Taumel zu Mehltau… Nach dem Taumel im Aufbruch legte sich über Nacht Mehltau über den Regierungsalltag.“ (Dietmar Bartsch, Stellv. Vorsitzender des Bundestagsfraktion Die Linke, Die Woche – Wöchentliche Kolumne auf linksfraktion.de, 20. Januar 2014). Ob es sich bei dem „Taumel“ nur um die Umkehrung von Mel-Tau, also Meltau handelt, eine andere Bezeichnung für Honigtau und mit dem Mehltau nicht zu verwechseln, wäre eine Frage, der nachzugehen sich lohnte, die freilich für diese Kolumne entschieden zu weitläufig wäre. Nicht immer freilich löst Mehltaubefall Angst und Unwohlsein aus, manchmal ist es gerade der Mangel daran, der die Menschen unglücklich macht, wie ein Blick in unser Nachbarland Österreich, zeigt: „Wie Hänsel und Gretel – …. Offenbar trösten sich SPÖ und ÖVP mit der Hoffnung, es könnte sich dann vielleicht eine Nostalgiewelle ausbreiten – eine Sehnsucht nach der guten alten Zeit, da rot-schwarzer Mehltau das Land wohlig lähmte. (Anton Pelinka, zeit-online, 10. Juli 2014). Tu, felix austria, Mehltau!

Selbstverständlich bleibt auch die Welt der Ökonomie nicht ausgespart: „Mini-Wachstum legt sich wie Mehltau auf Euro-Zone.“ (welt.de, 4. April 2014). Das Wachstum lähmend wirken kann, ist dabei eine durchaus originelle Erkenntnis ebenso wie die Aufdeckung folgenden Zusammenhangs: „Der Mehltau der Transferunion… Diese ‚tolle Politik‘ beruht darauf, dort wo das Kind in den Brunnen gefallen ist, einfach Geld hin zu senden. Das wirkt dann wie ein Pflaster, das auf die Not gelegt wird. Es ist aber auch ein Pflaster, das die Not noch eine Zeit lang überdeckt. (Michael Obergfell, in: krisenfrei.de, 31.Mai 2014)Der Mehltau als Pflaster für in den Brunnen gefallene Kinder, das muss den kleinen Pilzen und der Transferunion erst mal einer nachmachen. Auch in den Städten und Gemeinden treibt der Mehltau sein Unwesen, von Eschborn („Mehltau im Rathaus … Wie Mehltau aber legt sich Geigers Vertrauensbruch über die Beschäftigten im Eschborner Rathaus“, Heike Lattka, FAZ, 9. Februar 2015) bis Trier („Dicker Mehltau liegt auf der Stadt”, Eric Thielen, Trier-Reporter, 27. März 2014)

Beängstigend ist, dass auch weite Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, wie Kultur und Sport, bereits befallen sind: „Mehltau und Moderne – Unsere museale Kultur ist die Kehrseite des geschichtslosen Kapitalismus. …. Die Museen sind lediglich mehr oder weniger gute Vollstrecker dieser Notwendigkeit, mit der sich freilich auch ein morbider Mehltau aufs Gesammelte senkt. Es wird in einem zweiten Sinne museal: einbalsamiert.“ (Christoph Türcke , Zeit-online, 20. Februar 2008)Das Rätselhaft-Widersprüchlich-Janusköpfige des Mehltaus wird hier fein herausgearbeitet, indem der selbst morbide, todgeweihte Mehltau sich wie Balsam auf die Gegenstände legt, ein Prozess, aus dem Museen entstehen.

Ebenso fein aber auch die Beobachtung, wie der Mehltau in der weiten Welt des Sports wirksam wird: „Kann Hannover tatsächlich keine Auswärtsspiele gewinnen? Frankfurt die letzten zehn Minuten nicht ohne Gegentor überstehen? ….Das Prinzip der sich selbst erfüllenden Prophezeiungen legt sich wie Mehltau über eine Mannschaft und den gesamten Verein.“ (Katja Kraus, Das Recht auf die nächste Niederlage, Zeit-online *, 28. November 2013) Kein Wunder demzufolge, wenn die Kicker vor lauter Mehltau das Tor und vor lauter Pilzrasen den grünen Rasen nicht mehr sehen!

Nicht restlos geklärt ist die Art und Weise, in der sich der Mehltau verbreitet. Mehrheitlich wird die Auffassung vertreten, dass er sich auf etwas legt – wobei wiederum unklar bleibt ob als Welle, als Wolke, als Nebel, als Stimmung, als Pflaster oder als was sonst. Andererseits: „Koch versucht jetzt, Mehltau zu streuen.“ (H. Scheer, MdB-SPD, 05. August 2008, Sitzung der SPD-Landtagsfraktion Hessen) Der Mehltau kann also auch zur lähmend-zerstörerischen Waffe in der Hand finsterer Mächte werden, zweifelsohne ein Desiderat der Forschung über biologische Kriegswaffen.

Umso wichtiger also, dass diese Forschung weiter vorangetrieben wird. Und da gibt es frohe Kunde: „Mehltau in der Sackgasse – Der Pflanzenschädling besitzt nur noch die Gene, die für sein Parasitendasein nötig sind“

Das Ende ist nahe. Irgendwann einmal wird sich der Mehltau wie Mehltau über sich selber legen!

*Man könnte an dieser Stelle zu der Überzeugung kommen, dass der Mehltau wie Mehltau über Zeit-online liegt. +++ fuldainfo | gerhard merz