Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre Kritik an der Schließung der Balkanroute erneuert und ist zugleich dem Eindruck entgegengetreten, sie habe einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik vollzogen. "Wenn Sie mich also fragen, ob die Schließung der Balkanroute das Problem gelöst hat, sage ich klar Nein. Sie hat in den Wochen, bevor das EU-Türkei-Abkommen in Kraft trat, zwar dazu geführt, dass weniger Flüchtlinge in Deutschland ankamen - aber dafür 45.000 in Griechenland", sagte Merkel der "Zeit".
Umgerechnet auf die deutsche Einwohnerzahl wären das 360.000 gewesen, "also fast doppelt so viele wie wir im schwierigsten Monat November hatten", so die Kanzlerin. Daran zeige sich, dass nur das EU-Türkei-Abkommen eine nachhaltige Lösung bringe. Zwar habe sie seit dem September 2015 eine Reihe von Maßnahmen in Gang gesetzt, "in der Grundhaltung aber ist meine Politik konstant geblieben", so Merkel. Ihre Aussage, es seien Fehler gemacht worden, habe sie auf "das ganze System der europäischen Flüchtlings- und Migrationspolitik" bezogen. Für die Unzulänglichkeiten der sogenannten Dublin-Regelung sei Deutschland mit verantwortlich: "Denn wir haben uns vor Jahren dagegen gewehrt, dass der Schutz der Außengrenzen europäisiert wurde. Und wir haben damals auch die Verteilungsquoten nicht gewollt, die wir uns heute für alle Mitgliedsstaaten wünschen." Als "strategisch hochwichtige Frage" bezeichnet Merkel einen neuen Umgang mit Afrika. "Deutschland musste sich dieser Frage früher nie so stellen, Italien dagegen schon, ebenso Spanien", so die Kanzlerin. "Wir waren die meiste Zeit schlicht zufrieden, dass keine Flüchtlinge kamen." Nun müsse sich Deutschland dem Problem stellen, weil die Menschen "vor unserer Tür" stünden.
Merkel weiter: "Ich glaube nicht daran, dass wir dieses Problem durch maximales Ignorieren, durch Distanz und Abschottung wieder verschwinden lassen können. Ich bin Realistin, und das ist eine Realität." Sie sei "überzeugt, dass unsere Sicherheit, unser Leben in Frieden und unsere nachhaltige Entwicklung mit der Lebenssituation von Menschen, die weit weg von uns wohnen, zusammenhängen". Ihr Amtseid beziehe sich auf das Wohl Deutschlands, dieses sei aber heute "allein mit der Konzentration auf Deutschland selbst", dauerhaft nicht zu erreichen. "Wenn ich als deutsche Bundeskanzlerin dafür sorgen will, dass es uns Deutschen gut geht, dass die Europäische Union zusammenhält, muss ich mich auch darum kümmern, dass es in Europas Nachbarschaft so zugeht, dass Menschen dort Heimat auch als Heimat empfinden können. Konkret heißt das in unserer Zeit, dass wir uns in neuer Weise mit Afrika befassen müssen." Man könne natürlich nicht "die ganze Welt von einem Tag auf den anderen zum Besseren wenden". Aber wenn man deutsche Interessen verfolgen wolle, "müssen wir realistischerweise sagen, dass auch das Wohl Afrikas im deutschen Interesse liegt". +++

Es ist immer wieder spannend, zu sehen, daß offenbar in Berlin auch gewisse Artikel aus dem Spiegel gelesen werden. Ich verweise hier auf den Artikel "Die Spur des Geldes" aus der Ausgbe 39/2006, online hier abrufbar:
http://www.spiegel.de/spiegel/menschenschmuggler-die-spur-des-geldes-a-1113740.html
Und nun zum eigentlichen Problem. Zitat: "Als „strategisch hochwichtige Frage“ bezeichnet Merkel einen neuen Umgang mit Afrika".
Was die Kanzlerin hier etwas verschwurbelt meint (Afrika ist gross!) ist das Problem mit Libyen. Hätte man seinerzeit nicht mitgeholfen, den Diktator Gaddafi (und eine ganze Reihe anderer Diktatoren) loszuwerden, dann hätten wir heute nicht das Problem mit den Flüchtlingen aus Afrika über die Route Libyen, Mittelmeer, Lampedusa, und Sizilien.
Jedoch sagte schon seinerzeit ein gewisser SPD Politiker: "Hätte, hätte, Fahrradkette".
Doch nun haben wir den Salat und Deutschland sollte endlich begreifen, daß man Schleuser nicht mit Samthandschuhen anfasst.
Jedoch ist die Situation für unser soziales, humanes Deutschland brutal: Hilft man den Schleusern vor Libyen nicht und nimmt die Flüchtlinge in ihren Nussschalen nicht auf, dann ersaufen sie sicher im Mittelmeer. Da sich das aber kein europäischer Politiker und erst recht nicht Mutti Merkel vorwerfen lassen will, hilft man eben so gut es geht und macht sich damit unfreiwillig zu Helfershelfern krimineller Banden, die den Flüchtlingen das letzte Geld aus der Tasche ziehen.
Um eine neue Flut von Flüchtlingen aus Afrika zu verhindern, muss man sich also in Berlin Einiges einfallen lassen. Ich möchte nicht in deren Haut stecken.
Notwendig ist: Keine weitere Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik, aber im Politikstil! Und das insbesondere bei den Herren der CSU!
Keine virtuellen Symbol-Diskussionen über Obergrenzen, Zäune, Transitzonen, Burkas,..., keine Nachahmung der Sprache der Rechtspopulisten (vgl. aktuell Scheuers "Gleichnis" vom fußballspielenden, ministrierenden Senegalesen), aber Voraussetzungen für eine gelungene, breit akzeptierte Integration (auch über Sportvereine und Kirchen, Herr Scheuer!) und deren gerechter Finanzierung schaffen.
Natürlich ist Merkels Flüchtlingspolitik und der hilflose und verkommene Politikstil innerhalb der Union und der Regierung an dem Wahldesaster der CDU schuld. Insofern kann sich auch Seehofer nicht als Sieger fühlen, es sei denn, er will weiterhin der CDU und ihrer Kanzlerin schaden.
CDU/CSU inkl. Merkel haben jahrzehntelang eine proaktive Flüchtlingspolitik verhindert ("Deutschland ist kein Einwanderungsland!"). Die Politik hat eine rechtzeitige Vorbereitung auf die derzeitige, vorhersehbare Flüchtlingssituation verschlafen. Jetzt wäre eigentlich - in Anbetracht der Lage - eine handlungsfähige große Koalition gefordert.
Stattdessen: Eine Koalition,
- die sich von einem rechnerisch nicht benötigten Teil (CSU) auf beispiellose Weise in immer schärfere Abschottungsdiskussionen treiben lässt und damit das rechte Anti-Flüchtlingsspektrum befeuert,
- die Beschlüsse faßt, während gleichzeitig der unbedeutendere Teil mit Verfassungsklage droht,
- die es zuläßt, dass auf gefaßte Beschlüsse gleich neue Forderungen draufgesattelt werden, anstelle für eine rasche Umsetzung der bisherigen Beschlüsse zu sorgen,
- die hilflos demonstriert, dass ihr die Kontrolle über die Flüchtlinge entglitten ist, dies mit immer neuen, oft kleinkarierten, populistischen Maßnahmenvorschlägen (neueste kabarettreife Nummer: Burka-Verbot) zu verschleiern versucht, anstelle die großen, seit Monaten offensichtlichen Handlungsdefizite wirkungsvoll anzugehen,
- deren Hauptstreithähne und - Hennen dem gemäßigteren und besonneren Teil der Koalition Vergiftung des Koalitionsklimas vorwirft,
- in der verabredete Themen in erpresserischer Manier gegeneinander ausgespielt werden (Flüchtlingspolitik, Erbschaftssteuer, Leiharbeit, ...),
- deren maßgebliche Protagonisten in ihrer öffentlichen Kommunikation Respekt und Anstand vermissen lassen mit entsprechender Ausstrahlung auf anfällige Bevölkerungskreise,
- deren Kanzlerin
-- das Fehlen eines Masterplanes durch ein "Wir schaffen das-Mantra" verdeckt, stattdessen sich im Klein-Klein nicht nur verzettelt, sondern monatelang politisch streitet und paralysiert,
-- dem überforderten Innenminister einen ebenfalls überforderten Flüchtlingskoordinator aus dem Kanzleramt vor die Nase setzt, was offensichtlich ein kräftiges Koordinationsproblem innerhalb der Regierung erzeugt,
-- dem häufig hilflos umher irrlichternden Innenminister putschähnliches Handeln durchgehen lässt,
-- sich von den Ministern Schäuble, De Maizière und Dobrindt vorführen läßt,
-- zwar gut gemeinte, aber planlose Willkommenssignale in die Welt sendet und sich von Seehofer und diversen CDU-Granden (mittlerweile auch von etlichen CDU-Hinterbänklern) "Jahrhundertfehler" und "Herrschaft des Unrechts" vorhalten läßt,
-- sich von Leuten wie Seehofer, Klöckner vor wichtigen internationalen Verhandlungen - zum Schaden von Deutschland - in den Rücken fallen lässt,
-- auf EU-Ebene erfolglos agiert (von den lächerlich 160 Tsd zur Umverteilung vorgesehenen Flüchtlingen sind weniger als 5000 umverteilt!) und dafür auch noch europaweit Häme einstecken muß.
Spätestens jetzt wäre - nachdem die Kanzlerin offensichtlich versagt - der bedeutendere Teil der Koalition gefordert. Der SPD-Chef muß die Reißleine ziehen, die Koalitionsfrage stellen und mehr Verantwortung in der Flüchtlingspolitik übernehmen. Dazu bedürfte es aber auch einer Haltung, wie sie der SPD aufgrund ihr Geschichte in der Flüchtlingsfrage gebührt! Dazu bräuchte er aber Eier in der Hose! Noch ist es nicht zu spät! Überfällige erste Schritte wären die Ablösung von De Maizière und der Rausschmiß der CSU aus der Koalition!
Vielleicht spielt aber die Union - auf dem Rücken der Flüchtlinge - einfach mal wieder das Good Guy (Merkel) - Bad Guy (Seehofer, neuerdings auch De Maizière, Spahn) - Spiel mit der SPD. Und die SPD lässt sich bei der Verschärfung der Asylgesetze und der Verabschiedung von der Willkommenskultur von der Union mal wieder über den Tisch ziehen und setzt wieder einmal kein - längst überfälliges - Einwanderungsgesetz durch.
Es muss auch daran erinnert werden dürfen, dass die CDU/CSU und insbesondere Merkel vor 14 Jahren das Süssmuth-Konzept für eine moderne, zeitgemäße Zuwanderungspolitik abgeschmettert haben. Vor zwei Jahren hat Merkel eine Quotenregelung auf europäischer Ebene blockiert und im Sommer diesen Jahres gut gemeinte, aber planlose Willkommenssignale in die Welt gesandt. Und über das heute sichtbare Chaos werden Krokodilstränen vergossen. Scheinheilig!
"Wenn erklingt: wer betrügt, der fliegt,
tipp ich resigniert: Populismus siegt."
http://youtu.be/sBom50KrkBk
Und im übrigen: nach der Wahl ist vor der Wahl:
http://youtu.be/0zSclA_zqK4
Viel Spaß beim Anhören!