Mansour: Radikalisierung psychisch Kranker „neues Phänomen“

Nach der Messer-Attacke in Würzburg fordert der Islamismus-Experte Ahmad Mansour, mutmaßliche terroristische Angriffe im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen neu zu bewerten. „Wir haben es mit einem neuen Phänomen zu tun, dass psychisch Kranke sich selbst radikalisieren“, sagte er dem Nachrichtenportal Watson. „Sie brauchen keine Mitgliedschaften oder Kontakte zu Terrororganisationen. Das macht die Sache für die Sicherheitsorgane sehr schwierig, weil die Einzelpersonen nicht in die bisherigen Raster und Vorstellungen fallen und deswegen auch nicht auffallen. Wir müssen uns dazu bewegen, den Terror vielleicht auch neu zu definieren.“

Am Freitag hatte ein 24-jähriger Somalier auf mehrere Passanten in Würzburg eingestochen, drei Menschen starben. Ob es sich um einen terroristischen Anschlag handelt oder der mutmaßliche Täter psychisch erkrankt ist, ist derzeit noch unklar. Terrorismusexperte Rolf Tophoven sagte dazu gegenüber Watson: „Man muss differenzieren: In Würzburg liegt möglicherweise eine Kombination einer psychischen Störung mit islamistischer Inspiration vor. Wie es aussieht, hat sich der Täter wohl aufgrund der islamistischen Inspiration so weit motiviert, dass er zum Messer gegriffen hat.“ Mansour warnt davor, eine mögliche psychische Erkrankung des Täters als vereinfachte Erklärung der Tat hinzunehmen. „Psychische Erkrankungen von Tätern werden weiterhin benutzt, um diese abzustempeln und sich nicht mit den unbequemeren, ideologischen Hintergründen auseinandersetzen zu müssen. Das ist zwar einfacher, entspricht aber nicht der Wahrheit“, sagte er dem Portal.

Rufe nach besserer psychologischer Betreuung von Asylbewerbern
Es sei wichtig, dass Asylsuchende „bei Bedarf Zugang zu psychologischer Hilfe bekommen, um eine Eigengefährdung und eine Gefährdung anderer Menschen zu verhindern“, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg (CDU), der „Welt“. Werde bei der Unterbringung oder im Asylverfahren eine dringende psychologische Betreuung offensichtlich, „sollte ein Austausch mit den zuständigen Stellen stattfinden“. Es sei allerdings offen, ob die Tat in Würzburg auf fehlende psychologische Betreuung zurückzuführen sei, so Middelberg. Deshalb dürften keine vorschnellen Schlüsse gezogen werden. Bei Hinweisen auf eine Radikalisierung sei die Beratungsstelle „Radikalisierung“ des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ein wichtiges Instrument. „Jeder, der merkt, dass jemand in seinem Umfeld extremistische Tendenzen zeigt, kann und sollte sich dorthin wenden.“ In der Linksfraktion beklagt die innenpolitische Sprecherin Ulla Jelpke mangelnde Kapazitäten. „Die psychologische Betreuungs- und Behandlungssituation für Geflüchtete muss dringend verbessert werden. Spezialisierte Behandlungseinrichtungen mahnen schon seit Jahren, dass es viel zu wenige Behandlungsmöglichkeiten in diesem Bereich gibt.“ Genauso wichtig sei es, „dass Geflüchtete offen aufgenommen werden, hier in Ruhe ankommen können und dass sie bei der Integration und Arbeitsaufnahme unterstützt werden. Denn eine schnelle Integration wäre für viele die beste Therapie.“

In der Praxis sehe es anders aus, so Jelpke: „Geflüchtete werden in Massenlagern oder Obdachlosenunterkünften mit ihnen fremden Menschen untergebracht, oft fernab von der übrigen Bevölkerung. Das Leben in sogenannten Anker-Zentren ist eine große psychische Belastung für die Menschen, die durch die Sachleistungsverpflegung zusätzlich entmündigt werden.“ Nur wenige Gruppe  n bekämen einen frühzeitigen Zugang zu Integrationskursen. „Psychisch traumatisierte Menschen werden unter den gegebenen Bedingungen der hiesigen Abschreckungspolitik nicht stabilisiert, sondern zusätzlich belastet.“ Filiz Polat, migrationspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, sieht ebenfalls große Defizite. Es bedürfe auch eines „speziellen Angebots für traumatisierte Geflüchtete“. Wiederholt hätten Fachverbände vor einem hohen ungedeckten Bedarf bei Psychotherapie und psychosozialer Unterstützung gewarnt; die Kapazitäten der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer lägen nach wie vor weit unter dem Bedarf. „Von einem flächendeckenden und bedarfsgerechten Angebot für traumatisierte Geflüchtete sind wir meilenweit entfernt“, so Polat. +++