Lauterbach sieht Deutschland weit entfernt von Lockerungen

Pandemiemanagement wird neu ausgerichtet

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hält deutlich mehr Impfungen bei den über 60-Jährigen für notwendig, um Lockerungen der Corona-Maßnahmen verantworten zu können. „In Ländern wie Italien und England haben weniger als fünf Prozent der über 60-Jährigen gar keinen oder nur unzureichenden Impfschutz“, sagte er der „Rheinischen Post“. Diese Länder führen daher jetzt langsam Maßnahmen zurück. „In Deutschland ist die Impflücke aber viel größer und betrifft zu viele ältere und vorerkrankte Menschen“, argumentierte er. „Es wäre unverantwortlich, das Virus auf diese große Risikogruppe ohne Kontaktbeschränkungen loszulassen“, sagte der SPD-Politiker.

Daher sei er auch für die Impfpflicht, um im Herbst die Impflücke zu schließen. Dabei appellierte Lauterbach eindringlich an alle Ungeimpften, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. „Seit zwei Jahren nehmen wir große Rücksicht auf die Ungeimpften und bringen als Gesellschaft – allen voran die Kinder – extrem große Opfer.“ Das gehe nicht länger so weiter. „Zur Abwechslung sind jetzt endlich mal die Ungeimpften dran. Und sie müssen ja nicht mal ein Opfer erbringen, weil die Impfstoffe gut verträglich, sicher und extrem wirksam sind“, so Lauterbach. Angesichts der zu großen Impflücke und zugleich extrem hoher Infektionszahlen schloss er eine Verschiebung planbarer Operationen nicht aus. „Menschen, die bereits auf eine Operation warten oder bis Ende Februar operiert werden sollen, müssen auf eine möglichst flache Inzidenzkurve hoffen. Ich kann es nicht anders sagen: Es kommt jetzt auf das Verhalten der Ungeimpften an, wie viele von ihnen gleichzeitig in den Krankenhäusern landen und dort versorgt werden müssen.“

Giffey für Verschärfung der Maskenpflicht

Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hat eine Verschärfung der Maskenpflicht ins Gespräch gebracht. „Um die Infektionsketten in den Griff zu bekommen, kann ich mir eine Ausweitung der FFP2-Maskenpflicht, zum Beispiel im Einzelhandel, vorstellen, wie es sie auch schon im Nahverkehr gibt“, sagte sie der „Rheinischen Post“. „Diese schützen weitaus besser als beispielsweise medizinische Masken, sofern sie richtig über Mund und Nase getragen werden.“ Weitere Kontaktbeschränkungen seien für die nächste Ministerpräsidentenkonferenz nicht in Sicht. „Die Kliniken und insbesondere die Intensivstationen sind aktuell nicht überlastet, das ist einer der wichtigsten Indikatoren zur Beurteilung der Lage“, sagte Giffey. Die 2G-Plus-Regelung verlange den Gastwirten bereits sehr viel ab. „Da sehe ich keine Möglichkeit, noch sehr viel mehr nachzuschärfen. Auch Bars werden damit vorerst geöffnet bleiben. Clubs sind ja bereits geschlossen“, sagte die SPD-Politikerin. Schulschließungen könnten nur das allerletzte Mittel sein. Zur Umsetzung und Kontrolle einer möglichen allgemeinen Impfpflicht sagte Giffey: „Ich finde, dass bei jedem Arztbesuch eine Aufklärung über die Impfpflicht stattfinden müsste. Und auch die Impfzentren sind bis Jahresende finanziert, sodass sie bei der Umsetzung einer Impfpflicht mithelfen könnten.“ Die Kontrolle des Impfnachweises müsse dann überall im Alltag erfolgen: „Beim Kauf einer Fahrkarte, im Einzelhandel und im Restaurant. Anders wird es nicht gehen“, sagte die Sozialdemokratin. Ein Impfregister halte sie in der Umsetzung und rechtlich für problematisch. „Pflicht heißt nicht Zwang zum Impfen, sondern die Einführung von Konsequenzen, wenn man sich nicht daran hält – zum Beispiel mit Bußgeldern.“

Pandemiemanagement wird neu ausgerichtet

Angesichts der Rekordwerte bei den Infektionszahlen hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine Neuausrichtung des Pandemiemanagements angekündigt. „Wir haben drei Bereiche des Pandemiemanagements, die wir an die Omikron-Welle anpassen müssen“, sagte er der „Rheinischen Post“. Die kürzeren Quarantänezeiten und das einfachere Freitesten seien der eine Bereich, den habe man bereits erledigt. „Bleiben die Kontaktnachverfolgung und eine Priorisierung der PCR-Tests. Das gehen wir jetzt an“, sagte Lauterbach mit Blick auf die Bund-Länder-Beratungen am kommenden Montag. Sein Vorschlag für die Testpriorisierung sei, „dass künftig nur noch Beschäftigte der kritischen Infrastruktur einen positiven Schnelltest mit einem PCR-Test bestätigen lassen können“, sagte der Minister. „Alle anderen Menschen, die beispielsweise zu Hause einen positiven Schnelltest hatten, sollen diesen im Testzentrum nur noch mit einem professionellen Antigen -Schnelltest bestätigen lassen“, so der SPD-Politiker. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass der PCR-Test ein anderes Ergebnis anzeige als ein professioneller Antigen-Test, sei „sehr gering bei der hohen Prävalenz der Omikron-Variante“. Auch das Schnelltest-Ergebnis werde an das Gesundheitsamt übermittelt. „Der PCR-Test ist nicht mehr Voraussetzung für die Meldung beim RKI. So sparen wir wichtige PCR-Kapazitäten für den Höhepunkt der Welle“, sagte Lauterbach. Er rechne schon in kurzer Zeit mit mehreren Hunderttausend neuen Infektionsfällen pro Tag. „Das wird kein Gesundheitsamt mehr abarbeiten können, auch nicht mit Hilfe der Bundeswehr. Wir brauchen daher schnellstmöglich einen Fokus der Kontaktnachverfolgung, zum Beispiel bei Lehrkräften, medizinischem Personal, Beschäftigten von Energie- und Wasserversorgern, Einsatzkräften und anderen Bereichen der kritischen Infrastruktur“, sagte Lauterbach. Ein Entwurf seines Ministeriums würde bei der Gesundheitsministerkonferenz an diesem Samstag sowie bei den Bund-Länder-Beratungen am Montag diskutiert und dann auf den Weg gebracht werden. Von einer Verschärfung der geltenden Corona-Maßnahmen riet der Mediziner ab, warnte aber zugleich vor Lockerungen. „Ich bin dafür, dass wir die bestehenden Maßnahmen beibehalten, also nicht ausweiten. Aber eine Lockerung wäre fatal. Wir würden Öl ins Feuer gießen und die Welle beschleunigen“, sagte der SPD-Politiker. „Wir sind zwar auf dem richtigen Kurs und schon dabei, aus der drohenden Omikron-Wand einen Hügel zu machen“, so Lauterbach. Entscheidend sei gewesen, dass die Verdopplungszeit der Fallzahlen „dank der vergleichsweise strengen Regeln in Deutschland von zwei auf sechs Tage“ gestreckt werden konnte. „Trotzdem können wir eine Überlastung der Intensivstationen, der Krankenhäuser und den Einbruch von Teilen der Infrastruktur noch nicht ausschließen“, sagte der Bundesgesundheitsminister. +++