Kultur kehrt zurück: Volker Bouffier eröffnete 70. Bad Hersfelder Festspiele

Europäische Erstaufführung von Der Club der toten Dichter

Vier Premieren an vier Tagen: Eine europäische Erstaufführung, eine Uraufführung, ein Familienstück und eine Komödie. Das sind die 70. Bad Hersfelder Festspiele, die gestern Abend um 21:00 Uhr mit der europäischen Uraufführung von „Der Club der toten Dichter“ in einer Inszenierung von Festspiel-Intendant Joern Hinkel in der Stiftsruine ihre Eröffnung feierten und am Sonntag, den 8. August 2021, mit einer Abschiedsgala ausklingen werden. Intendant Joern Hinkel bekundete beim Festakt zur Eröffnung seine persönliche Freude darüber, dass es endlich wieder losgeht und den Festspielen in Pandemiezeiten stattgegeben werden konnten. In diesem Zusammenhang dankte er allen – begonnen bei der Bundesregierung und dem Land Hessen, dem Bad Hersfelder Stadtparlament mit Bürgermeister Thomas Fehling an der Spitze über die Freunde der Bad Hersfelder Festspiele sowie  den Sponsoren und Förderern, den Mitwirkenden der Bad Hersfelder Festspiele und nicht zuletzt den Hersfelder Bürgerinnen und Bürger, die, so der Festspiel-Intendant wörtlich, „die Bad Hersfelder Festspiele in den vergangenen 70 Jahren bereichert und getragen haben“.

Hersfelder Festspiele nach Corona-Zwangspause wieder zurück
Ein besonderer Dank adressierte Intendant Joern Hinkel Tom Schulman, der Autor des oscarprämierten Drehbuches von „Der Club der toten Dichter“, der sich nach „zahlreich geführten Telefonaten“ vonseiten der Bad Hersfelder Festspiele letztendlich überzeugen ließ, den Bad Hersfelder Festspielen „als erstes Theater außerhalb von Amerika“ die Erlaubnis zu erteilen, aus seinem Drehbuch eine Bühnenfassung zu erstellen. Tom Schulman war ursprünglich angekündigt, dem Premierenabend gemeinsam mit seiner Ehefrau persönlich beizuwohnen, musste aber aufgrund unterschiedlicher Projekte kurzfristig absagen. Via Videobotschaft sendete der Drehbuchautor dem Festspielpublikum herzliche Grüße und wünschte einen schönen Premierenabend. Ferner dankte Hinkel der Journalistin und Moderatorin Franziska Reichenbacher, die die Idee hatte, den Club der toten Dichter im Rahmen der Bad Hersfelder Festspiele zu zeigen.  Besondere Grußworte vonseiten des Intendanten galten dem Ministerpräsidenten des Landes Hessen und Schirmherren der Bad Hersfelder Festspiele Volker Bouffier, „der uns als Vertreter der Hessischen Landesregierung seit 70 Jahren eine verlässliche und freundschaftliche Partnerschaft gewährt“. Ein zweiter Dank galt dem Engagement des Ministerpräsidenten in Zeiten der Pandemie, konkreter, für seine Auffassung, „dass Menschen immer noch wichtiger sind als Paragrafe“. Besonders freute sich der Intendant der Bad Hersfelder Festspiele, erstmalig im Rahmen der Festspiele die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz sowie seit 20. Mai 2021 auch Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Christine Lambrecht in Bad Hersfeld willkommen heißen zu dürfen. Joern Hinkel dankte ihr stellvertretend für den Bund, der die Festspiele Jahr für Jahr großzügig unterstützt sowie für dessen langjährige Treue. „Ich weiß, das ist alles andere als selbstverständlich“, so der Festspielintendant. „Carpe diem. Nutze den Tag oder lebe dein Leben im Hier und Jetzt. Dieses Carpe diem zieht sich wie ein roter Faden durch die Stücke der 70. Bad Hersfelder Festspiele“, so der Intendant der Bad Hersfelder Festspiele. Das Stück „Der Club der toten Dichter“ hat Joern Hinkel im Wesentlichen im Original gelassen, auch wenn ihm das politische Tagesgeschehen sowie die jüngsten Ereignisse, wie beispielsweise die Querdenker-Bewegungen im Kontext der Corona-Pandemie sicherlich genügend Stoff geboten hätten und ein willkommener Anlass gewesen wären. Hierzu Festspielintendant: „Ich habe mir im Vorfeld reiflich Gedanken über die Inszenierung gemacht, und auch, ob wir die Handlung modernisieren sollten, ob wir Mädchen in die Klasse mitaufnehmen sollten, Tablets und Smartphones im Unterricht zum Einsatz kommen lassen sollten oder besser nicht – das hätte sicherlich eine interessante Variante dargelegt -, aber das wäre eben nicht Der Club der toten Dichter gewesen. Mir scheint das Original immer noch die beste Geschichte.“ Ich habe in Zusammenarbeit mit Tom Schulman und dem Dramaturgen Tilman Raabke kleine Filmszenen an die Gegebenheiten des Theaters angepasst, Handlungsstränge zusammengefasst oder in andere Spielorte verlegt, Nuancen innerhalb der Szene verschoben, aber mich im Wesentlichen am Original orientiert, weil ich Ihnen, verehrtes Publikum, Ihre eigene Fantasie und ihre eigenen Gedanken durchaus zutraue.“

Hinkel: „Junge Menschen müssen die Vernunft, Freiheit und Nächstenliebe als Grundprinzipien ihres Handelns begreifen.“
Hinkel weiter: „Was ist heute, 70 Jahre nach diesem Zeitpunkt der Handlung immer noch so? Was hat sich verändert? Was nicht? Was Gott sei Dank und was leider? Ich bedanke mich bei allen Eltern und Lehrern, die versuchen, zu bilden, ohne zu bevormunden, die Vorbilder sein wollen und nicht darin bemüht sind, Abbilder ihrer selbst in die Welt zu setzen. Denn die kommende Generation kann sich nicht mehr darauf verlassen, nur zu wiederholen, was ihr eingetrichtert wurde; Die jungen Leute müssen neu denken, kreativ sein, über ihren Tellerrand hinwegsehen, müssen in größeren Zusammenhängen planen, müssen zusammenarbeiten und nicht gegeneinander, müssen sich als Verbündete und nicht als Konkurrenten sehen, müssen nicht darin bestrebt sein, die Ersten, Schnellsten, die Bestbenotesten und Lautesten zu sein, sondern Vernunft, Freiheit, Gleichberechtigung und Nächstenliebe als Grundprinzipien ihres Handelns begreifen.“ Der Bürgermeister der Stadt Bad Hersfeld Thomas Fehling (parteilos) ging in seiner Festrede zur Eröffnung der 70. Bad Hersfelder Festspiele auf das Pandemiegeschehen im vergangenen Jahr ein, dieses die Festspielsaison 2020, dem eigentlichen Jubiläumsjahr der Hersfelder Festspiele, ausbremste. „Der Ausfall der Festspiele im letzten Jahr war ein schwerer Verlust für unsere Stadt: wirtschaftlich, kulturell und gesellschaftlich. Er war gepaart mit der bitteren Erfahrung, dass diese Institution, die viele Hersfelderinnen und Hersfelder buchstäblich ein Leben lang begleitet hat, eben doch kein Naturgesetz ist und Anfechtungen unterliegt.“ […] Die Ironie des Titels führe auf den richtigen Weg: „Die Dichter sind nicht tot und die Kultur und das Denken lassen sich nicht unterkriegen. Im Gegenteil: Kunst und Kultur sind lebendig, schaffen Austausch, Diskussion und Zusammenhalt.“

Bundesministerin Lambrecht: „Die Magie des Theaters muss immer wieder neu entfaltet werden.“
„Endlich. Endlich wieder gespannte Vorfreude. Endlich wieder Theater hier in der Stiftsruine“, so die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz sowie für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Christine Lambrecht (SPD) zu Beginn ihrer Rede, die für die Bundesregierung herzliche Glückwünsche überbrachte. „Sieben Jahrzehnte Bad Hersfelder Festspiele, sieben Jahrzehnte Theaterkunst mit bundesweiter Strahlkraft – das ist wahrlich ein Grund zu feiern und zur herzlichen Gratulation. Was schenkt man Festspielen wohl zum Geburtstag? Wohl das größte Geschenk – es ist angeklungen – hat der Bund bereits gemacht. Auch Dank des engagierten Einsatzes von Staatsminister Michael Roth ist es gelungen, die Fördermittel des Bundes für die Festspiele zu erhöhen. Und diese Fördermittel sind auch geflossen, trotz des Ausfalls der regulären Festspielsaison im letzten Jahr. Sie und Ihr Team, lieber Herr Hinkel, haben damit im letzten Jahr ein tolles Alternativprogramm auf die Beine gestellt.“ Die Bundesministerin erinnerte an Hugo von Hofmannsthal und damit jenen Autor, der mit den Bad Hersfelder Festspielen besonders eng verbunden ist und 1951 mit dem Stück „Jedermann“ eröffnet wurden. So soll von Hofmannsthal einst gesagt haben: „Das ganze Leben ist ein ewiges Wiederanfangen.“ Nach der Bundesministerin beschreibe dieser Ausruf gut, worum es beim Theater ginge: „Anders als beim Fertigstellen eines Gemäldes oder Abdrehen eines Filmes, muss die Magie des Theaters immer wieder neu entfaltet werden. Gerade das macht den Reiz dieser Kunstform aus. Und diese Magie, dieses wieder Anfangens, zu erleben, dafür sind wir heute Abend hier.“

Ministerpräsident Volker Bouffier: „Kultur lädt uns zur Auseinandersetzung von Begebenheiten ein.“
Der Ministerpräsident des Landes Hessen und Schirmherr der Bad Hersfelder Festspiele Volker Bouffier begrüßte die Festgesellschaft im Namen der Hessischen Landesregierung. „Es ist etwas Besonderes dieses 70. Jahr. Die Stiftsruine ist nicht nur aus unserer Sicht ein ganz besonderer Ort mit einer ganz besonderen Atmosphäre: die Bad Hersfelder Festspiele sind ein besonders heller Stern am Firmament unserer Kultur in Hessen, aber auch in der Bundesrepublik Deutschland“, sagte Ministerpräsident Volker Bouffier beim Festakt zur Eröffnung der 70. Bad Hersfelder Festspiele. „70 Jahre Hersfelder Festspiele sind auch 70 Jahre Spiegel der Kultur unseres Seins. In diesen 70 Jahren war Bad Hersfeld die überwiegende Zeit kurz vor den Grenzen. Deutschland war geteilt. Anspruch von Bad Hersfeld war es, diese Teilung zu überwinden und zusammenzuführen, und es ist eine große Freude, wenn wir heute sagen können: Bad Hersfeld und die Bad Hersfelder Festspiele sind etwas ganz Besonderes – in Hessen, aber auch darüber hinaus.“

Vor dem Hintergrund der seit 16 Monaten-anhaltenden Pandemie und dem damit verbundenen Krisen-Management der Landesregierung attestierte der Landesvater den städtischen Gremien und Festspiel-Intendant Joern Hinkel Wagemut. „Ihr Gedanke war es, darauf zu vertrauen, dass es gelingen kann, die Festspiele auch in besonderen Zeiten durchzuführen. Wäre es schiefgegangen und Sie wären gescheitert – ein breiter Chor der Kritiker wäre Ihnen gewiss.“ In diesem Kontext lobte der Hessische Ministerpräsident die alljährlichen Vorbereitungen der Hersfelder Festspiele als „große Leistung“. Eine nicht mindere Leistung sei mit „Der Club der toten Dichter“ die Stückauswahl gewesen, das aktueller nicht sein könne. So beinhalte das Stück eine wichtige Botschaft. „Striktes Festhalten an Strukturen, Riten, geistige Freiheit und das Vertrauen in die Menschen passen auch auf die Pandemie“, befand der Landesvater. „In dem Stück sagt Lehrer Keating: ‚Manchmal muss man wagemutig sein und manchmal muss man vorsichtig sein. Und wer klug ist, der weiß, wann was angebracht ist.‘“ In diesem Kontext erinnerte der Schirmherr an die seit Monaten von dem Corona-Kabinett der Hessischen Landesregierung verhängten Corona-Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. 16 Monate Krisen-Management hätten den Menschen viel abverlangt. „Der Staat teilt nicht Freiheit und Rechte zu, die stehen den Menschen zu. Wir müssen immer gut überlegen, wo die Grenzen liegen und wann man wagemutig sein kann.“ So sei die Eröffnung der Festspielsaison nach dem Hessischen Ministerpräsidenten auch ein wichtiges Signal hinaus in die Kulturwelt, das Begegnungen wieder stattfinden können und Kultur endlich wieder stattgegeben werden könne. In diesem Kontext erinnerte Volker Bouffier aber auch an die vielen Kulturschaffenden, die während der Pandemie häufig mit dem Rücken an der Wand standen und um ihre Existenz bangen mussten. „Kultur ist nicht nur das Sahnehäubchen, was wir machen, wenn uns gar nichts mehr einfällt. Sie lädt uns auch im Hinblick auf diese Pandemie zur Auseinandersetzung ein und fragt, wie gehen wir damit um?“

Die Darsteller von „Der Club der toten Dichter“ boten den Zuschauerinnen und Zuschauern gestern Abend eine gelungene Darbietung. Gekonnt legen Regisseur Joern Hinkel und Dramaturg Tilman Raabke den Blick auf die Tugenden Loyalität, Freundschaft und Gemeinsinn frei. Dies wird vor allem in der Beziehung von Neil Perry und seinem noch zu Beginn der Handlung schüchternen und introvertierten Zimmergenossen Todd Anderson deutlich. Neil zeigt Todd, dass er ihm wichtig ist und dass er ihn bei den nächtlichen Treffen des Clubs der toten Dichter dabeihaben möchte. Nach und nach wird Todd offener und spricht als einziger des Clubs aus, dass es nicht Lehrer John Keating war, der für Neils Freitod verantwortlich ist, sondern Neils Vater. Neil wählte den Freitod, weil er den Gedanken, an der renommierten Harvard University Medizin zu studieren, nicht erträgt und er letztendlich schmerzlich erkennen muss, dass es offenbar keinen Weg gibt, der Schauspielkunst und damit seiner großen Leidenschaft, nachzugehen. Der Club der toten Dichter ist aus heutiger Sicht aktueller denn je und das nicht nur vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie. Auch im heutigen, realen Leben gibt es John Keatings, deren wohl größte pädagogische Stärke darin liegt, Stärken der Schüler zu erkennen und zu fördern und dies auch manchmal ungeachtet des vorgeschriebenen Lehrplans. Joern Hinkel und Tilman Raabke haben mit ihrer Inszenierung von Der Club der toten Dichter den Nerv der Zeit getroffen. Eine gelungene Festspielpremiere auf hohem, schauspielerischem Niveau. +++ jessica auth

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