Kritik an der Stickoxid-Ausnahmegenehmigung für ZKW Otterbein

BBU und BI „Pro Lebensraum Großenlüder“ fordern Rücknahme

Die auf der Homepage des Regierungspräsidiums (RP) Kassel eingestellte Ausnahmegenehmigung für die Zement- und Kalkwerke – kurz: ZKW – Otterbein in Großenlüder-Müs im Landkreis Fulda stößt auf scharfe Kritik des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU e.V.) und der Bürgerinitiative „Pro Lebensraum Großenlüder e.V.“. Mit der Ausnahmegenehmigung werden Stickoxidemissionen zugelassen, die über den sonst üblichen Grenzwerten liegen. BBU und „Pro Lebensraum Großenlüder“ fordern das Regierungspräsidium Kassel und die hessische Umweltministerin Priska Hinz auf, die Ausnahmegenehmigung zurückzunehmen.

Oliver Kalusch vom Geschäftsführenden Vorstand des BBU erklärte hierzu: „Stickstoffdioxid schädigt die menschliche Gesundheit nachhaltig. Die Erhöhung der Stickstoffdioxid-Konzentration in der Außenluft beeinträchtigt die Lungenfunktion, erhöht die Häufigkeit von Atemwegserkrankungen wie Husten oder Bronchitis sowie von Herz-Kreislauferkrankungen und führt zu einer Zunahme der Sterblichkeit.“ Karin Bettinger und Harry Wolff von der Bürgerinitiative „Pro Lebensraum Großenlüder“ ergänzen: „Genauso wenig glaubwürdig ist die Aussage der Behörde, die Einhaltung des Stickoxid-Grenzwertes sei nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden, da sich die Investitionskosten auf 3,4 Millionen Euro belaufen würden. Denn die ‚Sektoruntersuchung Zement und Transportbeton‘ des Bundeskartellamtes von 2017 weist aus, dass die HeidelbergCement AG zu 38,1 Prozent an der Zement- und Kalkwerke Otterbein GmbH & Co. KG beteiligt ist. Laut dem Konzernabschluss 2018 hatte die HeidelbergCement AG einen Umsatz von 18,1 Milliarden Euro und einen Jahresüberschuss von über 1,2 Milliarden Euro. Angesichts dieser Zahlen wirken Investitionskosten für eine SCR-Anlage von 3,4 Millionen Euro geradezu lächerlich.“ Der BBU und die Bürgerinitiative „Pro Lebensraum Großenlüder“ fordern daher die unverzügliche Rücknahme der Ausnahmegenehmigung.

fuldainfo.de hat bei Otterbein nachgefragt

Auf Nachfrage zum Thema hat uns die Firma eine umfassende Stellungnahme abgegeben. Man arbeite seit Jahrzehnten vertrauensvoll und transparent mit der Gemeinde vor Ort, dem vor einigen Jahren als beispielhaftes Gremium gegründeten Umweltbeirat der Gemeinde Großenlüder, den Bürgern in der Gemeinde sowie den regionalen sowie überregionalen Behörden zusammen, heißt es in der Stellungnahme. Im Sinne unseres Unternehmensleitsatzes „Wer auf die Natur setzt, kann auf uns Bauen“ hat die Einhaltung der gesetzlichen Emissionsgrenzwerte für ZKW Otterbein stets höchste Priorität. Um unsere Umweltstandards fest in allen Unternehmensprozessen zu verankern, haben wir vor einigen Jahren ein Umweltmanagementsystem eingeführt, das gemäß DIN EN ISO 14001 zertifiziert ist. Durch kontinuierliche Investitionen in modernste Umwelttechnologien sowie stetige Messungen, Überwachungen und Aufzeichnungen der Emissionsdaten wird eine genehmigungskonforme Produktion gewährleistet. Auch heute erfüllen wir jederzeit die strengen Standards unserer Genehmigungen. In Bezug auf die Stickstoffoxidemissionen liegen die mit der kürzlich erteilten Ausnahmegenehmigung festgelegten Grenzwerte unterhalb von allen gesetzlichen Vorgaben, die vor 2019 galten. Auch ist die neu erteilte Ausnahmegenehmigung befristet und sieht vor, dass die Stickstoffoxidgrenzwerte in den kommenden Jahren weiterhin Schritt für Schritt reduziert werden.

Mit der Umsetzung der europäischen IED-Richtlinie („Industrial Emission Directive“) im Rahmen der Novellierung der 17. BImschV gilt seit Januar 2019 eine neue Festlegung der Grenzwerte für Stickstoffoxide, die eine sprunghafte Reduzierung der Emissionsgrenzwerte in der deutschen Zementindustrie vorschreibt. In allen anderen übrigen europäischen Ländern verbleibt der Grenzwert unverändert auf dem Niveau, das vor 2019 für die Zementindustrie gegolten hatte. Um die neuen Grenzwerte zu erfüllen, wird in der deutschen Zementindustrie häufig die sogenannte SCR-Technologie (Selective Catalytic Reduction) eingesetzt. Im Laufe des letzten Jahres wurde allerdings eine Schwachstelle der SCR-Technik beim laufenden Betrieb in einem anderen Zementwerk bekannt, wegen der ein zuverlässiger Einsatz der technisch aufwendigen SCR-Technik im derzeitigen Entwicklungsstand im Werk Otterbein nicht möglich ist. Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass es sich bei dem Werk Otterbein um einen mittelständischen Betrieb mit einer vergleichsweise geringen jährlichen Zementklinkerproduktionskapazität handelt (geringste Zementklinkerproduktionskapazität in Deutschland).

Für solche Fälle sieht die Gesetzgebung im Hinblick auf die Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für den begründeten Einzelfall Ausnahmemöglichkeiten zur Einhaltung bestimmter Anforderungen vor, um den spezifischen technologischen, umweltbezogenen, wirtschaftlichen und rechtlichen Spezialsituationen gerecht werden zu können. Derartige Ausnahmen können nur erteilt werden soweit EU-rechtliche Vorgaben nicht entgegenstehen. Vor dem Hintergrund der für die hier betroffenen Anlagenspezifika festgestellten Schwachstellen in der SCR-Technologie, sowie der geringen Unternehmensgröße und auch der damit verbundenen geringeren absoluten Emissionsbelastung (Emissionsfracht pro Jahr) wurde seitens der zuständigen Genehmigungs- und Überwachungsbehörde (Regierungspräsidium Kassel) eine auf zwei Jahre befristete Ausnahme zur Einhaltung des ab Januar 2019 geltenden Emissionsgrenzwertes für Stickstoffoxide erteilt, um ggf. eine Anpassung der SCR-Technologie für die hier betroffenen spezifischen Problemfälle zu ermöglichen bzw. eine geeignete Alternative zur Einhaltung des Emissionsgrenzwertes für Stickstoffoxide zu finden. Die EU-rechtlichen Vorgaben werden dabei weiterhin vollumfänglich eingehalten. ZKW Otterbein ist ein mittelständisches und eigenständiges Familienunternehmen. Die finanziellen Mittel für Investitionen müssen grundsätzlich vollständig durch die eigene Geschäftstätigkeit erwirtschaftet werden. Hierbei verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz, der darauf abzielt, nachhaltigen unternehmerischen Erfolg, hohe Produktqualität für unsere Kunden, Umweltschutz, soziale Verantwortung für Mitarbeiter und Gesellschaft und eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung in Einklang zu bringen. Investitionszuschüsse von unserem Wettbewerber und Minderheitsgesellschafter HeidelbergCement AG sind realitätsfern und entsprechen nicht den gesellschaftsrechtlichen Konstellationen.

Mehr Hintergrundinformationen zum Thema

Als traditionsreiches Familienunternehmen mit einem starken Bezug zu Großenlüder verstehen wir uns als Teil der Gemeinde und der Region Osthessen. Deshalb gehören der aktive Schutz unserer Umwelt und das nachhaltige Wirtschaften zu unseren Leitlinien. Deswegen investieren wir regelmäßig in innovative Maßnahmen, um unsere Umwelt zu erhalten. Zum Beispiel nutzen wir seit dem Jahr 2007 eine SNCR-Anlage (Abgasreinigung durch selektive nichtkatalytische Reduktion, nicht zu verwechseln mit SCR) zur Reduktion von Stickstoffoxidemissionen, haben frühzeitig vor vielen Jahren in modernste Gewebefilter investiert, mit denen die gesetzlichen Staub-Grenzwerte deutlich unterschritten werden und haben jüngst mit einer Großinvestition an unserem Standort in einen neuen Drehofenmantel und -zahnkranz eine innovative Maßnahme zur Schonung von fossilen Ressourcen und zur Reduktion von CO2-Emissionen umgesetzt. Die neue Fassung der 17. BImschV auf Basis der europäischen Industrieemissions-Richtlinie schreibt eine sprunghafte Reduktion des Grenzwertes für Stickstoffoxidemissionen von 500mg/Nm³ auf 200mg/Nm³ ab 01.01.2019 vor.

In allen anderen übrigen europäischen Ländern verbleibt der Grenzwert unverändert bei 500 mg/Nm³. Um die in Deutschland neu vorgeschriebenen Emissionsgrenzwerte zu erfüllen, wurde auch bei uns der Einsatz der SCR-Technologie eingehend geprüft. Diese nutzt einen auf Katalysatoren basierenden Mechanismus, mit dem die Stickstoffoxidemissionen reduziert werden. Laut der bis Mitte letzten Jahres in der Branchenöffentlichkeit herrschenden Meinung hätte dadurch die Einhaltung der neuen Emissionsgrenzwerte gewährleistet werden müssen. Diese Einschätzung beruht auf zwei durch öffentliche Mittel geförderten Studien zur Erprobung der SCR-Technologie an zwei Pilotwerken. Trotz der positiven Ergebnisse der Studien wurden nach dem Einsatz massive Ausfälle der SCR-Technologie an einem anderen deutschen Zementwerk festgestellt. Die erste Analyse des Problems hat ergeben, dass bei einer bestimmten seltenen Kombination von Abgas- und Rohmaterial die Lebensdauer der Katalysatorelemente schon in einem Bruchteil der dazu vorgesehenen Zeit erschöpft ist: Katalysatorelemente, deren Nutzungsdauer auf mehrere Jahre angesetzt wurden, fielen schon nach wenigen Wochen aus, was sich in einem signifikanten Anstieg der Stickstoffoxidemissionen äußerte. Die Anlage kann im ursprünglichen Zustand nicht sicher betrieben werden, weshalb nun Lösungsansätze erprobt werden. Ein Gutachten des Forschungsinstituts der Zementindustrie geht davon aus, dass aufgrund der spezifischen Rohmaterial- und Abgaszusammensetzung die Nutzung der SCR-Technologie in unserem Werk mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit zu gleichen Ausfallerscheinungen führen wird.

Aufgrund des lokal vorhandenen Rohstoffvorkommens liegt genau die gleiche, seltene Kombination von Abgas- und Rohmaterialzusammensetzung wie in dem betreffenden Zementwerk vor, in sogar noch verstärkter Ausprägung. Das Regierungspräsidium in Kassel erteilte uns nach genauer Einzelfallprüfung sowie umfassenden technischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Gutachten eine auf zwei Jahre befristete Ausnahmegenehmigung im Hinblick auf die Einhaltung des neuen Emissionsgrenzwertes für Stickstoffoxide, um eine technische Lösung des Problems abzuwarten oder ein alternatives Verfahren zu finden. Die Möglichkeit, bei bestimmten technischen, rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Größenordnungen aus Gründen der Verhältnismäßigkeit Ausnahmegenehmigungen zu erteilen, ist in § 24 der Verordnung selbst verankert. So wird unserem Werk ermöglicht, die Standards insgesamt zu erfüllen und weiterhin ein nachhaltiger und innovativer Arbeitgeber in der Region zu bleiben. Die ZKW Otterbein bekennen sich im Rahmen der individuellen verfahrenstechnischen Möglichkeiten aktiv zur Minimierung der Stickstoffoxidemissionen. Auf Initiative der ZKW Otterbein wurde daher in die befristete Genehmigung ein ergänzender Stickstoffoxidgrenzwert (Jahresmittel) aufgenommen. Dieser Jahresmittelwert liegt deutlich unterhalb der bisher genehmigten Tages- und Halbstundenmittelwerte und verringert sich ebenfalls jährlich. Der Bürgermeister der Gemeinde sowie der Landrat wurden frühzeitig eingebunden und über die Details der neuen Genehmigung im Vorfeld informiert. +++ fdi/nh