Kommentar: Ihr kriegt die Autoindustrie schon noch klein

Fortdauerndes Hickhack um den Diesel.

Diesel-Emissionen, Abgasbetrug, Nachrüstung mit Soft- und Hardware, Fahrverbote – seit geraumer Zeit ist manches zusammengewachsen, was ganz und gar nicht zusammengehört. Und ein beträchtlicher Teil der Presse, unsere Regierung sowie die üblichen Verdächtigen aus der Öko-Szene haben ihrerseits maßgeblich dazu beigetragen, dass die Autofahrer jetzt mehr denn je wissen, dass sie nichts wissen.

Doch der Reihe nach: Seit 2008 ist eine von drei möglichen Feinstaubplaketten (rot, gelb, grün) für Pkw, Lkw und Busse, die in die Umweltzonen deutscher Städte eindringen möchten, Pflicht. Diese Plaketten an der Windschutzscheibe haben nichts mit den von der EU definierten Euro-Schadstoffklassen zu tun. So tragen auch Fahrzeuge mit der jüngsten Schadstoffklasse Euro 6d Temp, die seit 2017 besteht, eine grüne Plakette mit der 4 in der Mitte. Seit einigen Jahren dürfen nur noch Autos mit einem solchen Aufkleber in die meisten Innenstädte der Republik einreisen, alle anderen haben Fahrverbot, nördlich des Weißwurstäquators mehr, südlich davon weniger. Die Aufregung über diese Maßnahme hielt sich in Grenzen, obwohl sie viele Pkw – besonders ältere Diesel – aus den meisten Stadtzentren verbannte.

Dann holte sich der Volkswagen-Konzern vor drei Jahren eine blutige Nase wegen einer insbesondere in der Diesel-Motorenbaureihe VW EA288 eingesetzten illegalen Abschalteinrichtung in der Motorsteuerung. Die gaukelte den Prüfständen für die Abgastests traumhafte Werte vor und verstieß drastisch gegen weltweit geltende Gesetze und Vorschriften. Strafen ließen zurecht nicht lange auf sich warten. Doch fortan gab es kein Halten mehr – der Diesel und mit ihm die gesamte Automobilindustrie geriet unter Generalverdacht.

Wann auch immer seither an einer viel befahrenen Straße in einer Großstadt mehr als 40 Mikrogramm NOx pro Kubikmeter Luft – also der von der EU festgelegte Grenzwert – gemessen wurde, war in Presse, Funk und Fernsehen von „den betrügerischen Autobauern“ die Rede, wobei unterschiedslos die Gesamtbranche gemeint war. Doch gewinnen Fake News auch bei ständiger Wiederholung kein Jota an Wahrheitsgehalt. Laut Bundesumweltamt stammt rund ein Drittel der gesamten ausgestoßenen Stickoxide in Deutschland nach der Verbrennung fossiler Stoffe aus dem Auspuff von Diesel-Pkw. Das ist viel, aber reicht nicht aus, um die zum alleinigen Sündenbock zu machen. Industrie, Gewerbe, Kraftwerke und Haushalte haben nämlich den Löwenanteil zu verantworten.

Nun drohen in einigen Städten wiederum Fahrverbote wegen mehr oder weniger hoher Belastung der Luft mit Schadstoffen – ausgerechnet im Vorfeld wichtiger Landtagswahlen. Jetzt war Aktionismus durch die Politik gefragt. Nach langen Diskussionen einigte sich die Koalition über das Diesel-Thema so: Einerseits sollen die Autohersteller die Kosten der Hardware-Nachrüstung für die Euro-4 und Euro-5 Pkw übernehmen, wenn eine solche verfügbar und geeignet ist. Anderseits will der Bund bei kommunalen Fahrzeugen und Transportern von Unternehmern 80 Prozent der Kosten einer Nachrüstung übernehmen. Außerdem wird für Besitzer und Besitzerinnen von Euro 4 und 5 Fahrzeugen eine Umtauschprämie bis 10 000 Euros angeboten.

Dass sie jedoch die Rechnung ohne den Wirt gemacht hatten, fiel den Berlinern erst später auf. Zwar erklärte sich zunächst der VW-Konzern damit einverstanden, tief in die Tasche zu greifen – allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Kollegen in Köln, Rüsselsheim, Stuttgart oder München mit gleicher Münze dabei wären. Doch die denken noch nicht einmal daran. Warum auch? Schließlich haben sie nichts verbrochen. Und auch die Importeure taten und tun so, als ginge sie das Ganze nichts an.

Das will freilich die Opposition nicht gelten lassen. Annalena Baerbock, Chefin von Bündnis 90/Die Grünen und selbst Fahrerin eines Dieselautos, verlangte im Zweiten Deutschen Fernsehen, die Automobilindustrie samt und sonders per Gesetz zur Zahlung der Hardware-Nachrüstung zu zwingen. Damit würde sie allerdings den Rechtsstaat aushebeln, musste sie sich von Ferdinand Dudenhöffer in der Talkrunde bei Maybrit Illner belehren lassen. Denn schließlich hätten bis auf einige Modelle aus dem VW-Konzern alle Fahrzeuge mit Euro-4- oder Euro-5-Zulassung die damals vorgeschriebenen Tests legal bestanden. Allerdings unter Ausnutzung sämtlicher möglicher Tricks wie der Professor lautstark beklagte.

Eine Argumentation, die sich in den Köpfen bundesweit festgesetzt hat – nicht zuletzt bei der veröffentlichten Meinung – und die Automobilindustrie in Bausch und Bogen an den Pranger stellt. Bleibt die Frage an Herrn Dudenhöffer und die Kollegen in den öffentlich-rechtlichen Anstalten, besonders an die, die ein sechsstelliges Jahresgehalt nach Hause tragen: Lassen Sie sich etwa nicht durch einen Steuerberater dabei helfen, mit allen zur Verfügung stehenden legalen Tricks die Belastung durch staatlich vorgeschriebene Abgaben zu senken? Na also.

Wesentlich schlimmer aber ist das fortdauernde Hickhack um den Diesel. Fahrverbote dürften aufgrund beständig sinkender Schadstoffwerte möglicherweise bald überflüssig werden. Doch wie die Berliner Wirtschaftsjournalistin Ursula Weidenfeld jetzt schrieb, ist aus dem einstigen Autoland Deutschland mental eine politische Ökozone geworden. „Die wird nicht verschwinden, auch wenn die Stickoxid-Werte unter die Grenzwerte fallen“, meinte sie. Als nächster dürfte der Verbrennungsmotor insgesamt zum Buhmann der Nation werden. Gute Nacht, lieb Vaterland. Deine Autoindustrie wird doch wohl noch klein zu kriegen sein. Oder? +++ ampnet/hans-robert richarz