Klartext mit Radtke: Hubert Aiwanger – Die Treibjagd auf den Jäger

Der Fall Hubert Aiwanger erinnert an diesen Tagen an eine Treibjagd.

Klaus H. Radtke

Der Fall Hubert Aiwanger – bayerischer Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident – erinnert an diesen Tagen an eine Treibjagd. Um es von vorneherein klarzustellen. Das Flugblatt im Schulranzen – eines der wenigen wirklich gesicherten Beweise – ist eine Schande, ekelhaft und widerlich. Dafür sollte sich der Verfasser in der Tat schämen. Doch wir sollten uns fragen und ebenso kritisch hinterfragen, warum und wie das Ganze ins Rollen kam.

Da gibt es einen Lehrer namens Franz Graf – der damalige Lehrer Aiwangers am Burkhart-Gymnasiums in Mallersdorf-Pfaffenberg, der 1988 an dem Disziplinarverfahren gegen Hubert Aiwanger beteiligt war. Dieser kandidierte später auf regionaler Ebene für die SPD und soll seit langem geplant haben, Hubert Aiwanger zu stürzen. Dieser Lehrer engagierte sich gewerkschaftlich, hält immer wieder Vorträge bei offiziellen SPD-Veranstaltungen und wirkt bei SPD-Arbeitskreisen mit. Danach meldeten sich mehr und mehr Schüler und auch Lehrer – überwiegend anonym – um sich zu diesem Fall zu erklären. So wurden scheibchenweise immer mehr angebliche Verfehlungen Hubert Aiwangers aufgedeckt. Die zentrale Frage lautet doch: Warum sechs Wochen vor der Landtagswahl, bei der feststeht: Die CSU will mit den Freien Wählern koalieren – weder SPD noch GRÜNE haben eine Chance? Beleuchten wir erst einmal: Welche Verfehlungen sind das genau? Da gibt es Schüler, die behaupten, Hubert habe öfters beim Betreten des Klassenzimmers den Hitlergruß gezeigt. Eine Dame gibt zu Protokoll, er hätte das Buch „Mein Kampf“ bei sich geführt, sie habe es selbst in der Hand gehabt. Von Hakenkreuzschmierereien und geschmacklosen Witzen ist darüber hinaus die Rede. Zusätzlich von vor dem Spiegel einstudierten Hitlerreden und Hitlerbärtchen. Und neuerdings ist von Säureangriffen auf eine Lehrerin die Sprache. Dies alles hier im Detail aufzuführen und zu beschreiben führt letztlich nicht weiter, da unbewiesen. Darüber hinaus gibt es zwischenzeitlich auch etliche Schüler, die aussagen, Hubert Aiwanger wäre nie in Bezug auf antisemitische oder Nazi-verherrlichende Aussagen oder Handlungen aufgefallen.

Sicher – die Kommunikation der Krisenmanager Hubert Aiwangers war sicher nicht die Beste. Doch muss man sich die Situation genau vergegenwärtigen. Da wird er plötzlich mit vernichtenden Vorwürfen konfrontiert, die 36 Jahre zurückliegen. Und an die soll er sich im Detail erinnern. Wie sieht es denn bei Herrn Bundeskanzler Olaf Scholz aus? Der kann sich nicht einmal an Vorgänge, die wenige Jahre zurückliegen, erinnern. So bei Cum-Ex und Warburg Bank. Reflexartig und orchestriert keilt die überwiegende Mehrheit der linkslastigen Presse auf Aiwanger ein. Stilisiert die Angelegenheit hoch zu einer geradezu verbrecherischen Angelegenheit. Jeden Tag neue Vorwürfe. Was ist denn mit Joschka Fischer, unserem ehemaligen Außenminister? Er besetzte Häuser, warf Steine, und „langte kräftig hin“, verprügelte Polizisten. Und er lieh jemandem sein Auto, in dem später die Waffe gefunden wurde, mit der der hessische Wirtschaftsminister Heinz Peter Carry ermordet wurde. Auch Fischer hatte eklatante Gedächtnislücken und wusste später nicht mehr, wem er das Fahrzeug ausgeliehen hatte. Es gibt jedoch einen entscheidenden Unterschied zwischen Aiwanger und Fischer. Fischer war zu dem Zeitpunkt dieser Vorfälle weitaus älter! Und was ist mit Walter Steinmeier, unserem Bundespräsidenten Wilfried Kretschmann, Gerhard Schröder, Jürgen Trittin und vielen anderen, die sich in der Jugend keinesfalls mit Ruhm bekleckert haben. Wenn bei allen Politikern die Jugend in dieser Weise seziert wird, dann hätten wir bald keine mehr. Der Vorsitzende des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, äußerte sich natürlich auch und sprach von einer Täter – Opfer Umkehr. In diesem Zusammenhang darf ich einmal mal an folgendes erinnern: Auf Mallorca vergewaltigten fünf deutsche Jugendliche (mit Migrationshintergrund) im Juli eine junge Frau. Der deutsche Pfarrer, der sich um inhaftierte Deutsche auf Mallorca kümmern soll, sprach von den armen Geschöpfen, die sich nun in Untersuchungshaft begeben müssten! Das sei eine schwere psychische Belastung, plötzlich seiner Freiheit beraubt zu werden. Da ich zuvor das Gefängnis im Internet gesehen habe – mit riesigem Swimmingpool, modernstem Fitness-Raum und anderen Annehmlichkeiten – stieg in mir die Wut auf. Da redete der Pfarrer von der Grausamkeit für die in Untersuchungshaft genommenen Jugendlichen – doch kein einziges Wort verlor er über die Vergewaltigte. Null Empathie für das Opfer. Das nenne ich Täter – Opfer Umkehr, sehr geehrter Herr Schuster.

Die gesamten Vorwürfe gegenüber Aiwanger stehen auf tönernen Füßen. Die meisten kamen aus der Anonymität heraus. Kaum jemand hatte den Mut, sich zu outen. Im Gegensatz dazu, diejenigen, die Aiwanger in Schutz vor den Anschuldigungen genommen haben. Prominentestes Beispiel: Gerade der Schüler Serlitzky, der bei dem damaligen bundesweiten Geschichtswettbewerb des Schuljahres 1988/89 vom damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker mit dem zweiten Preis ausgezeichnet worden war, verriet Erschreckendes. Roman Serlitzkys Arbeit beschäftigte sich mit dem Todesmarsch von 67 jüdischen KZ-Häftlingen, die in den letzten Kriegstagen 1945 durch Mallersdorf-Pfaffenberg getrieben und anschließend erschossen wurden. Der Lehrer Franz Graf empfahl seinerzeit, das inkriminierte Flugblatt in die Arbeit zu integrieren. Und daher ist es auch in den Archiv-Unterlagen der KZ-Gedenkstätte Dachau zu finden. Seit 2008 plante der Lehrer Graf, Hubert Aiwanger zu stürzen. Daher ist er auf Klassenfeiern herumgelaufen, um ehemalige Schüler davon zu überzeugen, gegen Aiwanger auszusagen. Von Roman Serlitzky wollte er einen Dreizeiler. Der aber wusste selbst nicht einmal, wer das Flugblatt verfasst hatte und verweigerte sich. Unterstellen wir einmal theoretisch, die gesamten Vorwürfe würden zutreffen. Da frage ich mich doch, wie haben denn die Mitschüler reagiert? Wie haben die Lehrer reagiert? Was hat die Schule Maßgebliches unternommen? Gab es Gespräche mit Hubert, mit seinen Eltern? Gab es schriftliche Ermahnungen, Verweise, Drohungen, ihn der Schule zu verweisen? Nein, die Schule wollte es wohl „klein halten“, wie Serlitzky aussagte. Das muss doch sehr zu denken geben. Wären die vorgeworfenen Sachverhalte alle wirklich beweisbar gewesen, wären disziplinarische Konsequenzen wohl unausweichlich gewesen.

Überhaupt wäre es widerlich, wenn solches Denunziantentum zu Erfolg führen würde. In der Kindheit, in der Jugend hat sicher jeder von uns Dinge getan, die er später bereute und von denen er sich distanzierte. Jeder Verbrecher hat die Chance der Resozialisation. Jeder Vergewaltiger bekommt eine Chance, sich zu läutern und sich zu ändern. Und das soll für Jugendliche nicht gelten? Das ist scheinheilig und nicht nachvollziehbar. Ja, ich habe auch Reden von Hitler, Göbbels und Freissler auf Schallplatten angehört und in „Mein Kampf“ geblättert. Und? Mit dem dritten Reich habe ich mich intensiv beschäftigt und auseinandergesetzt. Weil ich von den Großeltern viel über die Zeit, den Krieg und die Vertreibung erfahren habe. Weil ich unbedingt wissen wollte, wie es dazu kam, wie diese schrecklichen Dinge haben geschehen können. Es war eine schlimme Zeit, die Verbrechen waren übelst. Doch leider – so wies ein amerikanisches Experiment von Stanley Milgram nach – kann sich das jederzeit und überall wiederholen. Dies wurde auch in der Fernsehdokumentation einer Experimentenreihe des Max-Planck-Instituts (MPI) in München bestätigt. Das Experiment des MPI ist eine leicht abgewandelte Wiederholung der berühmten Experimente aus den USA. Menschen sind zu furchtbaren Grausamkeiten fähig, dazu gehört nicht einmal Zwang. In der ganzen Hysterie um den Fall Aiwanger werden nun auch Fragen zu einer anscheinend wenig erfolgreichen deutschen Vergangenheitsbewältigung aufgeworfen.

Wie ich finde, völlig unangebracht. Jeder Mensch mit gesundem Verstand und Gewissen verachtet das, was geschehen ist und wünscht sich, dass dies nie wieder passieren wird. Zudem haben wir Deutschen viel für Versöhnung und Wiedergutmachung getan. Trotz unserer Vergangenheit müssen wir nicht kritiklos gegenüber der Vergangenheit anderer Völker sein oder heutigen Fehlentwicklungen, wie dem russischen Angriffskrieg. Sicher muss man auch die damalige Zeit und das Umfeld berücksichtigen, in der die Vorfälle an der Schule stattgefunden haben. Wir sehen ja, dass Vieles, was früher unbedacht gesagt wurde, heute zu Empörung führt und inzwischen vor OTTO Sendungen gewarnt wird. Zu diesem Wahnsinn jedoch später mehr. Der Schuldirektor des Gymnasiums, Claus Giegl, hatte im Übrigen bei einer Abitur-Veranstaltung vor etwas mehr als zwei Monaten Aiwanger als „schlechtes Beispiel für die Demokratie“ kritisiert. So ist das mit der gezielten Beeinflussung der Jugendlichen. Im Übrigen bin ich der Ansicht, dass es dringend geprüft werden sollte, ob sich der Lehrer Graf nicht verschiedener Delikte schuldig gemacht hat – und mit entsprechenden Konsequenzen rechnen muss. Es kann eigentlich nicht sein, dass eine solche Kampagne, die ein klares Ziel hatte und bei der sozusagen jedes Mittel recht war, ungestraft bleibt. Was ist mit dem Datenschutz, dem Recht der Schutzbefohlenen? Auch die Jugendvergehen dieser Person würden mich einmal sehr interessieren. Vielleicht hätte er damit nie Lehrer werden dürfen.

Nun wurde heute durch die Erklärung des Ministerpräsidenten Markus Söder die Treibjagd auf Aiwanger abgeblasen. Eine Demission hätte ihm auch schwer geschadet. Er, der Frau Merkel immer Paroli geboten hat, sie zu Recht kritisierte und ihr dann kürzlich einen Verdienstorden übergab. Aus rein taktischen Erwägungen. Und der im Bierzelt mit verstellter Stimme (im Hitlerton) Hubert Aiwanger imitierte. Dieser sei im Bierzelt sehr groß und mächtig und würde mit jedem Kilometer weniger Distanz zu ihm immer kleiner, geschmeidiger und verständnisvoller. Herr Söder hätte ja auch eine Ehrenerklärung für Aiwanger abgeben können – sofort nach Bekanntgabe der Vorwürfe. Da kam aber nichts außer strategisch reiflich abgewogenen und abgelesenen Sätzen – nach dem Motto: nach allen Richtungen offenhalten. Sicher muss auch geprüft werden, ob diese tendenziöse Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung in allen Punkten einem seriösen und anständigem Journalismus entspricht. Oder ob nicht im Vordergrund die Sprengung der Koalition aus CSU und Freien Wählern stand. Also eine politisch motivierte Aktion, die auf falschen Behauptungen und Anschuldigungen fußte. Bleiben wir kritisch. Und wenden wir uns wieder den wirklichen Problemen zu, die unser Land dringend zu bewältigen hat! Beste Grüße Ihr Klaus H. Radtke. +++

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