Klartext mit Radtke - Eine persönliche Weihnachtsgeschichte

Kennen Sie den Kabarettisten Vince Ebert? Wenn nicht, sollten Sie es sich gönnen, seine Beiträge anzusehen, anzuhören oder zu lesen. Er ist einer der bekanntesten Comedians und Kabarettisten Deutschlands. Sein Humor ist erfrischend, seine Analysen treffsicher und seine Ausführungen sachlich kritisch. Sein letztes Buch „Wot Se Fack, Deutschland?“ stand nach Erscheinen ganz oben auf den Bestsellerlisten. Bedauerlicherweise hört er Ende nächsten Jahres auf. Die Gründe sind gar nicht lustig. Sie haben mit unserer Gesellschaft und den aktuellen Umständen zu tun.

Lesen Sie einfach einmal, was er zu seinem Entschluss sagt, und bilden Sie sich dazu bitte Ihre eigene Meinung: „Immer häufiger rufen Leute bei den Theatern an – von Zeitungsredakteuren bis zu normalen Leuten – und sagen: ‚Überlegen Sie sich, ob Sie diesen Vince Ebert noch auftreten lassen können…Und dann werden diese Menschen ernst genommen! Noch ist es mir nicht passiert, aber es ist immer knapp vorm Canceln. Wie gesagt: Es liegt nicht an den Irren, die sich melden, die da anrufen. Aber an denen, die auf die reagieren: Aus politischer Korrektheit wird darüber diskutiert, ob man diesen Irren eine Bühne bieten kann. Nehmen Sie nur diese Geschichte von den Familienunternehmern, die sagten, auch AfD-Leute zu kritischen Diskussionen einladen zu wollen, und die nun vor einem linken Mob einlenken! Ich wollte immer das machen, was ich für witzig und gut gehalten habe. Ich habe aber keine Lust, als Ikone oder Märtyrer der Bürgerlichen zu enden, nur weil sich die Mehrheit nicht traut, den Mund aufzumachen. Ich habe die Nase voll, wenn mir der Hundertste nach der Show auf die Schulter klopft oder der nächste Manager sagt: „Ich finde toll, was Sie sagen, aber ich in meiner Position, ich kann das nicht sagen.“

Die schieben einen vor und lassen keinen Zweifel: Wenn es hart auf hart kommt, man angegriffen wird, dann lassen die einen über die Klinge springen und tun nichts. Nein: Wenn ihr das so schlimm findet, wie ihr das behauptet, dann steht euren Mann und eure Frau, aber schiebt nicht mich oder andere vor! Mir ist es immer wichtig, die Leute zum Selbstdenken und zum freiheitlichen Denken zu animieren. Wenn den Leuten dieses Land und diese Gesellschaft so am Herzen liegen, dann müssen sie es selbst machen, sich keinen Stellvertreter suchen. Wenn es wichtig ist, dann sucht euch nicht vier, fünf, denen ihr zujubelt, die ihr es machen lasst … Am Anfang fand ich es total schmeichelhaft, wenn die kamen, die Unternehmer, Manager und andere, und mir auf die Schulter klopften. Die wirtschaftliche und die gesellschaftliche Stimmung in Deutschland sind am Ende. Die mentale Rezession ist in den letzten paar Monaten voll durchgeschlagen – auch durch politische Entscheidungen. Diese Duldungsstarre der Deutschen: Immer noch zu denken, das löst sich von selbst, dazu müssen wir selbst nichts tun. Das ist frustrierend. Ja, da ist auch Trauer. Wenn das Pferd tot ist, muss man absteigen. Das ist Pragmatismus. Aus eigener Psychohygiene: Ich will nicht die nächsten fünf Jahre durch Talkshows gehen und immer dasselbe sagen. Ich habe zu dieser Situation alles gesagt. Ich könnte dieses Vermarktungsmodell laufen lassen: regelmäßig zu Lanz gehen, die Theater sind voll … Aber mir macht es schlechte Stimmung. Die Leidensfähigkeit der Deutschen geht bis in den Abgrund. Da mag ich nicht mehr als Mahner dabei sein. Ich habe dazu alles gesagt. Ich sehe die Aufgabe als erledigt. Jetzt bin ich müde. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich mich verpisse. Aber: Macht euren Kram alleine. Kriegt es hin!“

Sicherlich ein langer Text aus seinem Interview mit der WELT. Ich halte es aber für wichtig, dass Sie diesen Text aufmerksam lesen. Denn es steckt sehr viel Wahrheit darin und zeigt das aktuelle Dilemma deutlich auf. Und gerade die Ausführungen zu den Führungskräften der Wirtschaft, den Managern und den Unternehmern kann ich sehr gut nachvollziehen. Auch ich kenne viele Unternehmer, Manager und Privatiers, die meine Bemühungen, zu mehr Objektivität beizutragen, Aufklärung zu betreiben und Sachverhalte zu erklären, stets als löblich, als absolut notwendig und inhaltlich gut dargestellt bezeichnen, sich jedoch selbst öffentlich dazu unter keinen Umständen äußern, geschweige denn ein solches Engagement unterstützen wollen. Das ist in der Tat höchst bedauerlich. Und letztlich in ihrem ureigenen Interesse auch nicht weise oder förderlich. Insofern teile ich mit Vince Ebert diese Erfahrungen.

In den letzten Jahren haben sich starke gesellschaftliche Veränderungen vollzogen. Gewiss nicht zum Positiven. Eine gewisse Skrupellosigkeit, Rücksichtslosigkeit, ein stark ausgeprägter Egoismus, wenig Empathie und noch weniger Stil sind immer häufiger vorzufinden. Oft wird man von anderen ohne Skrupel übervorteilt, fühlt sich oft auch ausgenutzt. Dankbarkeit, Aufmerksamkeit, Anteilnahme und wirkliches Interesse an anderen sind immer weniger ausgeprägt. Unzuverlässigkeit, Beliebigkeit, ja sogar Hinterhältigkeit sind auf dem Vormarsch. Und natürlich persönliche Gewinnmaximierung. Doch manche sind schon dahintergekommen, dass das letzte Hemd keine Taschen hat. Und dass nicht das von einem Menschen bleibt, was er für sich selbst erwirtschaftet hat, sondern was ihn als Persönlichkeit ausgemacht hat. Das mag übertrieben klingen, ist aber leider Realität – wie mir auch von vielen Seiten immer wieder bestätigt wird. Wenn ich darüber hinaus erlebe, dass auf Anrufe mit Rückrufbitten, auf Erinnerungs-Mails, auf WhatsApp Nachrichten einfach nicht reagiert wird, ist das bezeichnend. Und wenn ich diese sich so verhaltenden Menschen dann treffe und darauf anspreche, erkenne ich nicht einmal ein schlechtes Gewissen - geschweige denn, dass eine Entschuldigung ausgesprochen wird. NEIN, im Gegenteil werde ich dann noch dumm oder bisweilen aggressiv angesprochen, um vom eigenen Fehlverhalten abzulenken. Deutlicher kann der gesellschaftliche Wandel kaum zum Ausdruck kommen. Diese Zustandsbeschreibung betrifft nur einen kleinen Ausschnitt aus den reichhaltigen Erfahrungen, die man insgesamt machen kann.

Politik und Wirtschaft

Inzwischen warnen sie alle. Peter Leibinger, der Präsident des BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie) sogar überdeutlich. Sein Verband sieht den Wirtschaftsstandort Deutschland im „freien Fall“. Die deutsche Industrie stehe aktuell vor einem dramatischen Tiefpunkt, so drückt er es aus. Wörtlich: „Der Wirtschaftsstandort befindet sich in seiner historisch tiefsten Krise seit Bestehen der Bundesrepublik, doch die Bundesregierung reagiert nicht entschlossen genug.“ Klarer geht es wohl nicht. Markus Söder im WELT-Talk „BURGARD“. Da warnte der bayerische Ministerpräsident vor einer dramatischen Verschärfung der Lage und kritisierte die bisherige Krisenpolitik der Regierung als unzureichend: „Das sind alles Reförmchen, aber nicht der große Wurf.“ Die wirtschaftliche Situation sei angespannt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. „Unser gesamtes Modell, das wir haben, unser Lebens- und Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell, ist bedroht wie seit 30 Jahren nicht.“ Und nun auch der Bundeskanzler, Friedrich Merz. Er sieht den Wirtschaftsstandort Deutschland unter erheblichem Druck. „Es ist nicht fünf vor zwölf, es ist eine Minute nach zwölf. Wir müssen aufholen, wir müssen schneller werden, wir müssen besser werden.“ Der Standort Deutschland sei zu teuer und zu langsam. Dies träfe nicht auf andere Standorte zu. Konkurrenten aus den USA und Asien könnten deutlich günstiger produzieren. Auf dieser Veranstaltung des Verbands der Chemischen Industrie in Berlin sprach er auch von einem Reformstau. Und das war nicht die einzige Gelegenheit, bei der Merz nicht den kritischen Zustand der Republik angesprochen hat.

In der Tat ist Deutschland mit seinen historisch hohen Insolvenzzahlen, der unsäglichen Bürokratie, den irrsinnigen Genehmigungs- und Planungsverfahren, den überbordenden Vorschriften, den Reglementierungen, den viel zu hohen Kosten im Energiebereich und in den Sozialbereichen sowie mit der allgemeinen Unsicherheit, schwer angeschlagen und ein Sanierungsfall. Immer wieder weise ich darauf hin und betone meine feste Überzeugung, dass es gelingen kann, das Ruder umzureißen. Ein Konzept dazu hätte ich. Doch es muss ENDLICH passieren. In diesem Kontext passt die Konfrontation mit den Arbeitgebern seitens Bärbel Bas überhaupt nicht. Wenige Tage, nachdem einige ihrer Aussagen auf dem Arbeitgebertag mit Gelächter bedacht wurden, sprach sie auf dem Juso-Kongress in Mannheim von "Herren im Maßanzug", deren Ablehnung ihr gezeigt habe, "gegen wen wir eigentlich gemeinsam kämpfen müssen". Eine Entgleisung. Der Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger kritisierte das heftig mit den Worten: "in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellos“. Der Mittelstandsverbandschef Markus Ahlhaus: "jungsozialistische Folklore und Unternehmer-Bashing". Machen wir uns nichts vor. Natürlich gibt es auch Unternehmer, die nicht als Vorbilder dienen und schwarze Schafe, die ihr Unwesen treiben. Doch für eine Bundesarbeitsministerin ist diese Wortwahl unangemessen und nicht akzeptabel. Und entschuldigt hat sie sich bis heute nicht. Matthias Mirsch, Chef der SPD-Bundestagsfraktion, hat sogar von sich gegeben, dass man eine Ministerin nicht auslachen darf. Es wird immer absurder und trauriger im politischen Umfeld. Das Gelächter Majestätsbeleidigung? Vielleicht sogar strafbar? Doch nun wieder ernsthaft. Und Merz? Er hätte die Ministerin entlassen können. Tut er aber nicht. Weil er Kanzler bleiben möchte. Da nimmt man Kollateralschäden in Kauf.

Erschüttert hat mich die Sendung „Die 100 – was Deutschland bewegt. Werden wir gut regiert?“. In dieser Sendung diskutierten 100 Bürger und zwei Journalisten darüber, ob Deutschland gut regiert wird. Diese Sendung erinnerte schon stark an Propagandasendungen der ehemaligen DDR. Pech nur, dass trotz Partystimmung und großer farbenfroher Show mit Maskottchen letztlich 74 Teilnehmer dieser Meinung waren. Am Anfang waren es 76. Noch schlimmer die Ergebnisse einer Meinungsumfrage, die angeblichen offenbart, dass die Mehrzahl der Deutschen (2/3) sich wohl fühlen würden und aussagen, es ginge ihnen gut, sie wären mit dem Wohlstand zufrieden – alles liefe gut. Das gäbe Grund zu feiern – und das tat man dort auch, indem man Deutschland-Fähnchen schwingend versuchte, gute Laune zu verbreiten. Da muss ich wohl in einem anderen Land leben, denn ich höre überwiegend das Gegenteil.

Zum Abschluss ein äußerst trauriges Kapitel. Die Bemühungen um Frieden in der Ukraine halten zwar an – doch sind sie so unrealistisch geworden wie lange nicht. Das hat zum einen mit der Einstellung von Donald Trump zu tun, der warum auch immer, Putin nicht in die Schranken weist und wirksam weder politischen noch wirtschaftlichen Druck ausübt, was er durchaus könnte. Zum anderen ist da das schwache Europa. Es ist eine Schande, dass in dem Punkt der eingefrorenen russischen Gelder offensichtlich keine Einigkeit herzustellen ist, einige Staaten dies aus eigenen Ingressen verhindern. Ein Trauerspiel. Und nun stellt die die EU einen 90 Milliarden Euro Kredit zur Verfügung. Grundsätzlich eine erfreuliche Initiative. Dieses Unvermögen, dieser Mangel an Solidarität, gibt Russland Auftrieb und die Gewissheit, dass der Westen schwach ist, nicht solidarisch und nicht stark. Und deshalb ist Putin nicht einmal dazu bereit, über Weihnachten Frieden einkehren zu lassen. Weil die Ukraine das nutzen könnte, sich weiter zu bewaffnen und sich zu stärken, um dann wieder zuzuschlagen. Das ist lächerlich und perfide. Wenn ich die Bilder aus der Ukraine sehe, wo Wohnungen, in denen bereits der Weihnachtsbaum aufgestellt war, ausgebombt wurden, wird mir ganz anders und die adventliche Stimmung will kaum aufkommen. Und das auch, wenn ich sehe, wie es mit unserem Land nur noch bergab geht. Dies in einer Zeit, in der ohnehin die gesamte geopolitische Architektur in Bewegung und bedroht ist, die Weltordnung sich durch die amerikanische Einstellung zu Europa dramatisch verändert. Somit ist unser Partner, auf den wir seit 1945 bauen konnten, nicht mehr an unserer Seite. Eine Eruption, wie es sie seit 80 Jahren nicht gegeben hat. Deswegen hat Merz zumindest in diesem Punkt recht – es ist eine Minute nach Zwölf! Mindestens.

Insofern denken wir doch alle einmal über die Feiertage darüber nach, was wir beitragen und aus der eindringlichen Warnung von Vince Ebert machen können. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Ihren Familien alles Gute ihr Klaus H. Radtke. +++


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