Kahrs: GroKo-Ausstieg würde SPD-Erfolge wie Grundrente gefährden

Wirtschaftsvertreter kritisieren Votum für Esken und Walter-Borjans

Johannes Kahrs (SPD), der Sprecher des Seeheimer Kreises, plädiert nach dem Sieg von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken beim SPD-Mitgliederentscheid für einen Verbleib seiner Partei in der Großen Koalition. Der „Passauer Neuen Presse“ sagte Kahrs: „Nur wenn man regiert, kann man gestalten.“ Es gebe jetzt ein klares Ergebnis, die Mitglieder hätten entschieden, so Kahrs. „Die, die gewonnen haben, müssen die Verlierer mitnehmen. Die, die verloren haben, müssen jetzt mitmachen und mitgestalten.“

Auf dem Parteitag werde nun erst einmal die neue Führung gewählt und auch über den künftigen Kurs der Partei debattiert. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand in der SPD die Grundrente gefährden will. Die wollen wir in den nächsten Monaten im Bundestag umsetzen. Die Grundrente ist noch nicht beschlossen. Teile der Union wollen sie nicht. Wir haben mit dem Klimapaket einen guten Anfang gemacht. Dass muss jetzt in den nächsten Jahren weiterentwickelt werden. Das bekommt man nur hin, wenn man regiert. Ein Ausstieg aus der Großen Koalition würde SPD-Erfolge wie die Grundrente gefährden“, so Kahrs. Daher ist er der Ansicht, die Große Koalition sollte bis zum Ende der Wahlperiode weiterarbeiten. „Wenn andere das anders sehen, muss man das diskutieren.“ Man laufe dann aber auch Gefahr, dass man auf die Umsetzung seiner eigenen Politik verzichten müsse, sagte der Bundestagsabgeordnete. Auch zum Thema Neuverhandlungen über den Koalitionsvertrag – das neue SPD-Führungsduo fordert eine Abkehr von der Schwarzen Null und einen Mindestlohn von zwölf Euro – äußert sich Kahrs abwägend: „Jeder Sozialdemokrat wünscht sich einen Mindestlohn von zwölf Euro. Und wenn man mehr Geld vernünftig investieren will, kann man das verhandeln. Dann muss man allerdings akzeptieren, dass auch der Koalitionspartner Forderungen stellen wird. Ich halte nicht viel davon, die Schwarze Null aufzugeben. Aber wenn das die Mehrheit meiner Partei beschlie ßt, dann ist das so. Dann sollten wir das Geld aber für vernünftige Dinge ausgeben. Etwa für die Entschuldung der Kommunen“, so Kahrs. Eine klare Meinung vertritt der SPD-Politiker zu der Frage, welche Rolle Olaf Scholz weiterhin in der Partei spielen sollte: „Es ging um die Wahl der Parteivorsitzenden. Olaf Scholz wollte eigentlich nicht antreten. Er wird weiterhin ein guter Vizekanzler und Finanzminister sein. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.“

Wirtschaftsvertreter kritisieren Votum für Esken und Walter-Borjans

Das Votum der SPD-Mitglieder für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans als neue Parteivorsitzende ist in der Wirtschaft auf Kritik gestoßen. Sorgen macht den Vertretern deutscher Unternehmen vor allem das politisch eher linke Profil der künftigen Parteichefs: „Unter diesem Führungsduo scheint mir eine wirtschaftsfreundlichere Aufstellung der SPD eher unwahrscheinlich“, sagte Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Verbandes „Die Familienunternehmer“, der „Welt“. Die SPD werde künftig „noch mehr die Belange derjenigen aus dem Blick verlieren, die jeden Tag Steuern zahlen und die Sozialversicherungsbeiträge erwirtschaften“, fürchtet er. Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), warnte, „wir können uns keine langwierigen Hängepartien in Berlin leisten“. Schon jetzt bleibe die Bundesregierung beim Reformtempo hinter den Erwartungen der Wirtschaft zurück. „Es fehlt trotz Rekordhaushalts das Bekenntnis zu mehr Investitionen und die Antwort auf den sich verschärfenden internationalen Steuerwettbewerb. In der Energie- und Klimapolitik besteht erheblicher Nachbesserungsbedarf, sonst droht die Bundesregierung, mit übereilter Gesetzgebung die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie zu ruinieren“, mahnte Kempf. Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), forderte von der Koalition Unterstützung für die Wirtschaft. „Damit die Binnenkonjunktur und der Handel mit seinen drei Millionen Beschäftigten weiterhin der Stabilitätsanker der deutschen Wirtschaft bleiben können, muss die Bundesregierung eine Wirtschaftspolitik für Wachstum und Wohlstand machen.“ Auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, dringt auf große politische Weichenstellungen. Es fehle der Großen Koalition der Mut, die großen, wichtigen Fragen unserer Zeit anzugehen, „von Klimaschutz, Digitalisierung und Bildung bis hin zu Steuerreform und Zukunftsinvestitionen“, kritisierte er. „Alle drei Parteien der Großen Koalition müssen sich nun entscheiden, was sie wollen, und die politische Paralyse beenden.“ Sie würde der Bundesrepublik andernfalls „wirtschaftlich teuer zu stehen kommen“. Dabei ist noch nicht ausgemacht, ob die SPD die gemeinsame Regierung in der Großen Koalition überhaupt fortsetzt. „Sollten die Ankündigungen dieses Paares nun tatsächlich Parteilinie werden, dann ist die SPD als Koalitionspartner nicht mehr tauglich“, sagte Eben-Worlée. +++