Justizangehörige stellen auch „in besonderen Zeiten“ Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege sicher

2023 weitere Stellen im (nicht)richterlichen Bereich vorgesehen

Präsident des Landgerichts Fulda. Dr. Müller

Verantwortliche des Land- und Amtsgerichts Fulda haben in dieser Woche in ihrem turnusmäßigen Jahrespressegespräch auf das Geschäftsjahr 2021 zurückgeblickt und dabei aktuelle Themen und künftige Entwicklungen der Fuldaer Justiz beleuchtet. Auch im vergangenen Jahr hatte das Amtsgericht Bußgeldsachen auf einem zahlenmäßig hohen Niveau zu bearbeiten. Grund hierfür sind neben einer Zunahme von Verkehrs-ordnungswidrigkeitsverfahren Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit der COVID- 19-Pandemie, insbesondere wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz beziehungsweise auf dessen Grundlage erlassener Verordnungen (Verstoß gegen Maskenpflicht; Treffen mit zu vielen Personen im öffentlichen Raum; Verstoß gegen „Ausgangssperre“ etc). Diese Verfahren sind oft zeitaufwendig zu bearbeiten, da Seitens der Betroffenen häufig eine ablehnende Grundhaltung gegenüber dem Staat und Gerichten vorherrscht, berichtet Dr. Jochen Müller, Präsident des Landgerichts Fulda. Dr. Müller weiter: „Während die Zahl der Berufungsverfahren in den letzten beiden Jahren rückläufig war, haben die Verfahren vor der Schwurgerichts- und der Jugendkammer zugenommen. Ins-besondere bei den Schwurgerichtssachen handelt es sich regelmäßig um Verfahren mit umfangreichen Beweisaufnahmen, die daher zahlreicher Verhandlungstage bedürfen. Zudem befinden sich die Angeklagten hier in der Regel in Untersuchungshaft, so dass diese Verfahren einer beschleunigten Bearbeitung bedürfen und damit einen hohen Anteil an Arbeitskraft binden.“

Bewährungshilfe

Die Bewährungshilfe im Landgerichtsbezirk Fulda betreut derzeit rund 570 Probanden. Davon sind über 90 Prozent männlich. Von den Probanden unterfallen rund 30 dem Sicherheitsmanagement 1. Im Rahmen von „SiMa I“ erfolgt eine besonders engmaschige Betreuung von Sexualstraftätern und Probanden, bei welchen eine elektronische Aufenthaltsüberwachung („elektronische Fußfessel“) angeordnet wurde. Weitere knapp 100 Probanden unterfallen dem Sicherheitsmanagement II. Im Rahmen von „SiMA II“ werden Gewaltstraftäter intensiv betreut, die als besonders rückfallgefährdet gelten.

Zivilrecht

Die Zahl der neu eingehenden erstinstanzlichen Zivilsachen ist auch im Jahr 2021 auf dem seit 2018 bestehenden hohen Niveau verblieben. Maßgeblich hierfür sind weiterhin sogenannte „Massenverfahren“, also Verfahren, in denen in vergleichbar gelagerten Fällen eine Vielzahl von Klagen erhoben werden. Zu nennen ist hierbei insbesondere die juristische Aufarbeitung des „Dieselskandals“, welche die Zivilgerichte auch weiterhin beschäftigt. Dabei stehen längst nicht mehr nur Fahrzeughersteller des VW-Konzerns auf Beklagtenseite, sondern Klagen richten sich auch vermehrt gegen die Daimler AG sowie die BMW AG. In Summe sind hier im Jahr 2021 rund 250 neue Klagen eingegangen, so dass seit 2015 deutlich über 1.000 Klagen, deren Gegenstand der „Dieselskandal“ war, am Landgericht Fulda anhängig gemacht wurden. Berücksichtigt man, dass in den Jahren vor 2018 durchschnittlich etwa 1.000 Klagen jährlich am Landgericht eingegangen sind, heißt das, dass durch den „Dieselskandal“ in den letzten vi.er Jahren so viele Klagen in Summe eingegangen sind, die eigentlich erst für einen Zeitraum von fünf Jahren zu erwarten gewesen wären. Hieran wird die Dimension dieser Art von „Massenverfahren“ deutlich, die auch weiterhin eine erhebliche Zusatzbelastung sowohl für die Richterinnen und Richter in den Zivilkammern als auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der jeweiligen Serviceeinheiten darstellen. Die Belastungsquote der Richterinnen und Richter am Landgericht Fulda lag im Jahr 2021 bei rund 125 Prozent.

Rückblick: Auswirkungen der Corona-Pandemie

Wie alle anderen Bereiche des gesellschaftlichen und privaten Lebens auch, haben die Corona-Pandemie und die zu ihrer Eindämmung erlassenen Schutzvorschriften die Arbeit von Amts- und Landgericht in den vergangenen rund 2,5 Jahren maßgeblich beeinflusst. Die Einhaltung der jeweils geltenden Abstands- und Hygieneregeln, das vermehrte Arbeiten aus dem Homeoffice zur Vermeidung nicht notwendiger Kontakte, der Einsatz von Luftfiltergeräten in den Sitzungssälen, die Durchführung von wenigen großen Strafverhandlungen mit einer Vielzahl von Beteiligten in externen Räumlichkeiten oder die zeitweise Anordnung einer FFP2-Maskenpflicht in den Gerichtsgebäuden gehörten – und gehören teilweise immer noch – zum Justizalltag. Trotz dieser organisatorischen Herausforderungen und dem immer wieder vorkommenden coronabedingten Ausfall von Bediensteten belegen die Zahlen, dass es durch das hohe Engagement der Justizangehörigen gelungen ist, die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege auch in außergewöhnlichen Zeiten aufrecht zu erhalten und die befürchtete „Corona-Delle“ zu vermeiden.

Ausblick: Stärkung der Justiz und des Standortes Fulda

Am 5. September 2022 fand der Antritts- und Arbeitsbesuch des neuen Staatsministers Professor Dr. Roman Poseck am Landgericht Fulda statt. Erfreulicherweise konnte er in Aussicht stellen, dass mit Blick auf die hohe Belastung des Landgerichts vorbehaltlich der noch ausstehenden Zustimmung des Haushaltsgesetzgebers für das Jahr 2023 weitere Stellen im richterlichen und nichtrichterlichen Bereich vorgesehen sind, mit dem die Personalausstattung nachhaltig verbessert werden kann. Hierzu gehört auch die Intensivierung der Bemühungen um die Gewinnung richterlichen Nachwuchses.

Digitalisierung der Justiz

Die Zivilprozessordnung erlaubt, dass Zivilverhandlungen im Wege der Bild- und Ton-übertragung durchgeführt werden können (§ 128a ZPO). Hierbei können sich sowohl die Kläger-, als auch die Beklagtenseite digital zuschalten, während die Richterinnen und Richter wie bisher im Sitzungssaal sind, von wo aus auch die Öffentlichkeit die mündliche Verhandlung über einen großen Bildschirm in Bild und Ton verfolgen kann. Hierfür stehen am Landgericht in zwei Sitzungssälen moderne Videokonferenzanlagen zur Verfügung. Im vergangenen Jahr wurden so am Landgericht etwa 210 Videoverhandlungen durchgeführt. Das entspricht rund 15 Prozent der insgesamt verhandelten erst- und zweitinstanzlichen Zivilsachen. Die Digitalisierung der hessischen Justiz schreitet auch am Landgericht Fulda voran. Als weiterer Schritt auf dem Weg hin zu einer Elektronischen Verfahrensakte wurden mit der Einführung der neuen Softwareprodukte e2P mit EUREKA-EDDA (Eingang digitale Dokumente zur Akte) EUREKA-Versand, ZOO (Zentraler Druck-Dienst) und dem ClearingClient beim Landgericht Fulda Lücken geschlossen und Abläufe weiter optimiert. Nachdem bereits seit 2018 mit e2T (moderne Texterzeugung) in Zivilsachen ein wichtiger Baustein der digitalen Aktenführung und des elektronischen Rechtsverkehrs im Einsatz ist, wird durch die Einführung von EUREKA-EDDA und mit EUREKA-Versand eine elektronische Verarbeitung von Dokumenten (Empfang/Eingang, digitale Bereitstellung, Versand der Dokumente/Postausgang) – zunächst für Strafsachen – ermöglicht und der elektronische Rechtsverkehr (über e2P) damit weiter ausgebaut. In der Poststelle von Land- und-Amtsgericht sorgt die Anwendung ZDD dafür, dass alle eingehenden elektronischen Dokumente automatisch gedruckt und gleichzeitig direkt digital in der entsprechenden Verfahrensakte zur Verfügung gestellt werden. Nur unzureichend datierte Dokumente (Metadaten, z. B. Aktenzeichen) müssen zunächst über den sog. ClearingClient gesichtet und der richtigen Verfahrensakte zugewiesen werden. Neben der sukzessiven Einführung der e2-Anwendungen und deren Teilprodukte wurde auch die Basis der Hardware verbessert. Alle Richterinnen und Richter wurden erstmals mit Tablet-PCs (Microsoft Surface), alle Serviceeinheiten mit Notebooks ausgestattet, was die Möglichkeiten zum mobilen Arbeiten verbessert. Obwohl derzeit nach den gesetzlichen Regelungen in den Verfahren noch die Papierakte führend ist und auch noch nicht alle Programme zur vollständigen elektronischen Aktenführung (e2A-ergonomischer elektronischer Arbeitsplatz, e2S- Verwaltung Sitzungssäle) eingeführt wurden, bieten die digitalen Möglichkeiten in Verbindung mit der neuen Hardware bereits jetzt viele Vorteile.

Pilotprojekt zur Prävention „Häuslicher Gewalt“ (Hersfelder Modell)

Zum 15. Februar 2021 startete in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Fulda und dem Polizeipräsidium Osthessen bei den Sozialen Diensten der Justiz des Landgerichts Fulda das Projekt „Intervention Häusliche Gewalt/ Fuldaer-Hersfelder Modell“. Ziel ist es, durch die entsprechende Vernetzung und die frühe Einschaltung der Gerichtshilfe schneller und vor allen zeitnah den Opfern häuslicher Gewalt Hilfe und Unterstützung anzubieten. Zugleich geht es auf der Täterseite darum, durch Vorschläge zu geeigneten Auflagen wie zum Beispiel psychotherapeutische Betreuung, Familienberatung, Anti-Aggressionstraining die Rechtsfolgeentscheidung vorzubereiten. In 2021 wurden 136 Fälle gemeldet und bearbeitet. Die Polizeidienststelle, die Kenntnis von einem Vorfall häuslicher Gewalt erhält, informiert unmittelbar die Gerichtshilfe, die umgehend binnen weniger Tage in einem ersten Schritt Kontakt zu dem Opfer herstellt. Mit ihm werden dann die konkrete familiäre und häusliche Situation sowie der Beziehungsverlauf besprochen und Angebote wie die Vermittlung an geeignete Beratungsstellen unterbreitet oder auch Notfallpläne erarbeitet. Im weiteren Verlauf kann dann auch der Beschuldigte einbezogen werden, der so die Möglichkeit erhält, das Vorgefallene aus seiner Sicht zu schildern. Auch mit ihm sollen Handlungsstrategien erarbeitet werden, wie künftig in Konfliktsituation reagiert werden kann. Über das Erarbeitete berichtet die Gerichtshilfe sodann der Staatsanwaltschaft. Insgesamt soll so verdeutlicht werden, dass häusliche Gewalt keine innerfamiliäre Angelegenheit ist, andererseits aber auch zugleich Hilfsangebote unterbreitet werden, damit sich derartige Vorfälle künftig nicht wiederholen. +++ pm/ja