Ein Student (Anfang 20), der in Petersberg wohnt, hatte im November 2020 beim Studierendenwerk Frankfurt am Main einen Antrag auf Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) gestellt, nachdem er zuvor an der Johann Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt ein Jura-Studium aufgenommen hatte. Diesen Antrag lehnte das Studierendenwerk dem Anfang 20-jährigen jedoch ab, da er zuvor geerbt hatte. Dadurch wurden ihm gänzlich BAföG-Leistungen verweigert. Nun stellten die Karlsruher Verfassungsrichter am Bundesverfassungsgericht durch Beschluss (BVerfG, Beschluss vom 25. März 2023 – 1 BvR 1620/22) fest, dass sowohl das Studierendenwerk als auch das Verwaltungsgericht in Frankfurt am Main (VG Frankfurt am Main) und der Hessische Verwaltungsgerichtshof im Falle des Petersbergers Willkür ausübten.
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde ist selten
Der Jura-Student aus Petersberg wandte sich ohne Prozessbevollmächtigten an das BVerfG und obsiegte, nachdem ein Rechtsanwalt für ihn bei der hessischen Verwaltungsgerichtsbarkeit erfolglos aufgetreten ist. Nach der jüngst vom BVerfG veröffentlichten Jahresstatistik wurden seit Gerichtsbestehen am 7. September 1951 bis zum aktuellen Stand am Ende des Jahres 2020 insgesamt 245.809 Verfassungsbeschwerden erledigt, wovon nur 5.372 (2,3 Prozent) erfolgreich waren. Das heißt, dass etwa nur jede fünfzigste Verfassungsbeschwerde tatsächlich Erfolg hat. Die Verfassungsbeschwerde des jungen Petersbergers zählt jetzt zu den Erfolgreichen, was offensichtlich die Früchte aus seinem Studium der Veranstaltung in Verfassungsrecht sind.
Student erbte einen zwölftel Teil vom Vater
Vor der BAföG-Antragstellung erwarb der Student aufgrund des Todes seines Vaters und den damit eingetretenen Erbfall ein Zwölftel des Einfamilienhauses, was er mit seiner Mutter und seinen Brüdern bewohnte. Diese bekamen auch jeweils einen Anteil am Haus. Nachdem er einen Antrag auf BAföG im November 2020 stellte, lehnte das Studierendenwerk Frankfurt die Leistungen ab, da er ja den zwölftel Teil des Hauses nach Ansicht der Verwaltungsbehörde verwerten könne, bevor er Leistungen beansprucht. Es wurde ihm unterstellend zugemutet, dass er im Zweifel ein Zwangsvollstreckungsverfahren beim Amtsgericht einleiten könne, um den Erbanteil aus der Gesamtmasse herauszulösen, so das Studierendenwerk und die Fachgerichte. Dagegen wandte er sich mit der Verfassungsbeschwerde nach Karlsruhe, da er seiner Familie nicht zumuten könne, aus dem Haus auszuziehen und den Familienfrieden zu stören.
BVerfG hat Hausaufgaben für das VG Frankfurt am Main
In dem Beschluss stellten die Karlsruher Richter fest, dass die Fachgerichte nicht ordentlich gearbeitet hatten, da sie Argumente unterstellten, die sie überhaupt nicht prüften und hinreichend darlegten. Zudem attestierten die Verfassungsrichter dem Studierendenwerk und den Gerichten sachfremde Erwägungen bei der Entscheidung über die BAföG-Leistung. Das BVerfG leitete hieraus eine Willkür ab und hielt die vorherigen Entscheidungen für „schlichtweg unverständlich“. Denn das Verfassungsgericht ermittelte, dass das BAföG in § 29 Absatz 3 eine Ausnahmeregelung vorsieht, bei der die Anrechnung von Vermögen der Auszubildenden nicht stattfindet, soweit dies im Rahmen einer unbilligen Härte unverwertbar ist. Die Fachgerichte hätten dies erkennen müssen und die Anwendung des Rechts verfassungsgemäß auslegen können. Da sie dies nicht taten, erkannten die Richter des BVerfG, dass der Petersberger vom Gleichheitsgrundsatz aus Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz in Form des Willkürverbots in seinen Rechten verletzt wurde. Der Fall wurde jetzt mit dieser höchstrichterlichen Feststellung an das VG Frankfurt zurückverwiesen. Dort hat man nun über die Sache erneut zu entscheiden.
Kein Zugriff auf das das Vermögen der Familienmitglieder
Das BVerfG stellte außerdem fest, dass der Zugriff auf das Vermögen der Familienangehörigen beim BAföG nach § 11 Abs. 2 Satz 1 außer Betracht bleibt. Durch die vom Studierendenwerk verlangte Zwangsversteigerung würde aber auch gerade deren Einsatz verlangt, „obwohl sie nicht zum Einsatz ihres Vermögens verpflichtet, sind“, so das Gericht. Zudem sei zu befürchten, dass der Verkaufswert den tatsächlichen Wert des Hauses unterschreiten würde, was eine unwirtschaftliche Verwertung darstelle, die für sich genommen die Anwendung einer unbilligen Härtenorm rechtfertige. Es ist davon auszugehen, dass diese Entscheidung das Recht maßgeblich fortentwickelt und in die juristische Kommentarliteratur aufgenommen wird. Für andere Studierende dürfte dies bedeuten, dass sie bei einem geerbten Hausanteil dann keine Leistungsverweigerung mehr fürchten müssen, soweit dies eine Härte darstellt. +++ rb