Intensivmediziner dringt auf Ausgangssperren

Handelsverband will Ausgangssperren frühestens ab 22 Uhr

Der Intensivmediziner Uwe Janssens drängt die Politik dazu, zeitnah neue Maßnahmen zu Kontaktbeschränkungen umzusetzen. Schließlich gebe es überfüllte Intensivstationen und eine Zunahme von Sterbefällen, sagte er am Mittwoch dem Fernsehsender Phoenix. „Das sollte den Politikern sagen: Wir haben fünf nach zwölf, ihr müsst jetzt handeln, es muss jetzt eine Strategie verfolgt werden, die bundesweit einheitlich gilt. Bislang laufen wir den Dingen hinterher“, so der frühere Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin.

Wären die bereits vor Wochen von der Politik beschlossenen Maßnahmen flächendeckend umgesetzt worden, hätte man die aktuelle Pandemie-Entwicklung abschwächen können. „Die aktuellen Diskussionen zeigen, dass die deutschen Politiker noch nicht verstanden haben, was ihre Aufgabe ist, nämlich die Bürger zu schützen“, so Janssens. Notwendig sei ein durchgehender, harter Lockdown, um die Infektionszahlen zu verringern. Portugal und Irland hätten gezeigt, dass dies möglich sei. Dazu gehörten auch weitere Beschränkungen der Bürger. Wissenschaftliche Studien machten deutlich, „dass die von vielen kritisierten Ausgangssperren einen Effekt auf den sogenannten R-Wert haben und ihn um etwa zwölf Prozent senken können“, sagte der Intensivmediziner. Notwendig sei es, der Bevölkerung klar zu machen, dass alle aufgerufen seien, bei der Bekämpfung der Pandemie mitzumachen. „Diesen positiven Appell vermisse ich bei der Politik. Die Mitarbeit der Bevölkerung ist essentiell.“ Er sah im Gegensatz zu Berufskollegen jedoch keinen Hinweis dafür, dass die Lage auf den deutschen Intensivstationen zeitnah außer Kontrolle gerate und eine Triage notwendig würde. „Da sind wir durch ein hervorragendes Gesundheitssystem in der Lage, das abzuwenden. Wir werden es aushalten, aber da wird viel Schweiß bei fließen“, so Janssens.

Handelsverband will Ausgangssperren frühestens ab 22 Uhr

Der Handelsverband HDE will die geplante nächtliche Ausgangssperre frühestens ab 22 Uhr. „Gerade in Zeiten der Pandemie geht es darum, das Kundenaufkommen zu entzerren und so Kontakte zu minimieren sowie Schlangen zu vermeiden“, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth dem „Handelsblatt“. „Deshalb sollte eine Ausgangssperre nicht vor 22 Uhr ansetzen.“ Für das Personal der Lebensmittelhändler müssten dann entsprechende Ausnahmen für den Weg nach Hause gelten. Genth gab zudem zu bedenken, dass eine Ausgangssperre, die wie in der aktuellen Fassung des Infektionsschutzgesetzes vorgesehen, ab 21 Uhr gelte, den Lebensmittelhandel hart treffe. Denn viele Supermärkte und Discounter hätten bis 22 Uhr oder länger geöffnet, um berufstätigen Kunden den Einkauf am Abend zu ermöglichen.

GroKo will geplante Ausgangssperren aufweichen

Die bundesweit geplanten Ausgangssperren von 21 bis 5 Uhr in Landkreisen mit einer Inzidenz über 100 sollen offenbar aufgeweicht werden. Das berichtet das Portal „Business Insider“ unter Berufung auf Kreise der Koalitionsspitzen im Bundestag. Am Freitag sollen demnach Änderungen am Gesetzesentwurf der Regierung für die Notbremse eingebracht werden. Konkret seien Ausnahmen für Individualsport, vor allem Joggen sowie Gassigehen mit dem Haustier im Gespräch. Zuletzt hatte sich in den Fraktionen von CDU/CSU und SPD deutlich Widerstand gegen den am Dienstag vom Kabinett beschlossenen Gesetzesentwurf formiert. Zahlreiche Abgeordnete hatten sich teils öffentlich gegen die vorgesehenen Regelungen für die Ausgangssperre geäußert. Demnach wären nämlich aktuell nur wenige Ausnahmen möglich: Dazu zählen medizinische Notfälle, der Weg von und zur Arbeit, die Wahrnehmung des Sorge- oder Umgangsrechts, die unaufschiebbare Betreuung pflegebedürftiger Personen, die Versorgung von Tieren und ähnlich gewichtige Gründe wie etwa die Wahrnehmung eines Impftermins. Über das Wochenende soll es dann weitere Gespräche geben, insbesondere mit dem Kanzleramt. Spätestens am Donnerstag in einer Woche soll die Gesetzesänderung dann endgültig im Bundestag beschlossen werden. Für Freitag ist eine Sondersitzung des Bundesrats geplant. Läuft alles glatt, dürfte die Bundesnotbremse in betroffenen Landkreisen spätestens am Montag, den 26. April, in Kraft treten. In den Regionen, die eine Inzidenz unter 100 haben, sind weiterhin die Länder für die Regelungen zuständig. +++