Info-Flyer zum Memorial für die ermordeten jüdischen Schüler in der Freiherr-vom-Stein-Schule Fulda vorgestellt

Dr. Michael Imhof

Jüdisches Leben und Existenzen „lebendig“ halten, den Holocaust nicht verleugnen und als „geschehen“ erachten – diesen Zielsetzungen hat sich vor einiger Zeit die Freiherr-vom-Stein-Schule Fulda verschrieben. Nachdem am 1. März 2016, 71 Jahre nach der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus, in der Eingangshalle der Freiherr-vom-Stein-Schule Fulda eine Gedenktafel mit den Lebensdaten der ermordeten Schülerinnen und Schüler, die die frühere Oberrealschule besuchten, enthüllt wurde, wurde heute, am 25. Januar 2023, sieben Jahre nach der Enthüllung des Memorials und zwei Tage vor dem „Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust“ in der Mediothek der Freiherr-vom-Stein-Schule Fulda als Ergänzung zum Memorial ein Informations-Flyer mit wichtigen Hintergrundinformationen zum Ehrenmal der Öffentlichkeit vorgestellt und an die Schulgemeinde übergeben. Zu verdanken war es seinerzeit dem ehrenamtlichen Engagement von Dr. Michael Imhof, früher Schüler am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium Fulda, dass das Memorial, dem intensive Recherchen vorausgegangen waren, realisiert werden konnte. Verantwortlich für den Flyer zeichnet sich ebenfalls federführend Dr. Michael Imhof.

Vor dem Memorial im Treppenhaus der Freiherr-vom-Stein-Schule Fulda (v.l.): Studiendirektor Thomas Manderscheid, Rudolf Zibuschka, Viola Riesner, Roman Melamed, Schulamtsdirektor a.D. Dr. Michael Imhof, Studiendirektor André Müller und Schulleiter Oberstudiendirektor Dr. Ulf Brüdigam.

„Denkmäler oder Mahnmale sind materielle Zeichen einer kollektiven Erinnerung. Es gibt Denkmäler von internationaler, nationaler oder lokaler Bedeutung – haben sie doch eines gemeinsam: sie geben Zeugnis davon, was stattgefunden hat und was für würdig oder notwendig befunden wird als Erinnerungszeichen im öffentlichen Raum gesehen zu werden“, so Schulleiter Oberstudiendirektor Dr. Ulf Brüdigam anlässlich der Vorstellung des Info-Flyers am Donnerstag in der Freiherr-vom-Stein-Schule Fulda. Dieser weiter: „Dank unserer Gedenktafel im Treppenhaus, an der man mehrmals täglich vorbeikommt, wird der Blick und die Erinnerung auf das Schicksal jüdischer Schülerinnen und Schüler der Oberrealschule Fulda, einer Vorgängerinstitution der Freiherr-vom-Stein-Schule gerichtet.

104 ermordete Schülerinnen und Schüler, weitere 240 Schüler, die sich nur durch die Flucht ins Ausland retten konnten. Der Holocaust mit seiner unfassbaren Dimension wird so plötzlich greifbar. Fulda, unsere Schule, unsere Schulgeschichte. Das Ganze eng verwoben mit der deutschen Geschichte. Nach den Novemberpogromen erließ das Reichsministerium für Wissenschaft und Erziehung am 15. November 1938 das es Zitat […] ‚keinen deutschen Lehrern und keiner Lehrerin mehr zugemutet werden kann, an jüdische Schulkinder Unterricht zu erteilen. Auch versteht es sich von selbst, dass es für deutsche Schülerinnen und Schüler unerträglich ist, mit Juden in einem Klassenraum zu sitzen. Zwar wäre die Rassentrennung im Schulwesen in den letzten Jahren im Allgemeinen bereits durchgeführt, doch ist ein Restbestand jüdischer Schüler auf den deutschen Schulen übriggeblieben, dem der gemeinsame Schulbesuch mit deutschen Jungen und Mädels nunmehr nicht weiter gestattet werden kann.‘ Das Memorial im Treppenhaus macht sichtbar, was entweder sehr abstrakt wie eben in dieser Anordnung aus dem Amtsblatt des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung deutlich wird oder aus anderen Quellen schwer erschließbar ist.“

„Mahnmal und Erläuterung gehören zusammen – und das umso mehr im schulischen Kontext“

Brüdigam zitierte aus dem Diensttagebuch von einem seiner Vorvorgänger. „Ganz lapidar unter den Posteingängen heißt es hier: ‚Herausnahme jüdischer Schüler` (November, 1937). Brüdigam weiter: „Was sich dahinter verbirgt in der Tragweite, in der Dimension kann man ungefähr erahnen wenn man sich das Memorial vergegenwärtigt. Es sind Schüler, die das Land verlassen haben, es sind Schüler, die deportiert wurden und starben. Das Schicksal dieser Menschen wird dann greifbar, wenn uns Denkmäler ihre Geschichte zuteil werden lassen und uns einladen, uns auf (deutsche) Geschichte einzulassen. Wir werden natürlich immer – und das zeigt die Diskussion um Denkmäler – sehr häufig mit der Frage nach der angemessenen Form der Erinnerung konfrontiert. Und in besonderem Maße ist das bei Denkmälern zum Holocaust so. Wir haben immer ein Problem mit der Darstellbarkeit. Darstellung braucht auch Erläuterung! Darstellung und Erläuterung oder Mahnmal und Erläuterung gehören zusammen und das umso mehr im Kontext Schule. Ich bin daher sehr dankbar, dass es zum Memorial einen Erläuterungstext gibt und anhand dessen die Erläuterung so erfolgt, dass die Schülerschaft und die interessierte Öffentlichkeit noch besser informiert werden, und dass sich hiermit im Unterricht arbeiten lässt.“ Abschließend bedankte sich Oberstudiendirektor Dr. Ulf Brüdigam für die Erstellung des Flyers zur „Aufrechterhaltung der schulischen Erinnerungskultur“. Im Besonderen galt sein Dank den Initiatoren des Memorials sowie des Info-Flyers. Namentlich nannte er stellvertretend Dr. Michael Imhof, Studiendirektor André Müller (stv. Schulleiter der Freiherr-vom-Stein-Schule Fulda). Daneben dankte er dem Redaktionsteam. Dank vonseiten des Schulleiters erfuhren ebenso Rudolf Zibuschka (Lektorat) und Viola Riesner (Grafische Gestaltung, Layout).

Dr. Michael Imhof

Dr. Michael Imhof erinnerte anlässlich der heutigen Vorstellung des Flyers in der Freiherr-vom-Stein-Schule Fulda im Beisein von Roman Melamed (Jüdische Gemeinde Fulda) und einer Schülergruppe der Schule an das nationalsozialistische Gewaltverbrechen, das 104 ehemaligen Schülerinnen und Schülern der früheren Oberrealschule Fulda zuteil wurde und daran, dass es Deutsche waren, die für ihre Verfolgung und Ermordung verantwortlich waren. Weitere 240 konnten dem Tod nur durch ihre Flucht ins Exil entkommen. Die heutige Freiherr-vom-Stein-Schule Fulda, 1938 als Real- und spätere Oberrealschule Fulda gegründet, wurde seit ihrer Gründung 1838 bis 1936 von circa 700 jüdischen Schülern besucht. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurden Antisemitismus und Judenverfolgung Staatsdoktrin. Die jüdischen Schüler wurden diskriminiert und gezwungen, die Schule zu verlassen. Die jüdischen Schüler kamen größtenteils aus Fulda. Eine große Zahl aber waren Auswärtige aus den jüdischen Gemeinden in der Rhön, südlich von Fulda oder dem Haunetal. Sie wohnten bei jüdischen Familien oder in jüdisch-geführten Pensionen. Die Anzahl der jüdischen Schülerinnen und Schüler stieg von vier unter den 22 Schulanfängern im ersten Schuljahr kontinuierlich an. Ende des 19. Jahrhunderts betrug ihr Anteil 30 bis 40 Prozent und war damit in etwa gleich dem Anteil der katholischen und protestantischen Schüler. Der jüdische Bevölkerungsanteil in Fulda lag allerdings nur bei 4 Prozent, der der Katholiken jedoch bei 80 Prozent und der der Protestanten bei 12 Prozent.

Wunsch nach „Stolpersteinen“ in Fulda

Mit dem „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Universitäten“ vom 25. April 1933 schufen sich die Nationalsozialisten ihre Scheinlegitimation, die jüdischen Schüler aus dem öffentlichen Schulwesen auszuschließen. 1936 gab es keine jüdischen Schüler mehr auf der Oberrealschule Fulda. In der Jubiläums-Festschrift zum 100-jährigen Bestehen der Schule 1938 waren ihre Namen aus den Schülerlisten getilgt. Wie in der Festschrift eigens betont, war die Schule von nun an „judenfrei“. Von den ehemaligen jüdischen Mitschülern wurden 104 in den Vernichtungslagern und durch den Terror ermordet. Am Ende stehen die Todeslager Auschwitz, Sobibor, Maidanek, Treblinka, Theresienstadt und Bergen-Belsen. Im Kontext der heutigen Vorstellung adressierten die Schülerinnen und Schüler der heutigen Freiherr-vom-Stein-Schule Fulda interessiert Fragen an Dr. Michael Imhof. So lautete beispielsweise eine Frage, woran sich Antisemitismus auch heute noch festmachen ließe und wie es gelänge, Antisemitismus die Stirn zu bieten. Hier nannte Dr. Michael Imhof die Bezeichnung „Du Jude“, die in der Zeit der Judenverfolgung als Schimpfwort eingesetzt wurde und manchmal auch noch heute eingesetzt wird. Doch nicht nur an der Sprache, so Imhof, ließe sich Antisemitismus festmachen, sondern auch am Umgang in der Gesellschaft. „Wir erleben eine Zunahme von autoritären Regimen in der ganzen Welt“, so Imhof.

Wichtig sei auch, so Imhof, Haltung zu zeigen und sich mit deutscher Geschichte auseinander zu setzen. Weiter warb er dafür, mit Holocaustüberlebenden ins Gespräch zu kommen, Lesungen zu besuchen oder auch einmal ein Wochenende für einen Besuch in einem Konzentrationslager zu opfern. „Dann ist halt mal ein Wochenende keine Party, sondern Geschichte“, sagte er trocken, dabei humorvoll. Vor dem Hintergrund, dass in einzelnen Gemeinden – u.a. Tann (Rhön), Ehrenberg-Wüstensachsen, Gersfeld (Rhön), Flieden – des Landkreises Fulda Stolpersteine verlegt werden, adressierten die Gymnasiasten an Dr. Imhof die Frage, warum dies bis jetzt noch nicht in Fulda erfolgt sei. Hierauf Imhof: „Ich denke, dass auch in naher Zukunft in Fulda Stolpersteine verlegt werden.“ In diesem Zusammenhang erzählte er den Schülerinnen und Schülern von Bad Brückenau, wo auf Bitten und Anraten von Schülerinnen und Schülern an den dortigen Bürgermeister jetzt Stolpersteine verlegt werden. Erstrebenswert für die Aufrechterhaltung von früherem jüdischem Leben und die damit korrelierende Verfolgung von Menschen jüdischen Glaubens sei, so Dr. Imhof, das Engagement, den Holocaust in den Köpf wach und lebendig zu halten, früherem jüdischem Leben sichtbar und bewusst zu gedenken sowie das Interesse an deutscher Geschichte, Ideale, die die Freiherr-vom-Stein-Schule Fulda gerne aufgreifen und annehmen wolle. Die Vorstellung des Flyers wurde musikalisch umrahmt von den Schülerinnen und Schülern der Bläserklasse, Young Band und dem Blasorchester unter der Leitung von Corina Müller-Mohr. +++ jessica auth