Immer mehr Sexualstraftäter werden gegen Ärzte-Votum entlassen

Berlin. In Deutschland werden immer mehr Sexualstraftäter aus dem Maßregelvollzug entlassen, obwohl Ärzte sie weiterhin für gefährlich halten. Wie „Focus“ berichtet, sind darunter auch mehrere Pädophile. Der Chef des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL), Tilmann Hollweg, sagte „Focus“, man könne „dem Auftrag der Maßregel, die Bevölkerung zu schützen“ nicht mehr „in jedem Fall“ nachkommen. Auslöser der Liberalisierungswelle sind mehrere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Nach Informationen des Magazins wurden als Folge dieses Trends seit Anfang 2012 in Niedersachsen 17 Patienten aus Kliniken entlassen. In der LWL-Region kamen 30 Patienten frei.

In Hessen ist von „einigen Fällen“ die Rede, bei denen die Entlassung zum Teil noch anstehe. Das Oberlandesgericht Hamm hatte vor kurzem entschieden, dass der Pädophile Bernd B. im Januar entlassen werden muss. Seit 1995 sitzt der 55-Jährige in der forensischen Klinik im westfälischen Lippstadt. Die Klinik hatte gewarnt, dass B. nach wie vor gefährlich sei. Noch 2013 sagte der frühere Lagerist laut einem Gutachten, das dem Nachrichtenmagazin vorliegt, seine sexuellen Kontakte mit Kindern Anfang der 90er-Jahre seien einvernehmlich erfolgt. Früher durften die Insassen forensischer Kliniken meist erst auf Freiheit hoffen, wenn sie aus Sicht der Therapeuten geheilt waren. Neuerdings betonen Richter die Verhältnismäßigkeit, also ob die Dauer des Freiheitsentzugs noch im Verhältnis zur Straftat steht. Je länger ein Patient eingesperrt ist, desto besser stehen seine Chancen, frei zu kommen, auch wenn die jahrelangen Therapien nicht angeschlagen haben.

Der stellvertretende Chef des Richterbundes in Nordrhein-Westfalen, Thomas Falkenkötter, sagte: Wer aus Gründen der Verhältnismäßigkeit entlassen werde, sei zwar „noch gefährlich“. Die Gesellschaft aber müsse das als Folge höchstrichterlicher Beschlüsse „hinnehmen“. Opfervereine übten scharfe Kritik an der Praxis. Die Geschäftsführerin des Weißen Rings, Bianca Riwer, nannte die Entscheidung im Fall Bernd B. „unerträglich“. Die Geschäftsführerin von „Innocence in Danger“, Julia von Weiler, warf den Gerichten unverantwortliches Handeln vor: „Wenn die Verhältnismäßigkeit des langen Maßregelvollzugs gegen das Schutzbedürfnis möglicher Opfer abgewogen wird, muss am Ende der Schutz der Opfer immer Vorrang haben.“ +++ fuldainfo