„Kann es sein, dass eine Grenze, die Europa fast 45 Jahre in zwei Blöcke geteilt hat, tatsächlich anders ist als die innerdeutsche Grenze?“ In seinem Buch „Bayern und der Eiserne Vorhang 1945 bis 1990“ hat der Historiker Dr. Markus Meinke die Abschnitte der DDR und der Tschechoslowakei zum Freistaat miteinander verglichen. Die Ergebnisse präsentierte er nun im Rahmen eines Vortrages einem interessierten Publikum im Haus auf der Grenze von Point Alpha.
Der „Eiserne Vorhang“: 421 Kilometer verlief er nach Grenzkorrekturen in der DDR und 356 Kilometer in der Tschechoslowakei entlang von Bayern. Stacheldrahtzäune, Wachtürme, Minenfelder und bewaffnete Posten prägten hier wie dort das Bild. Und doch bildeten sich Nuancen heraus, die der bayerisch-tschechoslowakischen Grenze aus westlicher Sicht einen scheinbar „freundlicheren und unaufdringlichen“ Charakter gegenüber der „viel schlimmeren“ innerdeutschen Grenze verliehen.
Unterm Nenner widerlegte Meinke in der Gedenkstätte Point Alpha diese These und bewertete die gefühlte Andersartigkeit nur als oberflächliches Phänomen. Sowohl die Zahl der verhinderten Fluchten als auch die Statistik der Todesfälle sprächen gegen diesen Befund. „Der Eiserne Vorhang der Tschechoslowaken setzte auf andere Wirkmechanismen, er stand aber in seiner Effektivität und Rigorosität der Grenze innerhalb Deutschlands zeitweise in nichts nach“, so Meinke. Bereits 1953 gab es eine durchgehende Abriegelung, deren mittleres Element bis zu 6.000 Volt unter Hochspannung stand. Dazu kamen Minenfelder. Zwar hatte der DDR-Zaun anfangs noch viele Lücken, doch im Verlauf wirkten beide Systeme gleich effektiv und tödlich. Ende 1965 setzten die Tschechoslowaken dann auf ein Signalzaunsystem, der bei Berührung Alarm auslöste, zudem wurden nie Selbstschussanlagen wie in der DDR installiert.
Der Eindruck, die tschechoslowakische Grenze sei harmloser und leichter zu überwinden, war also eine Täuschung. Beeinflusst wurde diese öffentliche Wahrnehmung des Westens sicherlich durch Verlagerung der Grenzsperren bis zu drei Kilometer ins Hinterland. Der Begriff vom „Eisernen Vorhang hinter grünen Gardinen“ machte die Runde. Hinzu kam, dass es sich um eine „echte“ Auslandsgrenze handelte, die nicht Gegenstand von Debatten über die Teilung und Wiedervereinigung war. All das führte dazu, dass die bayerisch-tschechoslowakische Grenze in der Wahrnehmung eher eine untergeordnete Rolle spielte und nur bei Zwischenfällen ins Bewusstsein rückte.
Unterschiede stellte der Referent dennoch fest, so in der sozialen Interaktionen entlang der Grenze, zwischen Grenzpolizisten, Anwohnern und Grenzbesuchern, LKW-Fahrern und Reisenden. An der bayerisch-tschechoslowakischen Grenze waren häufig die Ansprechpartner auf der östlichen Seite bekannt und kleinere Probleme ließen sich nicht selten auf lokaler Ebene lösen. Auch eine kurze Plauderei bei Begegnungen zwischen den Grenzposten waren durchaus üblich und es wanderten heimlich auch Münzen, Zigaretten oder Hefte hin und her. So ergab sich insgesamt ein grundlegend anderes Bild gegenüber der innerdeutschen Grenze, deren Prozesse strikten Regularien des SED-Regimes unterlagen und Kontakte mit dem „Klassenfeind“ untersagten. Auch die die kommunistische Propaganda auf riesigen Transparenten oder Plakaten waren in der damaligen CSSR geringer ausgeprägt. Auch wurde das Land positiver wahrgenommen, da es sich beim grenzüberschreitenden Tourismus aufgeschlossener und aufgrund benötigter Devisen lockerer und großzügiger bei Kontrollen zeigte. Meinke erzählte darüber hinaus von ungewöhnlichen Grenzüberschritten auf beiden Seiten, spektakulären Fluchten oder dem Schmuggeln von Zigaretten, Drogen oder Taschenrechnern sowie von Flüchtlingsströmen, beispielsweise Türken oder Singhalesen, die die Tschechoslowaken ungehindert bis Bayern passieren ließ.
Bei seinen Recherchen hat der Autor, der als wissenschaftlicher Angestellter beim Bezirk Oberpfalz tätig ist und die grenzüberschreitende Kooperation mit der Tschechischen Republik betreut, Archivbestände ausgewertet, Dokumente, Zeitungsartikel und Jahresberichte gesichtet. Zeitzeugen wurden befragt und Analysen aus Grenzromanen und Filmen gezogen worden. So ist ein Werk mit 472 Seiten, vielen Bildern und Dokumenten entstanden. Zu Beginn hatte der Vorstand der Point Alpha Stiftung Philipp Metzler die Gäste und den Vortragenden im Forum begrüßt sowie kompakt ins Thema eingeführt. +++