Hilfen für Angehörige im Pflegedschungel

Diskussionsrunde mit Fachleuten, Betroffenen und pflegenden Angehörigen

Ein sensibles Thema, eine ganz besondere Stimmung im Saal des Posthotel Johannesberg in Lauterbach und an den Endgeräten: „Wie familienfreundlich ist die häusliche Pflege im Vogelsbergkreis?“. Diese umfassende Frage mit all den großen und kleinen Herausforderungen, die die Pflege von nahen Angehörigen in den eigenen vier Wänden mit sich bringt, war Thema bei der 2-G-Diskussionsveranstaltung, zu der das Familienbündnis des Vogelsbergkreises, Elisabeth Hillebrand, Beauftragte für Integration und Gleichstellung, und Kurt Wiegel, Beauftragter für Senioren und Inklusion, eingeladen hatten.

Das Podium war gut besetzt – mit Fachleuten, die ihre Expertise, Erfahrungen und Möglichkeiten gerne teilen: Monique Abel, Pflegeplanerin, Pflegestützpunkt Vogelsbergkreis, Ralph Dallmann, Experte in eigener Sache per Online-Schalte, Eva-Maria Häfner, AWO ambulante Pflege und pflegende Angehörige, Christel Kisser, Pflegefachkraft, Bezirkslandfrauenverein Alsfeld, Dr. Barbara Peters, Frauenärztin aus Lauterbach und Präsidentin, Soroptimist International Lauterbach-Vogelsberg, Yvonne Schäfer, Familienentlastender Dienst des DRK Lauterbach per Online-Schalte, Ingo Schwalm, Fachkrankenpfleger und Mitglied des Familienbündnisses, Hans-Jürgen Röhr, Bezirks- und Kreisvorsitzender des VdK, sowie Regina Weller, Bezirkslandfrauenverein Lauterbach und pflegende Angehörige. Nach einführenden Worten von Elisabeth Hillebrand übernahm Hans Dieter Herget, Sozialarbeiter und Mitglied des Familienbündnisses, als Moderator das Wort. Auch er begrüßte die Gäste im Saal und die, die per Livestream zugeschaltet waren. Nachdem er stellvertretend einen kurzen Input von Ralph Dallmann vorgetragen hatte, leitete er über zu einem Impulsvortrag zur Pflegereform von Hans-Jürgen Röhr.

Etwa 80 Prozent der Pflegebedürftigen in Hessen würden zu Hause gepflegt und immer wieder zeige sich dort Beratungsrückstand – vorhandene Angebote würden zu selten genutzt und Leistungen, die Pflegebedürftigen zustünden, nicht abgerufen, führte Röhr aus. Er verwies dabei auf eine Umfrage des VdK Hessen-Thüringen. Diese habe vielfach Offensichtliches dokumentiert: Zwei Drittel der pflegenden Angehörigen seien stark belastet, erschöpft. Mehr Flexibilität, beispielsweise um Beruf und Pflege zu vereinbaren, oder wenn zeitnah Kurzzeit-, oder Tagespflegeangebote nötig seien, sei für viele pflegende Angehörige, im Übrigen zum größten Teil Frauen, dringend nötig. Auch die Pflegereform, die 2021 von der Bundesregierung verabschiedet worden sei, trage nicht zu einer grundlegenden Verbesserung bei, meinte Röhr. Gerade der ambulante Pflegesektor, der zur Entlastung pflegender Angehöriger beitragen könne, komme nach Ansicht des Experten zu kurz. Das deckte sich mit dem Tenor der Wortbeiträge aus dem Publikum: Die häusliche Pflege, die in bis zu 90 Prozent der Fälle von weiblichen Angehörigen erledigt werde, zehre an den Kräften.

Entlastung und kurzfristig verfügbare Pflegeangebote, wie etwa Tages- und Kurzzeitpflege, seien stark nachgefragt. Immer wieder war auch zu hören, dass vorhandene Beratungsangebote noch immer nicht flächendeckend in Anspruch genommen würden. Klar sei aber auch: Das Spektrum des Beratungsangebots, wie es etwa vom Pflegestützpunkt Vogelsbergkreis bereitgestellt werde, sei sehr viel breiter, als von vielen angenommen. Obwohl die von Röhr vorgestellten Umfrageergebnisse zeigten, dass sowohl bei der Nutzung von Pflegestützpunkt, der Tagespflege, des Entlastungsbetrags und bei der Unterstützung bei Betreuung und Beschäftigung, der Vogelsbergkreis bis zu 20 Prozent über dem Hessen-Thüringen-Schnitt liege, sei auch dort noch Luft nach oben, merkte Röhr an.
Als möglichen Weg, die schwierige Alltagssituation zu organisieren, greifen immer wieder Menschen auf Hilfe aus dem Ausland zurück. Das verdiene mehr Beachtung bei der bundespolitischen Pflegegesetzgebung, war zu vernehmen. Denn immer wieder erscheine dieser Weg den Angehörigen als einzig möglicher, um Pflege zu Hause organisieren zu können. Auch brauche es mehr Rückendeckung seitens der Bundespolitik, denn an vielen Stellen sei die häusliche Pflege nicht mehr anders zu bewerkstelligen.

Um die Pflege zu Hause weiter zu stärken, wurde auch ein Vernetzungsportal für kurzfristige Pflegeangebote ins Spiel gebracht, um so Kapazitäten für Pflege-Notfälle aufzubauen – und beispielsweise eine „Pflegefeuerwehr“ auf den Weg zu bringen, die in schwierigen Situationen eingreifen könnte. Der Abend bot viel Raum für persönlichen Austausch: Schwere Schicksale, Lösungsansätze, die Menschen in ähnlichen Situationen helfen können, und Anlaufstellen für Pflegeberatung – all das war Teil der intensiven Gespräche vor Ort und im Livestream. Bevor Seniorenbeauftragter Kurt Wiegel sein Schlusswort sprach, unterstrich Hans Dieter Herget, man werde es nicht dabei belassen, einmal die Schwierigkeiten in der häuslichen Pflege diskutiert zu haben. Die zur Sprache gekommenen Hinweise würden zusammengefasst und an Verantwortliche in der Politik bis nach Berlin weitergegeben. Er zitierte einen Beitrag einer Teilnehmerin die gesagt hatte, es gehe nicht um eine Wunschliste, sondern um Forderungen im Sinne einer To-do-Liste. +++ pm