Halbzeit am Ausbildungsstellenmarkt – Mehr Abiturienten auf Ausbildungsstellensuche

Fulda. Wer derzeit eine Ausbildungsstelle sucht, der hat im Landkreis Fulda noch eine große Auswahl: 1.191 Ausbildungsstellen sind bis Anfang August zu besetzen. Nur etwa halb so viele junge Menschen – insgesamt 679 – befinden sich auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Rein rechnerisch kommen momentan 1,75 freie Stellen auf je einen unversorgten Bewerber. Der Landkreis Fulda ist somit in Hessen die Region mit der höchsten Ausbildungsstellen-Bewerber-Relation (Hessen insgesamt: 1,0). Von A wie Altenpfleger/in und Augenoptiker/in über K wie Koch und Kraftfahrzeugmechatroniker/in bis Z wie Zahntechniker/in und Zerspanungsmechaniker/in reicht das Angebot an Stellen, auf das junge Menschen auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz zurückgreifen können. Möglich-keiten bestehen in nahezu allen Bereichen.

„Erfreulicherweise haben wir einen leichten Bewerberanstieg zu verzeichnen. Unser Argument, wonach eine beruflich Ausbildung in der Regel ein attraktiver Einstieg in die Berufs- und Arbeitswelt ist, zeigt Wirkung. Denn eine klassische Ausbildung ist ein solides Fundament und lässt später alle Optionen für ein berufliches Weiterkommen offen. Allerdings hat sich die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen ebenfalls erhöht, sodass die Stellen-Bewerber-Relation in etwa der im Vorjahr entspricht“, erklärte Waldemar Dombrowski, Leiter der Agentur für Arbeit Bad Hersfeld-Fulda, im Rahmen der Ausbildungsmarktkonferenz in Fulda. Zur „Halbzeit“ des Geschäftsjahres der Berufsberatung analysierten die regionalen Netzwerkpartner im Rahmen der Ausbildungsmarktkonferenz die aktuelle Lage und Entwicklung auf dem Ausbildungsmarkt. Teilnehmer waren die Agentur für Arbeit, Stadt und Landkreis Fulda, die Industrie- und Handelskammer, die Kreishandwerkerschaft, der Arbeitgeberverband Osthessen sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund und das Staatliche Schulamt.

Seit Beginn des Ausbildungsjahres haben sich im Landkreis Fulda 1.130 junge Menschen als Bewerberinnen und Bewerber um eine Lehrstelle bei der Arbeitsagentur gemeldet. Im gleichen Zeitraum akquirierte der Arbeitgeberservice 1.855 Ausbildungsstellen. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der jungen Frauen und Männer, die sich um einen Ausbildungsplatz bewerben, leicht gestiegen (+20, bzw. +1,8 Prozent); bei den Stellen ver-zeichnete die Arbeitsagentur einen Anstieg um 59, bzw. 3,3 Prozent. „Auffällig ist, dass sich weitaus mehr junge Menschen mit Hochschul- oder Fachhochschulreife um einen Ausbildungsplatz bemühen als in den Vorjahren“, berichtete Ottokar Schwerd, Teamleiter Berufsberatung. Zum einen sei dies immer noch als Folge des doppelten Schulentlassjahrgangs in 2013 zu sehen, zum anderen hänge diese Entwicklung auch mit dem seit Jahren anhaltenden Trend zum Besuch der Fachoberschule zusammen. Auch die Zahl derjenigen, die sich aus einem abgebrochenen Studium auf einen Ausbildungsplatz bewerben, hat sich leicht erhöht.

Potential für den regionalen Ausbildungsmarkt sahen die Konferenzteilnehmer bei den jungen Flüchtlingen, die zunehmend in den Landkreis kommen. Hier sei der Gesetzgeber gefordert, dringend die unsichere Rechtslage zu beenden. Zuversichtlich zeigten sich die Konferenzteilnehmer, dass bis zum Beginn des nächsten Ausbildungsjahres eine ausgeglichene Situation zwischen unbesetzten Stellen und unversorgten Bewerbern erzielt werden kann. „Die Zahlen sind lediglich eine Momentaufnahme und werden sich in den kommenden Wochen und Monaten deutlich ändern“, prognostizierte Agenturleiter Dombrowski. Er forderte junge Menschen, die noch nicht bei der Berufsberatung waren, auf, die Chancen auf eine Ausbildungsstelle zu nutzen und einen Termin bei der Berufsberatung zu vereinbaren.

Vor dem Hintergrund der demografischen Veränderungen und aufgrund unserer gesellschaftspolitischen Verantwortung muss es unser Ziel sein, dass alle jungen Menschen entsprechend ihren Neigungen, Fähigkeiten und Talenten ihren Weg in den Beruf finden. Wir wollen Jugendliche in Zukunft noch stärker zu einer beruflichen Ausbildung motivieren, um Karrierewege in der beruflichen Bildung aufzuzeigen und die Gleichwertigkeit von beruflichen und akademischen Abschlüssen ge-zielt zu vermitteln. Die mit Erfolg an der Winfriedschule gestartete Berufs- und Studienorientierung an Gymnasien werden wir deshalb fortsetzen und bei Interesse der anderen Gymnasien ausbauen. Um schon bestehende Ausbildungsverhältnisse bei Schwierigkeiten zu unterstützen, die Beteiligten zu beraten und einen Ausbildungsabbruch zu vermeiden, wollen wir das Projekt „Qualifizierte berufspädagogische Ausbildungsbegleitung in Berufsschule und Betrieb“ unter der Federführung des Landkreises fortsetzen, so Landrat Bernd Woide.

Stefan Schunck, Hauptgeschäftsführer Industrie- und Handelskammer Fulda erklärte: Unsere Ausbildungsbetriebe in Industrie, Handel und Dienstleistung haben zunehmend erkannt, dass für die Ausbildung im eigenen Haus intensiver geworben wer-den muss. Auch kleinere und mittlere Unternehmen spüren mittlerweile den demo-grafischen Wandel im eigenen Haus. Daher engagieren sie sich auch personell und mit unserer Unterstützung sehr stark, um ihre Attraktivität als Ausbildungsbetrieb zu erhöhen und eine qualitativ gute Ausbildung anbieten zu können. Wir gehen derzeit davon aus, dass unsere Unternehmen auch 2015 wieder in etwa so viele Ausbildungsverträge abschließen werden wie im vergangenen Jahr. Wichtig ist, dass wir in allen Schulformen die Berufswahlorientierung der Schülerinnen und Schüler ver-stärkt unterstützen, um so auf die vielfältigen attraktiven Entwicklungs- und Beschäftigungschancen hinweisen, die Absolventen einer dualen Berufsausbildung gerade in unserer Region haben.

Die Situation auf dem Ausbildungsmarkt wird sich für die kleinen und mittleren Unternehmen und insbesondere auch für das Handwerk weiter verschärfen. Die Gründe dafür sind hinlänglich bekannt: Überalterung der Gesellschaft (demografischer Wandel), steigende Anforderungen in vielen Berufen, abnehmende Attraktivität der dualen Ausbildung, immer mehr junge Leute wollen studieren. Die Folge ist der „war of talents“ – der Krieg um die Talente. Dieser ist bereits in vollem Gange. Folglich müssen sich heute nicht nur die Bewerber um eine Ausbildungsstelle be-mühen, sondern auch die Unternehmen müssen sich inzwischen bei den Jugendlichen bewerben, d.h. ihnen ein attraktives Angebot unterbreiten, damit diese nicht anderen Wettbewerben (sprich: anderen Ausbildungsangeboten) den Vorzug geben. Personalarbeit wird damit zur Vertriebsarbeit. Eine freie Ausbildungsstelle ist wie ein gutes Produkt, das auf einem anspruchsvollen Markt anzubieten ist, erläuterte Manfred Schüler, Geschäftsführer Kreishandwerkerschaft Fulda.

Schüler weiter: Die Aussichten insbesondere in den gewerblichen technischen Berufen bleiben exzellent, vorausgesetzt die Bewerber verfügen über die entsprechende Bildung und Motivation. Unverändert problematisch bleibt es auf dem Ausbildungsmarkt dagegen für benachteiligte Jugendliche, also für junge Leute mit schwachen oder ohne Schulabschluss und für Jugendliche mit Migrationshintergrund. Trotz guter beruflicher Perspektiven insbesondere im Handwerk hat diese Zielgruppe ohne fremde Hilfe häufig keine Chance auf einen Ausbildungsplatz. Schon seit geraumer Zeit nimmt das Handwerk in Fulda sich diesen benachteiligten Jugendlichen an. Denn trotz aller Defizite in der Bildung und im Sozialverhalten schlummern dort Reserven, die es zu heben gilt. Mit den Projekte „Einstieg in Ausbildung und Beruf“ sowie „Berufsstart Bau“ ermöglicht das Handwerk Jugendlichen, fehlende Schulabschlüsse nachzuholen und unterstützt diese dann bei der Integration in den Ausbildungsmarkt. Und auch die Eingliederung von jugendlichen Asylbewerbern in den Ausbildungsmarkt nimmt so langsam an Fahrt auf.

Dennoch bleibt für die Kreishandwerkerschaft in Fulda noch viel zu tun, um ihre Betriebe im „war of talents“ zu unterstützen. So werden die Innungen in Fulda ihre Nachwuchsarbeit weiter systematisch ausbauen und intensivieren. Dabei betrachtet das Handwerk die zunehmende Zahl an Kooperationen zwischen einzelnen Betrieben und Schulen mit Skepsis. Einzelne Betriebe können nicht die Vielfalt des regionalen Ausbildungsangebotes abbilden. Sie verschaffen sich damit allenfalls einen temporären betrieblichen Wettbewerbsvorteil, für den regionalen Arbeits- und Ausbildungsmarkt sind einzelbetriebliche Kooperationen mit Schulen jedoch wenig nachhaltig.

Zu beobachten ist auch, dass die Betriebe sich zunehmend von festen Einstellungsterminen lösen. Gute Bewerber haben das ganze Jahr über eine Chance, in eine Ausbildung einzusteigen. Dabei gewinnt das betriebliche Praktikum weiter an Bedeutung. Über 50 Prozent aller Ausbildungsverträge wird inzwischen in Folge eines vorausgegangen Praktikums abgeschlossen. Trotz aller Anstrengungen für die Nachwuchsarbeit insbesondere hier in der Region und trotz unverändert hoher Ausbildungsbereitschaft der Betriebe bleibt das Handwerk für das Ausbildungsjahr 2015 dennoch skeptisch. Eine gegenüber dem Vorjahr unveränderte Zahl an neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen wäre dabei schon ein großer Erfolg. Zu befürchten ist, dass die Zahl der unbesetzten Lehrstellen weiter ansteigen wird, so Schüler abschließend. +++ fuldainfo