Glaubwürdigkeit in der Klimakrise – Joseph Dehler im Interview

Dehler: „Die Zeit der Wunschkonzerte ist endgültig vorbei“

Prof Dr. Joseph Dehler

In den vergangenen Wochen, den heißesten der deutschen Wettergeschichte, wetteiferten die Sprecher der politischen Parteien einmal mehr um den Spitzenplatz des glaubwürdigsten Klimaretters aller Zeiten. Während die Wetterkapriolen im letzten Jahr noch mit einer gewissen Ungläubigkeit aufgenommen wurden, warfen sie in diesem Jahr gleich mehrere Schaufeln voller Klimaschutzversprechen ins Sommerloch. Möglicherweise, weil zeitgleich die Klimabewegung „Fridays for Future“ auftrat? Oder, weil die Grünen bei der Europawahl mit Klimaschutzthemen ein fulminantes Ergebnis erzielten – und es damit ans Eingemachte der Traditionsparteien geht? Jedenfalls war in letzter Zeit so mancher Pseudo-Aktivist auffällig offensiv. Mit dabei auch einer, dem man auf Anhieb kein großes Interesse an Klimaschutzprojekten unterstellen würde: Markus Söder. Doch auch dieser schenkte weitgehend alten Wein in neuen Schläuchen aus. Denn die meisten seiner „Müsstenjetztmalendlich“-Forderungen sind zum Teil schon zu alt, um sich damit profilieren zu können. Wegen millionenfacher Vergünstigungen erreichte jedoch dabei eine Meldung allergrößte Aufmerksamkeit, nämlich sobald wie möglich die Mehrwertsteuer auf Fern-Bahnkarten abzuschaffen bzw. zu reduzieren, um das Bahnfahren in Konkurrenz zu den extrem umweltschädlichen Inlandsflügen preiswerter zu machen. Zwangsläufig wurde damit auch wieder die Besteuerung des Flugbenzins in die Diskussion gebracht.

All das und noch einiges mehr, etwa die Forderung „Klimaschutz ins Grundgesetz“ sowie das von der Bundesregierung für den 20. September angekündigte „Klimapaket“, hätte man reibungslos unters Volk bringen können, wenn nicht eine Meldung der „WELT“ großes Kopfschütteln erzeugte: Bundesminister, Staatsekretäre und Mitarbeiter der Ministerien, allen voran des Umweltministeriums, legten alleine im Jahre 2018 rund 230.000 Inlandsflüge zurück. Dabei erteilten gleich vier Ministerien überhaupt keine Auskunft. Sonst wäre die Zahl noch um einiges hochgeschnellt. Vorhersehbar war auch, dass die Kritiker dieses Skandals – unsere ebenfalls „munter fliegenden“ Umweltaktivisten“ – im Handumdrehen mit Parolen wie „Wasser predigen und Wein trinken“ überrollt wurden. Das Wort „Flugscham“ war geboren und so mancher scheinbar kluge Kopf beschäftigt sich seitdem mit der Frage, ob Umweltfeindlichkeit im Flugzeug auf der einen mit guten Taten auf der anderen Seite glaubwürdig wettgemacht werden kann, um die klimaschädlichen CO2-Fußabdrucke zu kompensieren.

Wie glaubwürdig ist die Politik? Wie glaubwürdig sind wir selbst?

Wie können wir im Sinne der heutigen und künftigen Generationen zur Lösung der Klimakrise beitragen, bevor es ein für alle Mal zu spät ist? Zu diesem derzeit alles beherrschenden Thema sprach Fuldainfo mit einem Experten, der in der August-Ausgabe der auflagenstarken Zeitschrift „DB-Mobil“ als „Mister BahnCard 100“ gefeiert wird. – Mit dem aus Fulda stammenden Politikberater Prof. Dr. Joseph Dehler. Zum 25. Gründungsjahr der Deutschen Bahn AG, wurde er kürzlich in Nürnberg dafür geehrt, dass er seit 1992 ununterbrochen im Besitz der BahnCard 100 ist und seither rund 1 Million Kilometer mit der Bahn zurückgelegt hat. Als Dank dafür erhielt er im DB-Museum eine Dauerausstellung für seine ersten 25 BahnCards 100. Dehler ist u.a. bekannt als langjähriger Rektor der Hochschule Fulda, als Oberbürgermeisterkandidat 1998 in Fulda und für sein Engagement im Biosphärenreservat Rhön, bei dessen Gründung er im Jahre 1991 die Festansprache hielt. Später war er Innovationsbeauftragter der Bundesländer Hessen und Sachsen-Anhalt sowie in ähnlicher Funktion für die Bundesregierung unterwegs. Nicht zuletzt wurde er durch seine politsatirischen Bücher bekannt. Außerdem ist er seit den 1970er Jahren in der Umwelt- und Friedensbewegung engagiert. Gerade unterstützt er die Initiative „Planet Earth Movement“, die sich unter dem Motto „Walk for the Planet“ zu Fuß und per Rad von Freiburg Richtung Barcelona befindet, um dabei über nachhaltige Lebensweisen zu informieren. Fuldainfo hat Dehler etappenweise auf dem derzeit umweltfreundlichsten Verkehrsmittel – der Bahn – begleitet, ihm dabei Fragen zum Thema gestellt und mit ihm ein umfassendes Gespräch geführt. Am Ende standen wir vor dem Problem, wie wir das Interview auf die für unsere Plattform übliche Länge kürzen können. Wir haben uns dann wegen der Brisanz des Themas entschieden, es ungekürzt zu senden, jedoch in zwei Teilen zu bringen. Hier nun der erste Teil des Interviews. Den zweiten Teil senden wir am morgigen Tag. 

Danke, dass wir Sie auf Ihrem Lieblingsverkehrsmittel begleiten und Ihnen Fragen zum Zusammenhang von Klimawandel und politischer wie persönlicher Glaubwürdigkeit stellen dürfen. Vor allem, weil die aktuellen Vorschläge zum Klimaschutz hierzulande gerade um das Verhältnis der Bahn zum Fliegen ranken. Nicht zuletzt, weil Sie bei Ihrer Ehrung durch die DB Bahn exakt die einen Monat später von Markus Söder vorgetragene Position zur Bahn vertreten haben. – Welche sich im Übrigen mit denen der Grünen und der DB selbst deckt. Lassen Sie uns mit ein paar persönlichen Fragen beginnen.

Fuldainfo: Wie kamen Sie auf die Bahn?

Dehler: Die Bahn ist von Kind an quasi mein „zweites Zuhause“. Mein Vater war Eisenbahner – einer von denen „da unten“: Gleisbauer, Lokputzer, Bremser, Hilfsschaffner, Schaffner und zum Schluss Zugführer. Damit saß die Bahn sozusagen bei uns immer am Küchentisch. Jedoch mehr als familiäre Belastung, weniger als Spaßfaktor. Ein Auto hatten wir nicht. Wenn irgendwo hingefahren wurde, dann mit Bahn und Bus.

 Fuldainfo: Welche Bahnstrecken fuhren Sie mit Ihrem Vater und der Familie hauptsächlich?

Dehler: Wir fuhren meist kleine Strecken in der Region, die es schon vor der Bahnreform 1994 alle nicht mehr gab. Was ich sehr bedaure, auch weil sich mehrere Generationen für diese hervorragende Infrastrukturleistung krumm geschafft haben. Zum Beispiel von Fulda/Götzenhof nach Hilders über die Milseburg und von dort nach Wüstensachsen. Oder von Fulda über Bad Salzschlirf und Schlitz nach Niederjossa. Und natürlich oft mit der Rhönbahn nach Gersfeld.

Fuldainfo: Damit haben Sie sicher einen anderen Erfahrungshintergrund als der übliche Bahnfahrer. Macht sich das heute noch bemerkbar?

Dehler: Ja, etwa in meiner nahezu „blinden“ Solidarität mit dem Bahnpersonal, wenn es Konflikte mit Fahrgästen gibt und ich diese beobachte. Oder, wenn ich am Bahnhof ins Gleisbett schaue. Dann sehe ich immer die tellergroßen Hände meines Vaters an der neun-zinkigen Schottergabel vor mir. Sie stand bis zu seinem Tod bei uns in der Holzhalle. Immer wieder rankten sich Vaters Erzählungen von der Bahn darum. Für mich war und ist sie ein Symbol von Schwerstarbeit geblieben. Auch dafür, dass im Bahnbetrieb nicht alles so einfach ist, wie sich das mancher Bahnfahrer vorstellt.

Fuldainfo: Die Bahn steckt also bei Ihnen im Blut…

Dehler: Ganz bestimmt. Das ging sogar soweit, dass wir Mitte der 1980er in Schlitz eine Vereinsinitiative gründeten, um die Bahnstrecke zwischen Bad Salzschlirf und Schlitz zu reaktivieren. Wenn auch nur als Schmalspurbahn. Dieses Projekt scheiterte leider, vor allem an Sicherheitsdefiziten und der maroden Eisenbahnbrücke in Salzschlirf. Zum Glück sind auf dieser wie anderen Strecken die Bahndämme in Form von Radwegen noch weitgehend erhalten geblieben. Vielleicht werden diese hier und da ja bald wieder für den Nahverkehr reaktiviert, um mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen. Ansätze dazu gibt es erfreulicherweise bereits. So werden gerade in Baden Württemberg 41 Strecken auf eine entsprechende Machbarkeit hin überprüft.

Fuldainfo: Sie sagten im Vorgespräch, kurz bevor Ihr Vater pensioniert wurde, habe er sich einen gebrauchten VW gekauft und sei danach nie mehr in seinem Leben mit der Bahn gefahren. Welche Konsequenzen hatte das für Sie in Ihrem Fahrverhalten?

Dehler: Ich konnte meinen Vater aufgrund seiner schweren Belastung bei der Bahn und der daraus resultierenden Krankheitsbilder gut verstehen. Trotzdem hat er die Bahn nie verdammt. Er war stets glücklich, Arbeit zu haben. Doch war damit auch für mich das Reisen mit der Bahn erst einmal beendet. Denn wir fuhren ja meist mit Personalfahrkarte. Auf der anderen Seite war es natürlich toll, nun hin und wieder mit Vaters Auto fahren zu dürfen. Dann hatte ich bald eigene, gebrauchte Autos. Von der Bahn war eigentlich kaum noch die Rede. Es drehte sich alles um das Auto. Überdies konnte man sich im Umweltschutz engagieren und niemand hatte das Autofahren damals kritisch gesehen. So fuhr ich in den 68er Jahren mit meinem 16 PS Citroen-2 CV nicht nur zum Studium nach Frankfurt, sondern sogar bis in die nördlichste Spitze Schottlands in die Ferien….

1972 dann „Club of rome“: „Die Grenzen des Wachstums“. Seitdem hatten wir eine leise Ahnung, wohin wir driften, wenn wir weiter so wirtschaften und leben wie bisher. Vielen ist die Zeit der Ölkrise 1973 mit den autofreien Sonntagen wohl noch in Erinnerung. Ein neues Bewusstsein für die Endlichkeit unserer Rohstoffe entstand und damit auch die Umweltbewegung. Das war auch die Zeit, in der ich ein schlechtes Gewissen entwickelte, ständig mit dem Auto herumzukurven. Aber auch dann war es noch kein unvereinbarer Widerspruch, sich im Umweltschutz zu engagieren und trotzdem (oft unnötig) Auto zu fahren. Jedenfalls wurde darüber weniger gesprochen. Es war eben kein Problem.

Fuldainfo: Wann kam bei Ihnen dann der eigentliche Moment, mit Überzeugung überwiegend wieder auf die Bahn umzusteigen?

Dehler: Ehrlich gesagt erst 1992 Und das mit enormer, jedoch aus heutiger Sicht immer noch nicht hinreichender Konsequenz. Nicht zuletzt natürlich unter dem Druck, die recht teure „BahnCard 100“ auch wirtschaftlich nutzen zu wollen. So sage ich im Nachhinein selbstkritisch: Davor konnte ich über ein Jahrzehnt der Versuchung und Bequemlichkeit nicht widerstehen, mich in meiner Zeit als Hochschulrektor von meinem Fahrer von Pontius zu Pilatus bringen zu lassen, auch wenn es meist mit dem Zug umweltfreundlicher, schneller und kostengünstiger gewesen wäre. Im Nachhinein würde ich sagen: Ganz und gar kein umweltfreundliches Verhalten. Wohl eher Statusgehabe. Das eintretende schlechte Gewissen ging einher mit der wachsenden Umweltbewegung, in der ich engagiert war. Gleichwohl bemerkte ich sehr bald, dass es auch bequemer ist, mit dem Zug zu fahren.  Wie ich heute meine, kam diese Erkenntnis vor 27 Jahren möglichweise noch rechtzeitig, ganz sicher aber auch damals schon zu spät, wenn ich daran denke, welchen Raubbau wir mit unserer Umwelt in der Zwischenzeit betrieben haben. Und seit dieser Zeit steht bei mir – trotz aller meiner persönlichen Widersprüche- stets die Umwelt im Vordergrund meines Denkens und Handelns. Natürlich auch bedingt durch die Gedanken an die Zukunft der Kinder und Enkelkinder.

Fuldainfo: Wieviel Kilometer im Jahr fahren Sie mit der Bahn und dem Auto. Und wie oft und wohin fliegen Sie gewöhnlich?

Dehler: Auf der Bahn bin ich jährlich etwa 45 bis 55.000 km unterwegs – beruflich und privat. Jedenfalls, seit ich im Besitz einer BahnCard bin. Mit dem Auto fahre ich zwischen 4 und 6.000 km. In der Regel nur, wenn es am Zielort keine Bahn oder einen schlechten ÖPVN gibt bzw. aus Transportgründen. Ohnehin nur in der Region. Im Flugzeug habe ich seit 20 Jahren nicht mehr gesessen und bin insgesamt auch nur drei Mal geflogen, davon zwei Mal beruflich: Je einmal nach Nicaragua/Managua (1986) und Südkorea/Soul (2000). Ein einziges Mal privat 1994 nach Teneriffa. Damit gehöre ich zu den 97 % der Weltbevölkerung, die im vergangenen Jahr  n i c h t  geflogen sind. Denn es ist ja nur eine Minderheit, die mit ihren Fluggewohnheiten das Klima enorm belastet. Alleine dieser kleine Teil trägt bereits jetzt schon etwa knapp fünf Prozent zur globalen Erwärmung bei. 90 Prozent der Weltbevölkerung haben noch nie ein Flugzeug bestiegen. Aber auch das wird sich ändern. Die Wachstumszahlen im Flugverkehr gehen rasant nach oben.

Fuldainfo: Danke, dass Sie so offen und selbstkritisch über Ihr bisheriges Fahrverhalten sprechen. Sie deuteten bereits an, dass wir gegen den vorhersehbaren Klimawandel schon viel früher hätten offensiv reagieren müssen. Trotzdem könnte man ja sagen, wenn alle in den letzten 25 Jahren so gelebt hätten wie Sie, sähe die Lage heute noch ein wenig besser aus. …

Dehler: Ich stehe hier persönlich nicht im Vordergrund, nur weil ich nicht fliege und mehr Bahn als Auto fahre. Vielmehr warnen Tausende Wissenschaftler seit Jahrzehnten vor einer Klimakatastrophe, wenn wir in unserem Verhalten nicht umsteuern. Jeder muss dazu seinen Beitrag leisten, wenn das Ruder wenigstens noch ein wenig rumgerissen werden soll. Vor allem aber ist die Politik gefragt. Wir haben bereits über die 70er Jahre gesprochen. Es gab da neben dem großen Engagement und den Mahnungen der Umweltverbände immer wieder auch staatliche Initiativen. So veröffentlichte 1987 die „Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen“, den Abschlussbericht „Unsere gemeinsame Zukunft„. Ein globales Konzept für eine nachhaltige Entwicklung der Staatengemeinschaft. Seit dieser Zeit kann sich niemand mehr, können sich vor allem unsere Politiker nicht mehr herausreden, dass sich unser Klima tendenziell zur Bedrohung der künftigen Generationen entwickelt. Den Vorsitz der Kommission hatte damals die ehemalige norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland. Sie zog angesichts der drohenden Umweltkatastrophe für die künftigen Generationen sinngemäß den Schluss: „Es wird künftig nicht mehr darauf ankommen, was sich dieser oder jener wünscht, sondern darauf, was wir zu tun gezwungen sind.“ Letzteres wissen wir seit Langem. Aber wir haben fast alle so weitergelebt wie bisher. Heute wissen wir, dass die Alarmsignale des „Club of Rome“ und der „Brundtlandkommission“ hätten ernster genommen werden müssen. Die Erderwärmung zeigt bereits gravierende, kaum wiedergutzumachende Folgen, wie wir derzeit, und zwar zunehmend, an Hitze, Trockenheit und Unwettern vor unserer Haustür sehen.  In diesem Zusammenhang rückte erst vor ein paar Tagen der neuerliche Sonderbericht des Weltklimarates IPPC noch einmal die fatale Wechselwirkung von Klimawandel und Landnutzung in unser Bewusstsein.

Fuldainfo: Und was sagen Sie sagen dazu?

Dehler: Wir sollten nun endlich sofort anfangen, mit aller Konsequenz umzusteuern, sonst graben wir uns buchstäblich das eigene Wasser ab. Dabei müssen wir uns alle bewusst sein: „Die Zeit der Wunschkonzerte ist endgültig vorbei“. Das heißt, wir werden unsere bisherigen Bedürfnisse nicht mehr in dem Umfang wie bisher befriedigen können, wenn wir die Welt für die künftigen Generationen erhalten wollen. Mit Technik-Gläubigkeit alleine kriegen wir das nicht mehr hin. Wir haben keine Zeit mehr, uns in kleinteiligen ideologischen Diskussionen zu verstricken. Wir müssen handeln. Und zwar partei- und gruppenübergreifend. Vor allem müssen wir endlich einmal die Warnungen unserer Umwelt-Wissenschaftler ernst nehmen. Man will es nicht glauben, dass der gleiche Staat, der sie überwiegend bezahlt, so wenig an deren Forschungsergebnissen interessiert ist. Die Daten der Klimaforscher liegen hochgradig gesichert auf dem Tisch. Sie sind deprimierend. Umso mehr, als das ursprünglich gesteckte Ziel von maximal 1,5 Grad Erderwärmung bereits erheblichen Gesundheits-Einschränkungen, Überschwemmungen, Wasserknappheit und Hunger auf der Welt mit sich gebracht hat, scheinen inzwischen 4 Grad mit den extremsten Auswirkungen für das Leben auf der Erde realistischer zu sein. Alle gesellschaftlichen Bereiche müssen schnellstmöglich darauf abgeklopft werden, wie wir mit konkreten Maßnahmen ein Ende des katastropalen Umweltverbrauchs herbeiführen können. Und wir alle persönlich müssen unseren Beitrag dazu leisten.

Fuldainfo: Gab es in jüngster Zeit Situationen, in denen Sie hautnah mit umweltfeindlichem Verhalten konfrontiert wurden und dabei Zweifel bekommen haben, ob wir die Klimakrise überhaupt noch in den Griff bekommen?

Dehler: Diese Zweifel habe ich oft. Was mich aktuell nicht loslässt: Ich bin im Juli von Schierke zum Brocken hochgelaufen. Und zwar durch den Wald, den ich vor zwei Jahren bereits durchlaufen hatte. Diesmal bin ich schweißgebadet oben angekommen, weil es den Schatten spendenden Wald nicht mehr gab. Stattdessen fand ich eine Landschaft vor wie nach einem Atomschlag. Ich war entsetzt. Tausende Hektar einst schattengebender Wald waren jetzt nur noch ein gespenstig brauner Brachwald. Aber es sind auch viele Kleinigkeiten, die mich am Willen der Menschen, unsere Umwelt noch zu retten, zweifeln lassen. Täglich beobachte ich und spreche ich scheinbar intelligente Menschen auch in meiner Heimatstadt an, die am Steuer ihres parkenden Autos sitzen, den Motor völlig unnötig laufen lassen und telefonieren. Was sie alleine hier an Argumenten über die „Sinnhaftigkeit“ dieses Vergehens hören, raubt Ihnen jeglichen Glauben am Verstand der Menschheit. Für mich ist das aber symptomatisch für die Gleichgültigkeit im Umgang mit unserer Umwelt. Es wird ja auch geduldet, dass Heizpilze und Infrarotstrahler in Sonnenschirmen angebracht werden, Taxen vor einer Apotheke permanent den Motor laufen lassen – im Sommer wegen der Klimaanlage, im Winter für die Heizung. Das sind nur ein paar Beispiele dafür, dass der Klimawandel bei uns noch nicht angekommen zu sein scheint. Ein paar Ladesäulen für E-Fahrzeuge aufzustellen, ist noch keine Nachhaltigkeit in einer sich gerne als klimafreundlich offerierenden Stadt. …