Glaubwürdigkeit in der Klimakrise – 2. Teil des Interviews

Prof. Dr. Joseph Dehler

Heute senden wir den 2. Teil des Interviews zum Thema „Klimakrise“ mit dem Politikberater Prof. Dr. Joseph Dehler. [dropshadowbox align=“right“ effect=“raised“ width=“auto“ height=““ background_color=“#ffffff“ border_width=“1″ border_color=“#dddddd“ ] Interview Teil 1 [/dropshadowbox]

Fuldainfo: Wir wissen, dass Sie sich große Gedanken um die Zukunft der künftigen Generationen machen. Es gibt zu diesem Themenbereich hinreichend nachlesbare Analysen, Strategien und Debatten, z.B. zur C02-Steuer, klimaneutralem Wohnen oder Energieeinsparung allerorten. Deshalb möchten wir uns gerne mit Ihnen noch einmal auf das Thema „politische und persönliche Glaubwürdigkeit“ im Zeichen des sogenannten Klimawandels konzentrieren. Wir sind immer wieder über den Widerspruch zwischen politischen Postulaten und praktischem Handeln erstaunt. Zuletzt über tausende von Inlandsflügen von Politikern und Mitarbeitern der Ministerien sowie die erhebliche Zunahme von Flügen von Bundestagsabgeordneten gegenüber dem Jahr 2017, bei gleichzeitig eindringlichen Ermahnungen der Politik an die Bevölkerung, sich nun endlich konsequent dem Klimawandel zu stellen. Stehen wir mit diesem Eindruck alleine?

Dehler: Grundsätzlich gilt: Wir alle sind gefordert, unseren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Aber ich falle immer wieder aus allen Wolken, wie leichtfertig „dies“ gesagt, aber „jenes“ getan wird. Vielleicht, weil ich über Jahre meiner Nähe zur Politik besonders sensibel geworden bin. Es geht auf keinen Fall, auf der einen Seite Inlandsflügen den Kampf anzusagen und dann selbst weiter zu fliegen wie bisher. Es gibt darüber hinaus noch andere klimafeindliche Strukturdefizite, etwa wenn die Flugbereitschaft der Bundeswehr (zuständig für die Flüge der Bundesregierung) jährlich etwa 800 „Bereitstellungsflüge“ von Bonn nach Berlin fliegt, um die Bundeskanzlerin oder andere Regierungsmitglieder in der Bundeshauptstadt abzuholen – um dann nach der Beendigung der Dienstreisen, wieder leer nach Bonn zurückzukehren. Das geht gar nicht. Vorgegebene Ansprüche und Ziele werden damit konterkariert. Und damit die Unglaubwürdigkeit der Politik befördert. Der frühere Grundsatz „mit gutem Beispiel“ vorangehen scheint in weite Ferne gerückt zu sein. Doch das erwarte ich gerade von Politikern. Moral und Politik sind für mich untrennbar miteinander verbunden. Auch wenn wir den Verkehr zwischen Bonn und Berlin zum Bestandschutz einiger Ministerien aufrechterhalten müssen, besteht durchaus die Möglichkeit, auch ohne diesen Umfang an Flügen zwischen den beiden Städten auszukommen. Etwa mit der Bahn und entsprechender Konferenztechnik. Es geht aber nicht nur Flüge zwischen Bonn und Berlin, sondern es wird auch sonst wie wahnsinnig im Inland herumgeflogen. Kostengründe vorzuschieben ist kein gutes Argument, vor allem wenn man weiß, dass die derzeitigen Preise für Inlandsflüge die gravierenden Umweltkosten nicht decken. Und damit schon ganz und gar nicht fair sind. Ich kann nicht gleichzeitig etwas bekämpfen und es doch tun. Auf keinen Fall lasse ich das Argument gelten, man müsse erst einmal die Rahmenbedingungen für bessere Bahnverbindungen schaffen. Diesbezüglich ist auch die Position der Grünen fern jeglicher Realität, erst im Jahre 2035 die Inlandsflüge „weitestgehend“ obsolet machen. Polemisch gesagt, möglicherweise ist dann bereits der Wasserspiegel so weit angestiegen, dass man auf manchen der vorgesehenen Trassen am besten gleich Wasserstraßen baut. Und was ich schon gar nicht verstehe, dass nach einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen die grünen Wähler am meisten fliegen. „Wasser predigen und Wein trinken“ geht überhaupt nicht. Aber es sind auch andere Privilegien der politischen Klasse, die unter dem Aspekt des Klimaschutzes einer Prüfung bedürften. So die Fahrbereitschaft für Bundestagsabgeordnete. Auch MdBs können den ÖPNV benutzen, wenn Sie z.B. vom Bahnhof in den unweit entfernt liegenden Bundestag, in ihre Privatwohnung wollen oder in Berlin Dienstreisen unternehmen. Hierfür 100 Limousinen bereitzustellen, ist angesichts der Klimakrise genauso wenig glaubwürdig, wie die beschriebenen Inlandsflüge und die massenhaften Flüge der Bundestagsabgeordneten. Klar, das alles war vor dem sich langsam, viel zu langsam entwickelnden Krisenbewußtsein noch einfacher zu verkaufen.

Fuldainfo: Was erwarten Sie von der Politik zum Klimaschutz?

Dehler: Dass sie sich mit den Umweltproblemen hautnah auseinandersetzt, sie mit Hilfe der Klimaforscher real einschätzt und entsprechend handelt. Es ist ja schon ein großes Trauerspiel, wenn sich 12.000 Wissenschaftlerinnen und -wissenschaftler „Fridays for Future“ anschließen, um überhaupt ernst genommen zu werden. Die Politik muss den Bürgerinnen und Bürgern klaren Wein einschenken und vor allem wegkommen von einer höchstgefährlichen, „Umfragepolitik“, mit der weitgehend entschieden wird, was das Volk gerne hätte, um so weiterleben zu können wie bisher. Denn dies ist das Dilemma in unserem Lande überhaupt: Eine zu sehr auf Machterhaltung ausgerichtete, am aktuellen Meinungsbild der Wähler orientierten Politik. – Der am Ende die großen Visionen und Strategien für zukunftsfähige Lösungen abhandenkommen.

Fuldainfo: Dann kommen Sie aber ganz schnell weg von den Freiheits- und Freiwilligkeitspostulaten in unserer Demokratie?

Dehler: Politik kann Einzelinteressen nur im Rahmen des Gemeinwohls berücksichtigen. Sie muss die größere Einsicht haben und sie trägt die Verantwortung dafür, was für die Zukunft der künftigen Generationen zu tun notwendig ist. Sie hat eben in diesem Zusammenhang und im Sinne Brundtlands nicht in erster Linie zu tun, was sich dieser oder jener sich wünscht, sondern das, wozu wir „zu tun gezwungen sind“. Und das liegt seit vielen Jahren auf der Hand. Insofern glaube ich nicht mehr daran, dass wir die Umweltkrise alleine mit auf Freiwilligkeit gerichteten Strategien bewältigen werden. Wenn die Bundesregierung in den 1980er Jahren auf Freiwilligkeit gebaut hätte, gäbe es bis heute noch keine Katalysatoren im Auto, keine Schwefelfilter in Kohlekraftwerken und auch nicht das Verbot von FCKW in Spraydosen. Wir erinnern uns an den sauren Regen, der die Bäume in den Mittelgebirgen absterben ließ. Und an die bedrohliche Ausweitung des Ozonlochs.

Fuldainfo: Was halten Sie davon, umweltfeindliches Verhalten (wie weiter im Inland zu fliegen) mit guten Taten (wie z.B. regenerative Projekte in Drittländern) zu unterstützen, um die hinterlassenen klimaschädlichen CO2-Fußabdrucke zu kompensieren.

Dehler: Nichts. Das riecht nach faulen Eiern und ist eine Erfindung derjenigen, die sich gerne als Umweltfreunde darstellen, in Wahrheit aber gerne so weiterleben möchten, wie bisher. Mit dieser Art von Kompensation wird das Problem nicht gelöst. Dort, am Ursprung der Belastung unserer Umwelt, z.B. durch einen Inlandsflug, werden in großen Mengen Emissionen freigesetzt, die an anderen Orten mit anderen Maßnahmen auf keinen Fall ausgeglichen werden können. Gerade gab der hessische Umweltminister Al Wazir zu, dass seine dienstliche Umweltbilanz durch das viele Reisen sehr schlecht sei. Eine Abschaffung des Dienstwagens, wie es der Konstanzer Oberbürgermeister beschlossen hat, käme für ihn jedoch nicht infrage. Privat sei er aber mit sich im Reinen. Im Urlaub sei er nach Griechenland geflogen, habe dies aber mit der Zuzahlung eines Kompensationsbeitrages ausgeglichen. Ich sage: Nicht fliegen und den gezahlten Kompensationsbeitrag in ein Klimaprojekt fließen zu lassen, wäre besser gewesen, um hier ein ernsthaftes, auch persönliches Zeichen zu setzen. Das gleichzeitige Brüsten mit 140 Klimamaßnahmen in Hessen bekommt natürlich durch ein solches Verhalten eines Umweltministers, der eigentlich mit gutem Beispiel vorangehen sollte, zumindest ein Geschmäckle.

Fuldainfo: Somit wären wir bei „unserer persönlichen Glaubwürdigkeit“ angekommen. Wie sollten wir damit verfahren.

Dehler: Ich denke, das Allerwichtigste überhaupt ist die Frage, wie wir unser Leben ausrichten. Ob wir eine Verantwortung gegenüber den nahfolgenden Generationen verspüren und danach leben wollen. Oder ob wir nur „selbst sein“ und persönlich „überleben“ wollen, es uns also gleichgültig ist, wie sich diese Welt entwickeln wird. Mit Letzterem würde ich mich nur ungern beschäftigen wollen. Wenn Ersteres der Fall ist, und ich denke, das sollte so sein, dann haben wir ganz praktisch bei allem was wir tun, unsere Kinder und Enkelkinder im Auge und verhalten uns so, dass auch nach uns noch eine Welt möglich ist. Wer keine Kinder und Enkelkinder hat, kennt ganz sicher welche, für es sich lohnt, hart an uns selbst zu arbeiten. Hier ist jeder von uns stets in der Zwickmühle zwischen gut leben und sich aufgrund der Klimakrise reduzieren zu müssen. Wir befinden uns also selbst permanent im Widerspruch miteinander.

Fuldainfo: Wie sollten wir mit unserem oft widersprüchlichen Verhalten umgehen.

Dehler: Das Wichtigste ist, zu unseren Widersprüchen zu stehen, selbstkritischer zu sein und unsere Mitmenschen kritisch zu begleiten. Und uns auch kritisch begleiten zu lassen. Das fängt bei unseren Freunden an. Keiner von uns ist ein Engel. Wir könnten Vieles noch viel besser machen, wenn nicht dann oft doch unser „innerer Schweinehund“ siegen würde. So denke ich, dass wir alle nur noch eine Chance haben, wenn wir mit uns selbst und im Vergleich mit den anderen in einen Wettbewerb treten, bei dem am Ende klimafreundliches Verhalten belohnt wird. Dazu müssen wir unbedingt reflektieren, was wir tun und was wir besser machen können. Das ist nicht einfach, weil wir oft überhaupt nicht die Auswirkungen dessen einschätzen können, wie wir uns verhalten. Wir leben meist ohne große Reflektion in den Tag hinein. Wenn jemand eine „gute Antenne“ dafür hat, was z.B. umweltfreundlich ist und was nicht, dann ist das gut so. Ansonsten fehlt uns oft das Wissen, um unser Verhalten überhaupt einschätzen zu können.

Fuldainfo: Wo sehen Sie hierbei Probleme?

Dehler: Unser Leitthema ist ja der Klimawandel. Dieser kann größtenteils auch deshalb nur schwer wahr- und ernstgenommen werden, weil z.B. das CO2 im Leben des Menschen eigentlich keine Rolle spielt. Woran liegt das? Der CO2-Austoss ist, rein äußerlich gesehen, eine „saubere Emission“. Es erreicht deshalb die menschlichen Sinne überhaupt nicht. Diese jedoch sind entscheidend dafür, wie Natur und Umwelt wahrgenommen werden. Man kann CO2 eben nicht riechen, sehen, hören, schmecken und auch nicht tasten. Wäre CO2 etwa eine Stinkbombe oder Buttersäure, würde es sofort wahrgenommen und als ekelig und sofort zu bekämpfen eingestuft. Also müssen wir andere Bewertungsmuster anwenden. Das ist aufwändig; letztlich vergleichbar mit unserer Kalorienberechnung.

Fuldainfo: Wie könnten wir unser Verhalten besser einschätzen?


Dehler:
Wie gesagt, das geht, weil das CO2 eben nicht von unseren Sinnen erfasst werden kann, nur über eine Bilanz unseres CO2-Verbrauchs, den wir aus den verschiedenen Lebensbereichen berechnen müssen, um zu einem Ausgleich innerhalb unseres Lebensstils zu kommen. Aus meiner Sicht ist diesbezüglich der CO2-Rechner des Umweltbundesamtes besonders gut geeignet. Er hilft am Ende dabei, den Verbrauch in den Bereichen Heizung, Strom, Mobilität, Ernährung, sonstigem Konsum und öffentlichen Emissionen nach persönlichen Angaben zu berechnen. Der persönliche CO2-Ausstoß zeigt uns dann, wie viel Tonnen CO2-Äquivalente von jedem ausgestoßen werden. Dabei sind auch die Treibhausgase Methan und Lachgas berücksichtigt, die vor dem Hintergrund der jeweiligen Klimawirkung in CO2-Äquivalente umgerechnet werden. Auch wird dabei die zusätzliche Klimawirksamkeit des Fliegens berücksichtigt. Wer diese Rechnung für sich aufgemacht hat, wird erschrecken wie hoch sein Klimaverbrauch ist. Denn das Ziel des Umweltbundesamtes im Einklang mit der internationalen Staatengemeinschaft wird von derzeit 12 Tonnen CO2 (Durchschnitt pro Person) auf unter 1 Tonne CO2 pro Person und Jahr angegeben. Das Gute an diesem Rechner ist, dass er selbst gewählte Szenarien alternativ berechnet und dadurch die eignen Ziele unter Kontrolle behalten kann. Er ist auch hervorragend als Grundlage für die Diskussion in der Schule und in der Fortbildung geeignet.

Fuldainfo: Kommen wir noch einmal auf das Fliegen zurück. Heißt das nun, dass Fliegen ein No-go ist?

Dehler: Natürlich nicht, wenn ich hierfür einen Ausgleich innerhalb meiner CO2-Bilanz schaffe. Das, was auch der hessische Umweltminister tun könnte, wenn er im Urlaub nach Griechenland fliegt. Und dann auch akzeptabel wäre, weil es keine gekaufte Kompensation für Drittprojekte anderswo ist. Nur muss man sich klar machen, dass Flüge bei der Berechnung des CO2-Ausstosses enorm zu Buche schlagen. Man geht davon aus, dass ein Flug nach Mallorca etwa einem Jahr durchschnittlichen Autofahrens mit rund 25.000 Kilometer entspricht.

Fuldainfo: Zum Schluss? Wie sieht ihre eigene Umweltbilanz aus?

Dehler: Aus der Sicht meines eigenen Anspruchs schlecht. Zwar einiges unter dem Durchschnitt. Aber lange nicht gut genug, wenn ich unter eine Tonne CO2 im Jahr kommen möchte. Auch wenn ich nicht fliege und ein Personenkilometer im Flugzeug etwa 30-mal so viel CO2 wie auf der Bahn verbraucht, schlägt bei mir der große Umfang des Bahnfahrens enorm zu Buche. Würde ich jedoch die angegebene Strecke mit dem Auto fahren, würde meine Umweltbilanz im Bereich Mobilität um das Vierfache schlechter ausfallen. Vom Fliegen möchte ich erst gar nicht reden. Ist auch nicht nötig, da ich ja nicht fliege.

Fuldainfo: Was heißt in Ihrem Falle bei einem Szenario in Richtung auf unter 1 Tonne CO2-Verbrauch im Jahr?

Dehler: Ich müsste im Bereich Heizung, Strom, Mobilität, Ernährung und sonstigem Konsum weiter einsparen und auch weniger mit der Bahn fahren, was ich bisher als völlig unproblematisch eingeschätzt habe. Da ich die Rechnung erst gestern mit Hilfe des Klimarechners gemacht habe, muss ich das erst einmal verarbeiten und mir ein neues Einsparszenario erarbeiten. Jedenfalls ist bei uns allen, mehr oder weniger, die Lage so ernst, dass wir hart und konsequent an uns selbst arbeiten müssen. Fangen wir also alle schnellstmöglich damit an. Selbst, gemeinsam, selbstkritisch, kritisch und stets in Gedanken an die nach uns kommenden Generationen.

Fuldainfo: Was heißt unter diesen Bedingungen „Glaubwürdigkeit?

Dehler: Dass wir offen und ehrlich mit Defiziten und Widersprüchen im eigenen Verhalten umgehen und nach ernsthaften Lösungen in unserem derzeit nicht ausreichend umweltfreundlichen Leben suchen. Vor allem damit aufhören, anders zu reden als zu handeln, aber so tun, als hätten wir bereits beides in Übereinstimmung miteinander gebracht. Auch wenn unsere Politikerinnen und Politiker hier mit dem allerbesten Beispiel vorangehen sollten: Nur wenn wir auch an uns selber arbeiten, können wir der Politik den entsprechenden Druck machen, die strukturellen Voraussetzungen für ein generationenverträgliches Leben zu schaffen. Einmischen ist unabdingbar, wenn die wir Zukunft für die nachfolgenden Generationen offen halten wollen. Dabei werden wir uns allerdings an staatliche vorgegebene Begrenzungen unseres Umweltverbrauchs mehr als gewünscht gewöhnen müssen. Diese sollten wir dann der Politik nicht anlasten. Im Gegenteil, sie dafür belobigen, wenn sie zukunftsfähige Maßnahmen in der Klimakrise konsequent durchsetzt. +++